Geld und Leben. Ewald Nowotny

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Geld und Leben - Ewald Nowotny


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für die Europäerinnen und Europäer eine positive Mitwirkung an dieser Dynamik zu erreichen. Von der menschlichen und politischen Seite her sehe ich die bereichernden Aspekte dieser Globalisierung im Zusammenkommen interessanter und international offener Menschen mit unterschiedlichem historischem Hintergrund, aber vereinbarer Werteorientierung. Es ist dies ein „Weltbürgertum“ auf der Basis einer gemeinsamen Sicht der Welt im Sinne von Aufklärung und gegenseitiger Achtung.

      Ich habe dagegen erhebliche Probleme mit jenem Teil der Menschheit, der leider – noch? – in unterschiedlichen Formen beherrscht ist von religiöser und gesellschaftlicher Intoleranz und von Gewaltbereitschaft. Ich fühle mich aber auch fremd gegenüber manchen Mitgliedern jener strahlenden Managerklasse der Welt der kommerziellen Globalisierung, ausgebildet in exzellenten internationalen Schulen, durch zum Teil absurde Überzahlung ausschließlich gebunden an die Interessen ihrer multinationalen Dienstgeber. Diese „Multis“ sind ihre Heimat, und von diesen werden sie mit Absicht zu jeweils nur zeitlich begrenzten Aufenthalten in die jeweiligen „Gastländer“ geschickt. Zeitlich begrenzt um zu verhindern, dass sie sich mit den Interessen der jeweiligen Bevölkerung verbinden. Es ist dies das alte britische Kolonialprinzip der Verhinderung „to go native“, das zur Schaffung einer hochqualifizierten, bestens „vernetzten“, international völlig mobilen „Söldnertruppe des Kapitalismus“ führt.

      Eine solche Perspektive ist freilich deutlich zu unterscheiden von der „Internationalität der Intellektuellen“, der ich mich voll zugehörig fühle. Die Internationalität der Intellektuellen habe ich am schönsten in meinen Erfahrungen als Wissenschafter, aber auch im Bereich internationaler Institutionen erlebt. Gute Wissenschaft muss international offen sein. Ich habe es stets als Privileg empfunden, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, habe wesentliche Anregungen meines Lebens von Studienaufenthalten und Gastprofessuren an europäischen und außereuropäischen Universitäten empfangen und hier auch viele persönliche Freunde gefunden. Entsprechend sehe ich es auch als Verpflichtung, für die weltweite Freiheit dieser „Republik des Wissens“ – der „République des Lettres“ zu kämpfen – eine Freiheit, die immer wieder durch autoritäre Regimes bedroht ist. So war ich zur Zeit des kommunistischen Regimes in Osteuropa bemüht, von Österreich aus Kontakte für ein offenes, kritisches Denken mit Angehörigen dortiger Universitäten zu halten. Auch heute bemühe ich mich als Präsident der Bruno Kreisky Stiftung für Menschenrechte gemeinsam mit meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, bedrohten Intellektuellen zumindest kleine materielle und symbolische Hilfe zu leisten. Ich bin ein großer Bewunderer der ja vielfach angefeindeten, von George Soros initiierten und finanzierten Open Society Foundation. Im Sinne von Karl Popper, der auch für mich eine intellektuelle Leitfigur ist, wird hier nachhaltige, konkrete Arbeit für die Freiheit des Geistes geleistet. Wie wichtig dies nach wie vor selbst in Staaten der Europäischen Union ist, zeigt der tapfere Kampf der Central European University, die ich bei ihrem vom autoritären Orban-Regime erzwungenen Umzug von Budapest nach Wien nach Kräften unterstütze.

       3.Mein Weg zur Ökonomie – Vollbeschäftigung und Preisstabilität

      Geboren in Wien im Kriegsjahr 1944, konnte ich die folgenden Jahrzehnte des Friedens und des wachsenden Wohlstandes in Europa erleben. Die Familie meines Vaters hatte sich nach der Liquidierung der familieneigenen Bank zu einer noch immer wohlhabenden, aber wirtschaftlich extrem vorsichtigen „Hofratsfamilie“ entwickelt. Die Familie meiner Mutter war eine Offiziersfamilie. Mein Großvater, der viel älter war als meine Großmutter und den ich nie kennenlernte, wurde als Sohn des Leibarztes von Feldmarschall Radetzky noch in der Festung von Verona geboren, meine Mutter in einer requirierten Villa in Belgrad, wo mein Großvater als Offizier im Ersten Weltkrieg diente. Nach seinem Tod war meine Mutter stets auf Stipendien angewiesen, was zu einer manchmal extrem starken Leistungsorientierung führte, die mich zweifellos auch deutlich beeinflusst hat. Meine Schwester und ich wuchsen in einer Welt der klassischen Bildung und Kultur auf, die geprägt war vom Prinzip „mehr sein als scheinen“ und von Misstrauen gegenüber der Welt der Wirtschaft. Mein früh gewecktes Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge kam von außen und wurde von der Familie zuerst mit Misstrauen, später mit leicht ironischer Toleranz betrachtet.

