H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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des Aufruhrs zu­ei­len. Ca­vor flog, mit Fü­ßen und Ar­men schla­gend, wie­der her­ab, roll­te eine Stre­cke weit am Bo­den hin, ar­bei­te­te sich in die Höhe, wur­de auf­ge­ho­ben und mit enor­mer Ge­schwin­dig­keit vor­wärts ge­tra­gen, bis er schließ­lich zwi­schen den rin­gen­den, peit­schen­den Bäu­men ver­schwand, die sich um sein Haus wan­den.

      Eine Mas­se von Rauch und Aschen und ein Block bläu­lich leuch­ten­den Stof­fes stürm­te zum Ze­nith em­por. Ein großes Zaun­frag­ment kam an mir vor­bei­ge­se­gelt, fiel auf die Kan­te, schlug zu Bo­den und kam flach zu lie­gen, und da­mit war das Schlimms­te vor­bei. Die Luft­be­we­gung leg­te sich rasch, bis sie nur noch ein kräf­ti­ger Sturm war, und mir kam noch ein­mal wie­der zum Be­wusst­sein, dass ich Atem und Füße hat­te. In­dem ich mich ge­gen den Wind zu­rück­lehn­te, ge­lang es mir, ste­hen zu blei­ben, und ich konn­te zu­sam­men­su­chen, was mir noch an Ver­stand blieb.

      In dem Mo­ment hat­te sich das gan­ze An­ge­sicht der Erde ver­än­dert. Der ru­hi­ge Son­nen­un­ter­gang war ver­schwun­den, der Him­mel war dun­kel vor fe­gen­den Wol­ken, al­les war flach­ge­legt und schwank­te mit dem Sturm. Ich warf einen Blick zu­rück, um zu se­hen, ob mein Haus im großen und gan­zen noch ste­he, und stol­per­te dann auf die Bäu­me zu, un­ter de­nen Ca­vor ver­schwun­den war, und durch de­ren große, blät­ter­nack­te Äste die Flam­men sei­nes bren­nen­den Hau­ses leuch­te­ten.

      Ich be­trat das Ge­büsch, in­dem ich von ei­nem Baum zum an­de­ren flog und mich an sie an­klam­mer­te; eine Zeit lang such­te ich ihn ver­ge­bens. Dann merk­te ich, dass sich mit­ten in ei­nem Hau­fen zer­knit­ter­ter Äste und Zaun­werks, der sich ge­gen einen Teil sei­ner Gar­ten­mau­er auf­ge­baut hat­te, et­was rühr­te. Ich such­te da­hin­zu­lau­fen; aber ehe ich es er­reich­te, lös­te sich ein brau­ner Ge­gen­stand da­von los, er­hob sich auf zwei schlamm­be­schmutz­ten Bei­nen und hielt zwei hän­gen­de, blu­ten­de Hän­de vor sich hin. Von sei­nem mitt­le­ren Teil flat­ter­ten ein paar zer­fetz­te Klei­der­res­te aus, die vor dem Win­de schwe­ben blie­ben.

      Ei­nen Mo­ment lang er­kann­te ich die­sen Erd­klum­pen nicht, und dann sah ich, dass es Ca­vor war, über­zo­gen von dem Schlamm, in den er ge­rollt war. Er lehn­te sich ge­gen den Wind vorn­über und rieb sich den Schmutz aus Au­gen und Mund.

      Er streck­te eine schlam­mi­ge Hand­mas­se aus und stol­per­te auf mich zu. Sein Ge­sicht ar­bei­te­te vor Er­re­gung, und fort­wäh­rend fie­len klei­ne Erd­klum­pen da­von her­ab. Er sah so be­schä­digt und er­bärm­lich aus wie nur ir­gend­ein le­ben­des Ge­schöpf, das ich je ge­se­hen hat­te, und da­her ver­blüff­te mich sei­ne Be­mer­kung au­ßer­or­dent­lich: »Gra­tu­lie­ren Sie mir«, keuch­te er, »gra­tu­lie­ren Sie mir!«

      »Ih­nen gra­tu­lie­ren?«, sag­te ich. »Gü­ti­ger Him­mel! Wozu?«

      »Ich hab’s fer­tig ge­bracht.«

      »Wahr­haf­tig. Was zum Teu­fel hat die Ex­plo­si­on ver­an­lasst?«

      Ein Wind­stoß blies sei­ne Wor­te fort. Ich ver­stand so­viel, dass er sag­te, es sei gar kei­ne Ex­plo­si­on. Der Wind wir­bel­te mich in eine Kol­li­si­on mit ihm, und wir stan­den und klam­mer­ten uns an­ein­an­der.

      »Ver­su­chen Sie, zu mei­nem Hau­se zu­rück­zu­kom­men«, brüll­te ich ihm ins Ohr. Er hör­te mich nicht und rief et­was wie »drei Mär­ty­rer-Wis­sen­schaft«, und auch et­was wie »nicht viel wert«. Zu der Zeit quäl­te er sich un­ter dem Ein­druck, sei­ne drei Ge­hil­fen sei­en in dem Wir­bel­wind um­ge­kom­men. Zum Glück war das nicht rich­tig. So­wie er sich nach mei­nem Hau­se auf dem Weg ge­macht hat­te, wa­ren sie zum Wirts­haus in Lym­pne ge­gan­gen, um die Fra­ge der Schmel­zö­fen über ei­ner klei­nen Er­fri­schung zu er­ör­tern.

