H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

Читать онлайн книгу.

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


Скачать книгу
ro­tes Ge­sicht mit röt­lich­brau­nen Au­gen – bis­her hat­te ich ihn nur erst ge­gen das Licht ge­se­hen. »Ei­nen Mo­ment, Herr«, sag­te ich, als er kehrt mach­te.

      Er starr­te. »Ei­nen Mo­ment«, sag­te er, »si­cher­lich. Oder wenn Sie län­ger mit mir zu re­den wün­schen und es nicht zu viel ver­langt ist – Ihr Mo­ment ist vor­bei – wäre es Ih­nen zu viel Mühe, wenn Sie mich be­glei­te­ten?«

      »Nicht im ge­rings­ten«, sag­te ich, in­dem ich mich ne­ben ihn be­gab.

      »Mei­ne Ge­wohn­hei­ten sind re­gel­mä­ßig. Mei­ne Zeit für den Ver­kehr – be­grenzt.«

      »Dies, neh­me ich an, ist Ihre Zeit für die Be­we­gung?«

      »Ganz recht. Ich kom­me hier­her, um den Son­nen­un­ter­gang zu ge­nie­ßen.«

      »Das ist nicht wahr.«

      »Herr?«

      »Sie se­hen ihn nie an.«

      »Sehe ihn nie an?«

      »Nein. Ich habe Sie drei­zehn Aben­de be­ob­ach­tet, und Sie ha­ben kein ein­zi­ges Mal nach dem Son­nen­un­ter­gang ge­blickt – kein ein­zi­ges Mal.«

      Er run­zel­te die Stirn, wie ei­ner, der auf ein Pro­blem stößt.

      »Nun, ich ge­nie­ße das Son­nen­licht – die At­mo­sphä­re – ich gehe die­sen Pfad ent­lang, durch die Pfor­te da« – er ruck­te mit dem Kopf über die Schul­ter – »und her­um – –«

      »Das ist nicht wahr. Das ha­ben Sie nie ge­tan. Das ist al­les Un­sinn. Es gibt da gar kei­nen Weg. Heut abend, zum Bei­spiel – –«

      »O! Heut abend! Las­sen Sie se­hen; Ah! ich blick­te ge­ra­de auf mei­ne Uhr, sah, dass ich schon drei Mi­nu­ten über die prä­zi­se hal­be Stun­de aus­ge­we­sen war, ent­schied, ich hät­te kei­ne Zeit mehr, her­um­zu­gehn, mach­te kehrt –«

      »Das tun Sie im­mer.«

      Er sah mich an und dach­te nach. »Vi­el­leicht ja, jetzt, wo ich drü­ber nach­den­ke. Aber wor­über woll­ten Sie mit mir re­den?«

      »Nun, dar­über!«

      »Dar­über?«

      »Ja. Wa­rum tun Sie das? Je­den Abend kom­men Sie und ma­chen ein Geräusch – –«

      »So« – ich ahm­te sein sum­men­des Geräusch nach.

      Er sah mich an, und es war klar, das Sum­men er­weck­te Wi­der­wil­len. »Das tue ich?«, frag­te er.

      »Je­den lie­ben Abend.«

      »Ich hat­te kei­ne Ah­nung.«

      Er blieb ste­hen. Er sah mich ernst an. »Ist es mög­lich«, sag­te er, »dass ich eine An­ge­wohn­heit an­ge­nom­men habe?«

      »Nun, es sieht so aus. Nicht wahr?«

      Er zog zwi­schen Fin­ger und Dau­men die Un­ter­lip­pe her­ab. Er blick­te eine Pfüt­ze zu sei­nen Fü­ßen an.

      »Mein Geist ist sehr be­schäf­tigt«, sag­te er. »Und Sie wol­len wis­sen, warum! Ja, Herr, ich kann Sie ver­si­chern, dass ich nicht nur nicht weiß, warum ich die­se Din­ge tue, son­dern ich wuss­te nicht ein­mal, dass ich sie tat. Wenn ich nach­den­ke, es ist ge­nau, wie Sie sa­gen; ich bin nie über das Feld hin­aus­ge­gan­gen … Und die­se Din­ge be­läs­ti­gen Sie?«

      Aus ir­gend­ei­nem Grun­de be­gann ich ver­söhn­li­cher ge­gen ihn zu wer­den. »Be­läs­ti­gen nicht«, sag­te ich. »Aber – stel­len Sie sich vor, Sie schrie­ben ein Dra­ma!«

      »Könn­te ich nicht.«

      »Nun, ir­gend et­was, wozu Kon­zen­tra­ti­on nö­tig ist.«

      »Ah!«, sag­te er, »na­tür­lich«, und er dach­te nach. Sein Aus­druck sprach so be­redt von Kum­mer, dass ich noch ver­söhn­li­cher wur­de. Schließ­lich ist es ein we­nig ag­gres­siv, wenn man ei­nem Men­schen sagt, man wis­se nicht, warum er auf ei­nem öf­fent­li­chen Fuß­weg summt.