      Entscheidend waren hier zwei Onkel mit sehr unterschiedlicher Lebenserfahrung. Der eine war von extremer Korrektheit, in führender Position in einer internationalen Unternehmensgruppe tätig und wollte mich zu einem Schweizer Banker bestimmen. In diesem Sinn schenkte er mir zu meinem 15. Geburtstag ein Abonnement eines Schweizer Börsendienstes mit dem schönen Namen „Der Zürcher Trend zum Wochenend“. Verbunden war dies mit der Übergabe eines kleinen Aktiendepots, gemeinsam mit dem starken Rat, die darin enthaltenen Nestlé-Aktien nie zu verkaufen – ein Rat, den ich an meinen Sohn weitergegeben habe.

      Der andere Onkel war das schwarze, aber eher „goldene“, Schaf der Familie. Seine Mutter entstammte einer sehr reichen Fabrikantenfamilie, er selbst wurde früh ein eher romantischer Linker, kämpfte zeitweise im Spanischen Bürgerkrieg und baute nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wieder ein großes Vermögen auf. Er wohnte in einer prächtigen Villa in Döbling, fuhr riesige amerikanische Autos, war aber – wie er mir stets betonte – von der Instabilität des kapitalistischen Systems überzeugt. Dies äußerte sich eigenartigerweise darin, dass er in seiner Villa hinter jedem Bild Wandtresore voller Gold hatte. In der Tat kam es 1971 nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu einem massiven Anstieg des Goldpreises. Allerdings hatte mein Onkel nach einer Steuerprüfung bereits 1970 den größten Teil seiner Goldbestände verkaufen müssen – was ihn in seiner Sicht der Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems nur bestärkte.

      Beide Onkel hatten je eine Tochter, aber keine Söhne, und wollten mich wohl entsprechend dem Geist der Zeit in ihrem Sinne formen – was ihnen nur in sehr geringem Maß gelang. Denn im Laufe meines Studiums erwachte meine Liebe zur Wissenschaft, und ich habe bei keinem meiner Onkel das geistige und materielle Erbe angetreten. Wohl aber entstand durch diese frühe Exponiertheit gegenüber unterschiedlichen wirtschaftlichen Lebensformen eine Vertrautheit mit interessanten Bereichen des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere auch ein lebenslanges Interesse an dem Verfolgen und Interpretieren des Börsengeschehens, das ich stets analytisch hinsichtlich seiner Finanzierungsfunktion und nicht ideologisch betrachtete. Damit ergab sich wohl auch eine gewisse unmittelbare empirische Fundierung, die vielleicht stärker ist als bei manchen meiner Fachkollegen.

      Mein nachhaltiges Interesse an gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen entwickelte sich jedenfalls aus politischen, historischen und gesellschaftlichen Perspektiven. Bis heute ist dabei für mich im besonderen Maß die Auseinandersetzung mit dem Faschismus prägend, speziell in seinen schrecklichen Ausprägungen in Österreich. Ich hatte von meinen Eltern schon früh über die Gräuel der Nazi-Zeit erfahren, eine tiefe emotionale Betroffenheit erlebte ich aber vor allem, als ich in den frühen 70er-Jahren in den USA lebte und dort Emigranten aus Österreich traf, die bereit und interessiert waren, einem jungen Österreicher ihre Erfahrungen weiterzugeben.

      Meine Mutter war Schülerin eines privaten Mädchen-Gymnasiums gewesen, in dem Mädchen aus Familien der Wiener jüdischen intellektuellen Elite sehr stark vertreten waren. Sie hatte im Jahr 1938 ihren ehemaligen Mitschülerinnen, die sich ja nicht mehr auf die Straße wagen konnten, vielfache Hilfe leisten können, in einem Fall auch eine Verlobung ermöglicht. Viele dieser jungen Frauen haben sich in die USA retten können und waren in den 70er-Jahren, als ich an der Harvard Universität arbeitete, rührend bestrebt, meine Frau und mich einzuladen und zu verwöhnen.

      Aus den vielen Gesprächen bei diesen Einladungen sind mir zwei prägende Erfahrungen geblieben. Zum einen: Der Mensch ist nicht gut „von Natur aus“ – er kann sich zum Guten wie zum Schrecklichen entwickeln. Es kommt darauf an, gesellschaftliche Umstände zu schaffen, die das Gute fördern und das Schreckliche bekämpfen. Aus der Kenntnis der Bestialität, die nicht nur in den KZ-Lagern, sondern schon in den schrecklichen Tagen des „Anschlusses“ in Österreich geherrscht hat, bin ich mir bewusst, wie dünn oft die Schicht der Zivilisation und des Anstandes sein kann, mit der – auch heute und weltweit – Gesellschaften leben, und wie wichtig es ist, schon bösen Anfängen zu wehren. Ich erinnere mich noch gut, wie mir bei einem dieser Abendessen mit jüdischen Freunden ein ehemaliger Arzt aus einem Wiener


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