      Ich wie­der­hol­te mei­nen Vor­schlag, zu mei­nem Hau­se zu­rück­zu­keh­ren, und dies­mal ver­stand er. Wir hin­gen uns Arm in Arm und er­reich­ten schließ­lich den Schutz des­sen, was mir noch von mei­nem Da­che ge­blie­ben war. Eine Zeit lang sa­ßen wir in Lehn­stüh­len und keuch­ten. Alle Fens­ter wa­ren zer­bro­chen, und die leich­teren Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de wa­ren in großer Un­ord­nung, aber kein un­wi­der­ruf­li­cher Scha­den war an­ge­rich­tet. Zum Glück hat­te die Kü­chen­tür den Druck dar­auf aus­ge­hal­ten, so­dass alle mei­ne Ton­wa­ren und Koch­ma­te­ria­li­en am Le­ben ge­blie­ben wa­ren. Der Öl­ofen brann­te noch, und ich setz­te das Was­ser für den Tee von neu­em zum Ko­chen auf. Und als das ge­sche­hen war, konn­te ich mich um sei­ne Er­klä­rung an Ca­vor wen­den.

      »Ganz in Ord­nung«, be­harr­te er, »ganz in Ord­nung. Ich hab’s fer­tig ge­bracht, und al­les stimmt.«

      »Aber«, pro­tes­tier­te ich. »In Ord­nung! Kei­ne Scheu­ne kann mehr ste­hen, kein Zaun, kein Stroh­dach, nicht im Um­kreis von zwan­zig Mei­len …«

      »Es stimmt al­les – wahr­haf­tig. Na­tür­lich habe ich den klei­nen Aufruhr nicht vor­aus­ge­se­hen. Mein Geist war mit ei­nem an­de­ren Pro­blem be­schäf­tigt, und ich ver­ges­se die­se prak­ti­schen Sei­ten­er­geb­nis­se leicht. Aber es ist ganz in Ord­nung – –«

      »Mein lie­ber Herr«, rief ich, »se­hen Sie denn nicht, dass Sie für Tau­sen­de von Pfund Scha­den an­ge­rich­tet ha­ben?«

      »O, da werf ich mich auf Ihre Ver­schwie­gen­heit. Ich bin na­tür­lich kein prak­ti­scher Mensch, aber mei­nen Sie nicht, dass man es als einen Wir­bel­sturm an­se­hen wird?«

      »Aber die Ex­plo­si­on – –«

      »Es war kei­ne Ex­plo­si­on. Es ist ganz ein­fach. Nur, wie ge­sagt, ich über­se­he die­se Klei­nig­kei­ten leicht. Es ist die­se Su­suhh-Ge­schich­te in grö­ße­rem Maß­sta­be. Un­be­dach­ter­wei­se habe ich die­sen mei­nen Stoff, dies Ca­vo­rit, in ei­ner dün­nen, wei­ten Schicht …«

      Er un­ter­brach sich. »Es ist Ih­nen ganz klar, dass der Stoff ge­gen die Gra­vi­ta­ti­on un­durch­läs­sig ist, dass er die Din­ge von ge­gen­sei­ti­ger Gra­vi­ta­ti­on ab­schnei­det?«

      »Ja«, sag­te ich. »Ja.«

      »Nun, so­wie er die Tem­pe­ra­tur von 60° Fah­ren­heit er­reicht hat­te und der Pro­zess sei­ner Her­stel­lung vollen­det war, hat­te die Luft dar­über, hat­ten die Tei­le von Dach und De­cke und Bo­den dar­über kein Ge­wicht mehr. Ich glau­be, Sie wis­sen – das weiß heu­te je­der – dass die Luft als ein ge­wöhn­li­cher Kör­per Ge­wicht hat, dass sie auf al­les an der Ober­flä­che der Erde drückt, dass sie in al­len Rich­tun­gen drückt, und zwar mit ei­nem Druck von vier­zehn und ei­nem hal­b­en Pfund auf den Qua­drat­zoll?«

      »Das weiß ich«, sag­te ich. »Nur wei­ter.«

      »Ich weiß das auch«, be­merk­te er. »Nur zeigt dies, wie nutz­los das Wis­sen ist, wenn man es nicht an­wen­det. Sie se­hen, das hör­te über un­sern Ca­vo­rit auf, dort hör­te die Luft auf, ir­gend­wel­chen Druck aus­zuü­ben, und die Luft dar­um und nicht über dem Ca­vo­rit übte auf die­se plötz­lich ge­wicht­lo­se Luft einen Druck von vier­zehn ei­nem hal­b­en Fuß auf den Qua­drat­zoll aus. Ah! Sie be­gin­nen zu be­grei­fen! Die Luft um das Ca­vo­rit dräng­te auf die Luft dar­über mit un­wi­der­steh­li­cher Ge­walt ein. Die Luft über dem Ca­vo­rit wur­de hef­tig auf­wärts ge­trie­ben, die Luft, die nach­stürz­te, um sie zu er­set­zen, ver­lor als­bald ihr Ge­wicht, hör­te auf, ir­gend­wel­chen Druck aus­zuü­ben, folg­te nach, durch­schlug


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