Geld und Leben. Ewald Nowotny

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Geld und Leben - Ewald Nowotny


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Die Mutter eines dieser Burschen kam unmittelbar danach zu ihm, um sich zu entschuldigen, half ihm beim Aufräumen und erklärte, der „Bua“ sei halt in schlechte Gesellschaft geraten und der Vater schon so lang arbeitslos … Manche der jüdischen Freunde, die wir in Amerika getroffen haben, haben sich zu einem späteren Zeitpunkt dann doch entschlossen, Wien wieder zu besuchen, zu dem sie ja emotional doch eine starke Bindung hatten – trotz all der Schrecklichkeiten, die sie dort erlebt hatten. Meine Frau und ich haben diese Freunde dann bei vielen Spaziergängen begleitet und wir konnten das Gefühl mitempfinden, hier unter „normalen Menschen“ zu sein, bei denen man nicht wusste, wie sie oder ihre Verwandten sich in den Jahren der Nazi-Herrschaft verhalten hatten oder verhalten hätten.

      Auf einer anderen Ebene habe ich aus den unmittelbaren Berichten über das Nazi-verseuchte Treiben an den österreichischen Universitäten der Zwischenkriegszeit (und der Vorläufer schon früher) gelernt, dass formale Bildung und Kultur kein Schutz gegen Unmenschlichkeit sind. Gerade aus dem intellektuellen Bereich können die Giftschwaden von Nationalismus und Rassismus auf eine gesamte Gesellschaft übergreifen – was in jüngerer Zeit etwa auch beim Zerfall Jugoslawiens tragisch zu beobachten war.

      Die Bedeutung der wirtschaftlichen Faktoren zeigte sich auch darin, dass eine der ersten Maßnahmen der einrückenden deutschen Truppen darin bestand, die durch eine verfehlte Politik des „harten Schilling“ angehäuften, erheblichen Goldreserven der Oesterreichischen Nationalbank sofort zu beschlagnahmen und den abnehmenden Währungsreserven der Reichsbank zuzuführen. Die dramatische Unfähigkeit der Regierungen in Deutschland und Österreich gegenüber den Folgen der Weltwirtschaftskriese stand in deutlichem Gegensatz etwa zu den Ansätzen eines New Deal in den USA oder der Politik Schwedens. Diese Unfähigkeit war zum Teil erzwungen durch eine kurzsichtige Gläubiger-Diktatur, sie war aber auch verursacht durch dramatisch falsche Ratschläge führender Wirtschaftswissenschafter jener Zeit, wie etwa eines F. A. von Hayek oder der orthodoxen Notenbanker in Österreich wie in anderen Staaten.

      Eines der – leider seltenen – Beispiele dafür, dass es auch politisch und gesellschaftlich möglich ist, aus der Geschichte zu lernen, ist die internationale Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 durch Finanzpolitik und Notenbanken. Die Finanzkrise hatte das Potenzial, sich zu einer neuen Weltwirtschaftskrise zu entwickeln. Ausgangspunkte waren wirtschaftspolitische Fehler, speziell eine überzogene Deregulierung des Bankensektors. Aber in der dann folgenden Krise war der internationale Konsens der Notenbanker, die Fehler der 1930er-Jahre nicht zu wiederholen. In diesem Sinn haben die Notenbanken wohl mitgeholfen, „die Welt zu retten“. Sie waren bereit, die drohende Illiquidität der Weltwirtschaft rasch durch unbegrenzte Kreditvergabe an das Bankensystem zu bekämpfen, und sie verhinderten Zusammenbrüche von Banken – und damit die massiven negativen Kettenreaktionen. Gleiches gilt für den entschlossenen Einsatz der Geld- und Finanzpolitik angesichts des dramatischen Einbruches der Weltwirtschaft im Zuge der Corona-Krise des Jahres 2020.

      Ich werde auf diese Entwicklungen in den Kapiteln 13 und 20 noch näher eingehen. Hier möchte ich mich erinnern an ein Gespräch, das ich zu einem späteren Zeitpunkt mit Ben Bernanke, dem damaligen Präsidenten der US-Notenbank, hatte. Ben Bernanke hatte sich schon vor der großen Finanzkrise in einer langen wissenschaftlichen Karriere als Professor der Princeton Universität speziell mit der Krise der 1930er-Jahre beschäftigt. Ich war von Ben Bernanke schon von seiner akademischen Arbeit her sehr beeindruckt, ehe ich ihn auch persönlich kennenlernen konnte. Seine Familie kam aus dem Raum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und in seiner Autobiografie zeigt eines der wenigen Fotos seine Großmutter als junge Ärztin im Wiener Franz-Josef-Spital im Jahr 1918.

      In einem der interessanten Gespräche, die ich mit ihm führen konnte, stellte er mir die Frage, wieso in Deutschland die Inflation der 20er-Jahre das grundlegende „wirtschaftliche Trauma“ darstellt, wo doch die Massenarbeitslosigkeit der 1930er-Jahre mit viel dramatischeren wirtschaftlichen und vor allem politischen Folgen verbunden war. Daraus ergibt sich auch der wesentliche wirtschaftspolitische Unterschied in der wirtschaftlichen Grundorientierung zu den USA, wo die wirtschaftliche Katastrophe der 1930er-Jahre das zentrale „Trauma“ darstellt. Eine einfache Antwort auf diese Frage besteht darin, dass die USA eben nie eine so dramatische Inflation erlebten, wie es in Deutschland und Österreich der Fall war. Eine komplexere Perspektive, die sich in diesem Gespräch ergab, betrifft die unterschiedliche soziale Betroffenheit der einzelnen Bevölkerungsgruppen durch Arbeitslosigkeit und Inflation. Speziell die Vernichtung des Geldvermögens des Mittelstandes durch die Hyperinflation hatte ein tiefes Trauma beim – durch die Ausrufung der Republik schon verunsicherten – meinungsbildenden Mittelstand hinterlassen, das dann nach Ende des Zweiten Weltkrieges speziell in Deutschland prägend wurde.

      Massive Inflationen sind in der Regel die Folge von Kriegen, speziell von verlorenen. Als in den USA im Konnex des Vietnam-Krieges und der letztlich dadurch verursachten Dollar-Abwertung und Ölpreis-Erhöhung die Inflation Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre fast zehn Prozent erreichte, erhöhte die amerikanische Notenbank unter ihrem Präsidenten Paul Volcker die Zinsen dramatisch (1981: 14 Prozent) und nach etwa drei Jahren war die Inflation auf 3,7 Prozent zurückgegangen – freilich um den Preis einer, allerdings vorübergehenden, starken Rezession. Aus amerikanischer – und ökonomisch zutreffender – Sicht kann eine Notenbank bei energischem Eingreifen eine überbordende Inflation immer erfolgreich bekämpfen, wobei es Aufgabe der Notenbank in einem demokratischen System ist, die jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Kosten und Nutzen der Inflationsbekämpfung abzuwägen. Dem entspricht auch das „doppelte Mandat“ der US-Notenbank, nämlich die Zielsetzung, Preisstabilität und hohe Beschäftigung zu erreichen. In der Praxis ergibt sich hieraus


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