Geld und Leben. Ewald Nowotny
Читать онлайн книгу.zunächst zu einer durch Rationierung – halbwegs – zurückgestauten Inflation. Im Chaos der Nachkriegszeit brach diese Inflation aber in den Verliererstaaten in dramatischer Weise aus. Auf die bis heute wirkenden Folgen dieser Zeit, in der „Geld“ in traumatischer Form „Leben“ bestimmte, wird dieses Buch noch eingehen.
Die Nostalgie nach der „guten, alten Zeit vor dem Weltkrieg“ führte speziell bei konservativen Wirtschaftspolitikern zu den Versuchen, nach dem Ersten Weltkrieg möglichst rasch wieder zum Geldsystem des Goldstandards zurückzukehren. Der spektakulärste Versuch in dieser Richtung war die vom damaligen konservativen Schatzkanzler Winston Churchill 1925 durchgeführte Rückkehr des Britischen Pfundes zum Goldstandard. Wie von John Maynard Keynes richtig vorausgesagt,3 endete dieser politisch motivierte Versuch in einem wirtschaftlichen Desaster. Mit Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise brach die internationale Herrschaft des Goldstandards endgültig zusammen.
Das bedeutet freilich nicht, dass die „Magie des Goldes“ verschwunden ist. Ökonomisch gesehen, ist Gold heute ein – nur eingeschränkt nützlicher – Rohstoff. Keynes, wohl der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, hat es ein „barbarisches Relikt“ genannt, das mit großer Mühe aus der Erde herausgeholt wird, um dann zum größten Teil wieder in den Kellern der Notenbanken vergraben zu werden. Aber eine jahrtausendealte Geschichte und der unzerstörbare Glanz haben dazu geführt, dass man es nach wie vor als Zahlungsmittel betrachtet, von dem man erwartet, dass es auch in Krisenzeiten akzeptiert wird. Dies galt speziell für die Generation meiner Eltern, geprägt vom Erleben mehrfacher Entwertung des staatlichen Geldes, und wirkt heute noch nach. Für mich persönlich ergibt sich hier eine spezielle Verbindung von „Geld und Leben“. Nach den Erzählungen meiner Mutter wäre ich als Baby im Nachkriegs-Wien wohl verhungert, hätte sie nicht noch ein paar Goldmünzen gehabt, die sie gegen Nahrungsmittel eintauschen konnte.
Für Notenbanken haben heute Währungsreserven in Gold (neben Währungsreserven in Devisen) nicht die Funktion einer „Deckung“ der Währung, sondern stellen ein Mittel dar, um gegen unerwünschte Abwertungen der eigenen Währung zu intervenieren. Dies gilt auch heute für Notenbanken, die ein festgelegtes Wechselkurs-Ziel verteidigen wollen – wobei Gold verkauft werden kann oder als Sicherheit für Darlehen dient. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion, wo es ja intern keine Wechselkurse gibt und die nach außen eine Politik flexibler Wechselkurse betreibt, ist diese Funktion der Wechselkurs-Stabilisierung heute weggefallen. Die Goldreserven sind daher eher von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, etwa als letzte Interventionsmöglichkeit bei sonstiger Unmöglichkeit, lebenswichtige Importe zu finanzieren. Gold hat dabei gegenüber Devisen als Währungsreserve den Nachteil, nicht ertragbringend zu sein, aber den Vorteil, „diskret“ und nicht den Entwicklungen eines „Leitwährungs-Landes“ – heute die USA –, ausgesetzt zu sein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es mit dem „Bretton Woods-System“ zu einem neuen Weltwährungssystem unter Dollar-Dominanz. Wie in diesem Buch dargestellt wird, endete dieses System mit der Aufhebung der Bindung des Dollar an Gold im Jahre 1971. Dem heutigen System haben Ökonomen den schönen Namen „fiat money“ gegeben – von fiat, dem lateinischen Ausdruck für „es geschehe“. Das bedeutet, Notenbanken sind in der Lage, Geld in ihrer eigenen Währung in unbegrenzter Höhe zu schaffen. Dieses Geld fließt im Wesentlichen durch Kredite an Banken (gegen adäquate Sicherheit) und den Ankauf von Wertpapieren (staatliche und zum Teil private Anleihen) in die Wirtschaft. Die gesamte Geldsumme in einer Volkswirtschaft besteht zu einem geringen Teil aus Bargeld und zum weit überwiegenden Teil aus verschiedenen Formen der Einlagen bei Banken, die dann wieder die Grundlage sind für die „Giralgeld-Schöpfung“ durch das Bankensystem.4
