Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner

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Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman - Friederike von Buchner


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beflügelte. Das Malen ging ihr so gut von der Hand wie schon lange nicht mehr. Fast jeden Tag entstand ein neues Bild, einmal in Öl, dann wieder in Aquarellfarben oder in Kreide.

      Alexandra bewahrte die Bilder in einem der hinteren Räume der Almhütte auf, die vorher wohl so etwas wie eine Vorratskammer oder Käsekammer gewesen war. Außer diesem Raum gab es einen großen Wohn-, Küchen- und Arbeitsraum und eine kleine Kammer mit einem Bett, einen zweitürigen Schrank, einem Stuhl und einer Ecke mit einem Heiligenwinkel. Darin schlief Alexandra.

      Anna besuchte die Freundin, die um einige Jahre jünger war, fast jeden zweiten Tag. Anna hatte ihr geholfen die Almhütte zu säubern. Gemeinsam hatten sie neue Gardinen an den kleinen Fenstern aufgehängt. Auf Annas Anregung hin hatte Alexandra begonnen, die wenigen Kammertüren zu bemalen, ebenso wie die einfachen Holzmöbel. Jeden Tag nahm sich Alexandra ein anderes Stück vor, mal war es die Sitzfläche eines Hockers, mal war es eine Schublade der alten Kommode oder die Kante eines Wandregals.

      Diese Malerei machte Alexandra viel Freude. Sie hatte das Gefühl, dass sie dabei mit dem Geist der Berge verschmolz. Immer öfter dachte sie daran, ihr Studio in New York ganz aufzugeben. Ihren Kunstagenten konnte sie beibehalten. Wenn sie ihn besuchen musste oder bei einer Ausstellung ihre Anwesenheit erforderlich war, dann könnte sie bei Bekannten wohnen oder in einem Hotel. Der Gedanke reizte Alexandra immer mehr. Aber der Sommer war noch lang, und sie wusste, dass sie sich mit dieser Entscheidung Zeit lassen konnte.

      Die Abende waren für Alexandra etwas ganz Besonderes. Wenn sie nicht auf der Berghütte war, dann saß sie vor ihrer Hütte und ließ den Sonnenuntergang auf sich wirken. Sie trank die Farben, in denen die Berge im Abendlicht leuchteten. Sie sah, wie die Schatten aus dem Tal immer höher krochen, bis sie schließlich die Gipfel mit ihrer Dunkelheit verschlangen und nur im Westen am Himmel noch ein zartes Rosa zu sehen war. Alexandra blieb meistens lange auf. Sie lauschte den Geräuschen der Nacht, den Melo­dien der Berge, wie sie es nannte. Da war eine tiefe Stille, die jedes Geräusch verstärkte und wiedergab, auch wenn es noch so weit entfernt war. Wenn der Wind günstig stand, hörte sie gelegentlich sogar die Musik von der Berghütte, wenn der alten Alois auf seiner Ziehharmonika spielte. Dann wehten leise Klänge über das Tal und mischten sich mit den Tönen der Natur. Da war ein gelegentliches Knacken der Felswände. Manchmal hörte man, wie irgendwo ein Steinschlag abging. Aber am schönsten war, wenn die Kirchturmuhr die Mitternachtsstunde verkündete. Dann hingen die Töne der Glockenschläge über dem Tal. Es dauerte lange, bis sie verklungen waren und das Echo nicht mehr zurückkam. Alexandra kam es dann jedes Mal so vor, als wollten die Glockenschläge die Menschen daran erinnern, dass oben im Himmel jemand über sie wachte. Alexandra kannte die Geschichten über die Engel auf dem »Engelssteig«. Anna hatte in ihren Briefen davon geschrieben. Wenn sie in der Nacht die Glocken schlagen hörte, dachte sie daran und lächelte still vor sich hin. Vielleicht sollte ich auch einmal mit den Engeln reden, überlegte Alexandra schon mehrere Tage. Wenn es stimmt, was die alten Sagen und Legenden berichten, dann könnte ich die Engel bitten, mir die wahre Liebe zu senden. Jemand, der mich liebt, der fehlt mir, ansonsten bin ich glücklich. Doch das Leben ist einsam. Es wäre schöner, es mit jemandem zu teilen, mit einem liebenden Herz.

      Eines Abends, es war schon fast dunkel, hörte Alexandra ein Brummen. Zuerst war es ganz leise, dann wurde es immer lauter. Es war ihr, als käme das Geräusch, das seine Klangfarbe mehrmals wechselte, immer näher. Alexandra empfand es als störend. Es war ein fremdes Geräusch. Was kann es nur sein? Sie überlegte und hörte genau hin. Das fremde aufdringliche Geräusch kam näher.

      Es war das Geräusch eines Autos.

      »Wer fährt da mitten in den Bergen herum?« sagte sie leise vor sich hin. »Noch dazu bei Nacht!«

      Es hatte am Abend geregnet. Der Himmel öffnete in Abständen immer wieder die Schleusen. Es fiel dann ein kurzer und heftiger Regen. Alexandra stand auf, ging einige Schritte vor der Almhütte auf und ab und lauschte. Viel konnte sie nicht sehen. Wolken verdeckten das sonst so hell scheinende Mondlicht.