      »Sie sehn«, sag­te er schwach, »es ist eine An­ge­wöh­nung.«

      »O, das sehe ich ein.«

      »Ich muss sie ein­stel­len.«

      »Nicht, wenn es Sie stört. Schließ­lich hat­te ich kein Recht – ich habe mir so et­was wie eine Frei­heit her­aus­ge­nom­men.«

      »Durchaus nicht«, sag­te er, »durch­aus nicht. Ich bin Ih­nen sehr ver­bun­den. Ich soll­te mich vor sol­chen Din­gen hü­ten. Ich wer­de es in Zu­kunft. Könn­te ich Sie noch ein­mal be­mü­hen? – Dies Geräusch?«

      »Etwa so«, sag­te ich: »Su­suhh, Su­suhh. Aber wirk­lich, wis­sen Sie – –«

      »Ich bin Ih­nen sehr ver­bun­den. Ich weiß auch, ich wer­de ab­surd geis­tes­ab­we­send. Sie ha­ben ganz recht – voll­stän­dig recht. Wahr­haf­tig, ich bin in Ih­rer Schuld. Die Sa­che soll auf­hö­ren. Und jetzt, Herr, ich habe Sie schon wei­ter mit­ge­nom­men, als ich hät­te tun sol­len.«

      »Ich hof­fe, mei­ne Im­per­ti­nenz – –«

      »Durchaus nicht, Herr, durch­aus nicht.«

      Wir blick­ten ein­an­der einen Au­gen­blick an. Ich hob den Hut und wünsch­te ihm einen gu­ten Abend. Er er­wi­der­te krampf­haft, und so gin­gen wir un­se­rer Wege.

      Am Zaun­tritt blick­te ich auf sei­ne ver­schwin­den­de Ge­stalt zu­rück. Sein Ge­ba­ren war merk­wür­dig ver­än­dert, er schi­en lahm, zu­sam­men­ge­schrumpft. Der Kon­trast mit sei­nem ehe­ma­li­gen ges­ti­ku­lie­ren­den, sum­men­den Selbst er­griff mich ab­sur­der­wei­se als pa­the­tisch. Ich be­ob­ach­te­te ihn, bis er nicht mehr zu se­hen war. Dann kehr­te ich mit dem herz­li­chen Wunsch, ich hät­te mich an mei­ne ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten ge­hal­ten, in mein Som­mer­haus und zu mei­nem Dra­ma zu­rück.

      Am nächs­ten Abend sah ich ihn nicht. Aber er lag mir sehr im Sinn, und mir war ein­ge­fal­len, er kön­ne in der Ent­wick­lung mei­nes Dra­mas als ein sen­ti­men­tal ko­mi­scher Cha­rak­ter ei­nem nütz­li­chen Zwe­cke die­nen. Am drit­ten Tage mach­te er mir einen Be­such.

      Eine Zeit lang plag­te mich der Ge­dan­ke, was ihn wohl her­ge­führt habe. Er mach­te aufs for­mells­te gleich­gil­ti­ge Kon­ver­sa­ti­on; dann kam er un­ver­mit­telt aufs Ge­schäft. Er woll­te mich aus mei­nem Haus her­aus­kau­fen.

      »Sie sehn«, sag­te er, »ich ta­de­le Sie nicht im ge­rings­ten, aber Sie ha­ben eine Ge­wohn­heit zer­stört, und das des­or­ga­ni­siert mir mei­nen Tag. Ich bin hier jah­re­lang ge­gan­gen – Jah­re. Ohne Zwei­fel habe ich ge­summt … All das ha­ben Sie un­mög­lich ge­macht!«

      Ich schlug vor, er sol­le es mit ei­ner an­de­ren Rich­tung ver­su­chen.

      »Nein. Es gibt kei­ne an­de­re Rich­tung. Dies ist die ein­zi­ge. Ich habe mich er­kun­digt. Und jetzt – je­den Nach­mit­tag um vier – da komm ich an eine blin­de Mau­er.«

      »Aber, mein lie­ber Herr, wenn die Sa­che für Sie von sol­cher Be­deu­tung ist – –«

      »Es ist eine Le­bens­fra­ge. Sie sehn, ich bin – ich bin ein For­scher – ich bin mit ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chung be­schäf­tigt. Ich woh­ne – –« er hielt inne und schi­en zu den­ken. »Da drü­ben«, sag­te


Скачать книгу