Die Geldschöpfung durch das Bankensystem ist direkt verbunden mit der Funktion der Kreditvergabe. Eine Bank vergibt einen Kredit – dieser stellt ein Aktivum in ihrer Bilanz dar. Gleichzeitig fließt mit der Kreditvergabe „Geld“ in Form einer Zubuchung auf ein Konto des Kreditnehmers, was sich auf der Passivseite der Bankbilanz niederschlägt. Dieses Geld kann dann vom Kreditnehmer ausgegeben werden, was wieder zu Einlagen bei dieser oder anderen Banken führt. Abhängig vom Ausmaß der „Bargeld-Abflüsse“ aus dem Bankensystem ergibt sich ein Prozess der Giralgeld-Schöpfung. Der weit überwiegende Teil der Geldmenge beruht auf der „Alchemie“ der Geldschöpfung im Zusammenhang von „Geld“ und Kredit. Der frühere Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, hat diese Dynamik eindrucksvoll analysiert und Formen einer gesamtwirtschaftlich sinnvollen Struktur des Bankensystems entwickelt, um dessen „Alchemie“ kontrollieren zu können.5
In der empirischen Erfassung von „Geld“ werden entsprechend dem Konnex zwischen Notenbank und Bankensystem aufeinander aufbauende Geldkonzepte verwendet. Der engste Geldbegriff – „M1“ – erfasst das umlaufende Bargeld (Banknoten und Münzen) und täglich fällige Bankeinlagen (Giralgeld). Das ist das sofort verfügbare Geld mit maximaler Liquidität. Je nach abnehmendem Grad der Liquidität (mögliche zeitliche Verfügbarkeit) sind dann weitere Veranlagungen (zum Beispiel Wertpapiere mit maximal zweijähriger Laufzeit) Teile einer weiter gefassten Geldmenge mit den Bezeichnungen M2 beziehungsweise M3. Die gesamte Geldmenge M3 betrug im Euroraum per Juni 2020 13.790 Mrd. Euro, wovon 9.629 Mrd. auf M1 entfielen. Davon waren wiederum „nur“ 1.297 Mrd. der Bargeldbestand („currency in circulation“), der am ehesten der unmittelbaren Vorstellung des „Gelddruckens“ entspricht. Den großen Rest von M1 stellt das jederzeit verfügbare Geld auf Girokonten dar.
Der speziell von dem einflussreichen Ökonomen Milton Friedman propagierte Ansatz des „Monetarismus“ ging aus von einem engen und stabilen Zusammenhang zwischen dem Geldmengen-Aggregat M3 und der Inflationsentwicklung. Die empirische Analyse zeigte aber, dass ein entsprechend stabiler Zusammenhang nicht gegeben ist. Die Entwicklung des Preisniveaus ist von vielen Faktoren bestimmt. Eine an der Entwicklung von M3 orientierte „Geldmengen-Regel“, wie sie viele Notenbanken in den 1970er- und 1980er-Jahren befolgten, hat sich daher als nicht erfolgreich erwiesen. Heute setzen sich die meisten Notenbanken, so auch die EZB, direkt Preisstabilität als primäre oder jedenfalls wesentliche Zielsetzung. Die Veränderungen der jeweiligen Geldmengen-Aggregate werden aber weiterhin als Teilbereich der geldpolitisch relevanten Informationen analysiert.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird freilich unter dem Begriff „Geld“ (in Österreich auch mit dem Adjektiv „geldig“) vielfach privates Vermögen insgesamt verstanden. „Vermögen“ setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, wobei die statistische Erfassung schwierig und oft unvollständig ist, wie auch in einer Erhebung der Oesterreichischen Nationalbank für das Jahr 2018 betont wird.6 Gemäß dieser Studie beträgt das Gesamtvermögen der österreichischen privaten Haushalte inklusive privater Organisationen ohne Erwerbszweck 1.591 Mrd. Euro. Davon entfallen 877 Mrd. auf Immobilien (Bauten, Grund und Boden) und 689 Mrd. auf das Geldvermögen. Davon wieder stellen Einlagen bei Banken mit 258 Mrd. den größten Bestandteil dar, andere Komponenten sind Anteile an Unternehmen, Lebensversicherungen etc. Auf Bargeld entfallen 24 Mrd. Der bei Weitem größte Teil dieser Vermögenswerte wird nicht von der Notenbank „geschaffen“, praktisch alle Komponenten werden aber von Maßnahmen der Geldpolitik der Notenbanken zumindest mitbeeinflusst. Das gilt etwa für die Entwicklung der Inflationsraten in der Wirtschaft insgesamt und im Speziellen der Preise für Immobilien und Wertpapiere.
Zentral für jedes Wirtschaftssystem ist demnach das Vertrauen in ein verantwortungsbewusstes Handeln der Notenbanken und die Existenz ergänzender Sicherheitsvorkehrungen gegen Missbrauch. Dem entspricht eine ordnungspolitische Grundlage, in der Notenbanken als vom Staat unabhängige Institutionen geschaffen wurden, denen die demokratisch legitimierte Gesetzgebung klare Ziele vorgibt. In der deutschen, auf die EZB übertragenen Tradition ist dieses Ziel die Preisstabilität, in der amerikanischen Tradition, der auch das frühere österreichische Nationalbank-Gesetz entsprach, das „duale Mandat“ von Preisstabilität und hoher Beschäftigung.
Technisch erfolgt das unmittelbare Schaffen von Notenbank-Geld weit überwiegend im unbaren Bereich über Zuschreibung auf Konten bei der Notenbank, wobei nur der öffentliche Sektor und der Bankbereich berechtigt sind, solche Konten zu unterhalten.7 Der weitaus geringere – in der Öffentlichkeit mit „Gelddrucken“ verbundene – Teil der Geldversorgung