      Dann erkannte sie oberhalb auf dem Milchpfad am Berg zwei helle Punkte. Es müssen Autoscheinwerfer sein, überlegte Alexandra. Vielleicht will jemand zur Oberländer Alm und dann weiter zur Berghütte. Vielleicht hat sich jemand bei der Anreise verspätet, weil er im Stau stand. Immerhin ist es Hochsaison, dachte Alexandra.

      Sie setzte sich wieder in den Schaukelstuhl und zog die Decke enger um sich. Es war kühl in dieser Nacht. Aber diese Kühle in den Bergen nach diesen sehr trockenen und heißen Tagen empfand sie als sehr angenehm.

      Alexandras Gedanken flogen über den Atlantik. Sie dachte an ihre Abende in New York und ver­glich sie mit den Abenden im schönen Waldkogel. Das Gefühl der Zufriedenheit und des Glücks breitete sich in ihrem Herzen aus.

      Plötzlich schreckte sie von einem Geräusch auf. Es traf sie wie ein Schlag und riss sie aus ihren Gedanken. Es war das Kreischen eines Motors, das von einem Quietschen noch übertönt wurde. Das Geräusch hallte als Echo in den Bergen wider. Dann erfolgte ein Knall. Es krachte, ein berstendes Geräusch zerriss die Luft, wie sie nur zersplitterndes Glas und sich verformendes Blech machen konnten. Der Lärm wurde noch von anderen Tönen überlagert, die Alexandra nicht deuten konnte. Außerdem ging alles ganz schnell, gleichzeitig spürte Alexandra, wie die Holzdielen auf der kleinen Terrasse vor der Almhütte bebten. Die Tür hinter ihr fiel mit einem Knall ins Schloss, die Fensterscheiben der Almhütte zersprangen mit lautem Knall. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Luft. In dem großen Raum stürzten Töpfe und Pfannen von den Wänden.

      Alexandra sprang einem Instinkt folgend, von ihrem Schaukelstuhl auf und hechtete unter den freien Himmel, der wieder seine Schleusen geöffnet hatte. Es dauerte noch Sekunden, bis es wieder still war. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie fasste sich an die Brust, als wollte sie es festhalten.

      »Himmel, stehe mir bei, was war das? War das ein Erdbeben?«, flüsterte sie fast tonlos vor sich hin.

      Mit angehaltenem Atem lauschte Alexandra in die Nacht.

      »Hallo? Hallo!!«, eine Stimme drang an Alexandras Ohr.

      Es bestand kein Zweifel. Es kam ganz aus der Nähe.

      »Hört mich keiner? Hiiiilfe! Haaallooo! Hiiiilfe! Ich bin eingeklemmt!«

      Es war die Stimme eines Mannes. Langsam ließ Alexandras Schockzustand nach. Ihr Herz klopfte immer noch. Diese Hilferufe heizten ihre Angst wieder an. Am ganzen Körper zitternd, ging sie in weitem Bogen um die Almhütte herum, denn sie hatte inzwischen die Richtung der Hilferufe ausgemacht.

      Plötzlich hörte es auf zu regnen. Die Wolkendecke riss auf, und der Mond stand wie eine Laterne am Himmel. Was Alexandra da im Mondlicht sah, konnte sie zuerst nicht glauben. Sie blieb stehen und zog die Decke enger um ihren Körper.

      In der hinteren Giebelwand ihrer Almhütte steckte ein rotes Auto. Die Motorhaube war nicht mehr zu sehen. Das Auto steckte bis zur Hälfte in der Wand!

      »Hallo, Sie! Sie dort! Helfen Sie mir! Ich bin hier drin! Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen!«, schrie ein Mann.

      Alexandra hörte ihn nur wie von Weitem, wie durch einen Schleier.

      »Nun hören Sie doch! Sind Sie taub? Helfen Sie mir sofort hier heraus!«, schrie der Mann.

      Langsam löste sich Alexandra aus ihrer Erstarrung. Sie ging hin. Sie konnte kaum begreifen, was sie da sah.

      »Sie – Sie, Frau da! Nun helfen Sie mir endlich!«, brüllte der Mann wieder.

      Alexandra hatte keine Ohren dafür. Sie wusste nur, hinter der Wand war die Kammer mit ihren Bildern. An der Wand hatte sie die schönsten und gelungensten aufgehängt. Ihr Herz zog sich zusammen. Ein großer Schmerz jagte ihr durch die Brust. Wut, eine grenzenlose Wut stieg in ihr auf.

      »Meine Bilder! Meine schönen Bilder«, flüsterte sie vor sich hin.

      »Wunderbar! Sie können also reden! Das ist ja schon mal ein Trost. Stumm sind Sie also nicht! Kommen Sie her und helfen Sie mir hier heraus!«

      Alexandra ließ die Decke fallen, die sie umgehängt hatte und trat näher zum Auto heran.

      »Ziehen


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