Geld und Leben. Ewald Nowotny

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Geld und Leben - Ewald Nowotny


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zunächst zu einer durch Rationierung – halbwegs – zurückgestauten Inflation. Im Chaos der Nachkriegszeit brach diese Inflation aber in den Verliererstaaten in dramatischer Weise aus. Auf die bis heute wirkenden Folgen dieser Zeit, in der „Geld“ in traumatischer Form „Leben“ bestimmte, wird dieses Buch noch eingehen.

      Das bedeutet freilich nicht, dass die „Magie des Goldes“ verschwunden ist. Ökonomisch gesehen, ist Gold heute ein – nur eingeschränkt nützlicher – Rohstoff. Keynes, wohl der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, hat es ein „barbarisches Relikt“ genannt, das mit großer Mühe aus der Erde herausgeholt wird, um dann zum größten Teil wieder in den Kellern der Notenbanken vergraben zu werden. Aber eine jahrtausendealte Geschichte und der unzerstörbare Glanz haben dazu geführt, dass man es nach wie vor als Zahlungsmittel betrachtet, von dem man erwartet, dass es auch in Krisenzeiten akzeptiert wird. Dies galt speziell für die Generation meiner Eltern, geprägt vom Erleben mehrfacher Entwertung des staatlichen Geldes, und wirkt heute noch nach. Für mich persönlich ergibt sich hier eine spezielle Verbindung von „Geld und Leben“. Nach den Erzählungen meiner Mutter wäre ich als Baby im Nachkriegs-Wien wohl verhungert, hätte sie nicht noch ein paar Goldmünzen gehabt, die sie gegen Nahrungsmittel eintauschen konnte.

      Für Notenbanken haben heute Währungsreserven in Gold (neben Währungsreserven in Devisen) nicht die Funktion einer „Deckung“ der Währung, sondern stellen ein Mittel dar, um gegen unerwünschte Abwertungen der eigenen Währung zu intervenieren. Dies gilt auch heute für Notenbanken, die ein festgelegtes Wechselkurs-Ziel verteidigen wollen – wobei Gold verkauft werden kann oder als Sicherheit für Darlehen dient. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion, wo es ja intern keine Wechselkurse gibt und die nach außen eine Politik flexibler Wechselkurse betreibt, ist diese Funktion der Wechselkurs-Stabilisierung heute weggefallen. Die Goldreserven sind daher eher von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, etwa als letzte Interventionsmöglichkeit bei sonstiger Unmöglichkeit, lebenswichtige Importe zu finanzieren. Gold hat dabei gegenüber Devisen als Währungsreserve den Nachteil, nicht ertragbringend zu sein, aber den Vorteil, „diskret“ und nicht den Entwicklungen eines „Leitwährungs-Landes“ – heute die USA –, ausgesetzt zu sein.

      In der empirischen Erfassung von „Geld“ werden entsprechend dem Konnex zwischen Notenbank und Bankensystem aufeinander aufbauende Geldkonzepte verwendet. Der engste Geldbegriff – „M1“ – erfasst das umlaufende Bargeld (Banknoten und Münzen) und täglich fällige Bankeinlagen (Giralgeld). Das ist das sofort verfügbare Geld mit maximaler Liquidität. Je nach abnehmendem Grad der Liquidität (mögliche zeitliche Verfügbarkeit) sind dann weitere Veranlagungen (zum Beispiel Wertpapiere mit maximal zweijähriger Laufzeit) Teile einer weiter gefassten Geldmenge mit den Bezeichnungen M2 beziehungsweise M3. Die gesamte Geldmenge M3 betrug im Euroraum per Juni 2020 13.790 Mrd. Euro, wovon 9.629 Mrd. auf M1 entfielen. Davon waren wiederum „nur“ 1.297 Mrd. der Bargeldbestand („currency in circulation“), der am ehesten der unmittelbaren Vorstellung des „Gelddruckens“ entspricht. Den großen Rest von M1 stellt das jederzeit verfügbare Geld auf Girokonten dar.

      Der speziell von dem einflussreichen Ökonomen Milton Friedman propagierte Ansatz des „Monetarismus“ ging aus von einem engen und stabilen Zusammenhang zwischen dem Geldmengen-Aggregat M3 und der Inflationsentwicklung. Die empirische Analyse zeigte aber, dass ein entsprechend stabiler Zusammenhang nicht gegeben ist. Die Entwicklung des Preisniveaus ist von vielen Faktoren bestimmt. Eine an der Entwicklung von M3 orientierte „Geldmengen-Regel“, wie sie viele Notenbanken in den 1970er- und 1980er-Jahren befolgten, hat sich daher als nicht erfolgreich erwiesen. Heute setzen sich die meisten Notenbanken, so auch die EZB, direkt Preisstabilität als primäre oder jedenfalls wesentliche Zielsetzung. Die Veränderungen der jeweiligen Geldmengen-Aggregate werden aber weiterhin als Teilbereich der geldpolitisch relevanten Informationen analysiert.

      Zentral für jedes Wirtschaftssystem ist demnach das Vertrauen in ein verantwortungsbewusstes Handeln der Notenbanken und die Existenz ergänzender Sicherheitsvorkehrungen gegen Missbrauch. Dem entspricht eine ordnungspolitische Grundlage, in der Notenbanken als vom Staat unabhängige Institutionen geschaffen wurden, denen die demokratisch legitimierte Gesetzgebung klare Ziele vorgibt. In der deutschen, auf die EZB übertragenen Tradition ist dieses Ziel die Preisstabilität, in der amerikanischen Tradition, der auch das frühere österreichische Nationalbank-Gesetz entsprach, das „duale Mandat“ von Preisstabilität und hoher Beschäftigung.


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