Geld und Leben. Ewald Nowotny

Читать онлайн книгу.

Geld und Leben - Ewald Nowotny


Скачать книгу

       4.Die Welt der Wissenschaft

      Während meines gesamten beruflichen Wirkens habe ich mich stets primär als Wissenschafter gesehen, freilich als Wissenschafter, der zeitweise innerhalb und zeitweise außerhalb der Institutionenwelt der Wissenschaft lebt. Ein bisschen wie ein Mönch, der zeitweise im Kloster und zeitweise außerhalb wirkt – wobei ich die Analogie nicht zu weit führen will. Mein Fachgebiet ist die Volkswirtschaftslehre, die ich als Teil der Sozialwissenschaften sehe. Der deutsche Begriff „Volkswirtschaftslehre“ ist aber eher veraltet, und die englische Bezeichnung „economics“ lässt auch mehr Spielräume für die Beachtung internationaler Aspekte und den Bezug zu anderen Wissenschaftsbereichen wie Soziologie, Geschichte und Mathematik bis hin zur Philosophie. Im Kern gilt noch die klassische Definition, die Alfred Marshall in seinen grundlegenden „Principles of Economics“ 1898 gab: „Political economy or economics is a study of mankind in the ordinary business of life; it examines that part of individual and social action which is most closely connected with the attainment and with the use of the material requisites of wellbeing.“

      Heute ist die Wissenschaft der Ökonomie in eine Vielzahl von Spezialgebieten aufgegliedert, wobei mein wissenschaftliches Interesse primär dem Bereich der Makroökonomie, das heißt dem Verhältnis wirtschaftlicher Gesamtgrößen, und hier wieder den Fragen der Geld- und Fiskalpolitik gilt. Gerade in diesen Bereichen ist die Verbindung zu politischen Fragestellungen besonders eng, und es ist hier daher besonders wichtig, bei der wissenschaftlichen Arbeit zwischen faktenorientierter Analyse und wertbezogenen Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Da ich selbst ja lange Zeit gleichzeitig Universitätsprofessor und Politiker war, war mir diese Unterscheidung stets besonders wichtig und wurde auch von meinen Studentinnen und Studenten so verstanden.

      Mein Interesse für die Welt der Wirtschaft war, wie gezeigt, schon früh geweckt, wobei es sich zunehmend auf den Bereich der Volkswirtschaft und nicht der Betriebswirtschaft bezog. Wegen des volkswirtschaftlichen Schwerpunktes entschied ich mich, an der Universität Wien und nicht an der Hochschule für Welthandel zu studieren. Mitentscheidend war freilich auch mein Unbehagen mit dem politischen Geist, der damals nach meiner Einschätzung noch bei manchen Professoren und Teilen der Studentenschaft an der Hochschule herrschte. Eine dramatische Bestätigung meines Misstrauens ergab sich 1965 mit der Affäre Borodajkewycz. Borodajkewycz entstammte dem „katholisch-nationalen Lager“ und „würzte“ seine Vorlesungen an der damaligen Hochschule für Welthandel mit antisemitischen und Nazi-affinen Zwischenbemerkungen, unter großer Zustimmung vieler seiner Hörer.

      Der Student (und spätere Finanzminister) Ferdinand Lacina zeigte eine entsprechende Mitschrift seinem Freund (und späteren Bundespräsidenten) Heinz Fischer, damals Sekretär im sozialdemokratischen Parlamentsklub. Fischer wies in einem Artikel auf das skandalöse Verhalten von Prof. Borodajkewycz hin, wurde von diesem geklagt und vor Gericht verurteilt. Er hatte sich nämlich geweigert, den Verfasser der Mitschrift zu nennen, da Lacina zu dieser Zeit noch studierte und negative Reaktionen gegen ihn auf der Hochschule befürchten musste. Heinz Fischer war also bereit, eine Verurteilung in Kauf zu nehmen, um einen Freund nicht zu gefährden – was für einen jungen Juristen am Beginn seiner Berufslaufbahn ein überaus mutiges und nobles Verhalten darstellt.

      Ich habe diese Entwicklungen als Student mit höchstem Engagement mitverfolgt und schätze seit dieser Zeit Heinz Fischer, inzwischen einen meiner besten Freunde, als ehrlichen, zuverlässigen und mutigen Menschen. Nachdem Lacina sein Studium beendet hatte, konnte Heinz Fischer das Verfahren wieder aufnehmen, was dann letztlich zu einer Versetzung in den Ruhestand (mit um einen Prozent gemindertem staatlichem Ruhegenuss) von Prof. Borodajkewycz führte. Vorher hatte es eine gewaltige Demonstration gegen Borodajkewycz gegeben. Was für mich alarmierend und erschreckend war, war der Umstand, dass es als Reaktion darauf (unter dem Vorwand des Schutzes der „Freiheit der Lehre“) zu massiven Gegendemonstrationen rechtsgerichteter Studenten kam, was dann bei Zusammenstößen zum Tod eines betagten Demonstranten führte – das erste Opfer einer politischen Gewalttat in der Zweiten Republik.

      Es ist aber auch wert hervorzuheben, dass die Verbreitung und Akzeptanz von Denkweisen in oft bedenklicher Nähe zu Nationalsozialismus und Antisemitismus bis auf kleine Restbestände heute aus Österreichs Hochschulen verschwunden sind. Zwar gibt es etwa noch schlagende Verbindungen, die auch durchaus beachtlichen Einfluss in Rechtsparteien haben – im Universitätsleben spielen sie aber keine Rolle mehr. Dies gilt auch für den „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS), vielfach als ein Sammelbecken rechter Gruppierungen gesehen. War noch Mitte der 60er-Jahre der RFS an vielen Universitäten, speziell im Bereich Technik und Wirtschaft, größte oder zweitgrößte Studentengruppe, so ist sein Anteil bei den jüngsten Hochschülerschaftswahlen nur mehr minimal. Besonders freut mich diese Entwicklung bei „meiner“ Universität, der Wirtschaftsuniversität. Heute hat der RFS an dieser Universität überhaupt kein Mandat mehr in der Hochschülerschaft – ein klarer und vielleicht zu wenig beachteter Fortschritt und für mich ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, für eine humane und offene Demokratie einzutreten.

      Ich begann jedenfalls 1962 mein Studium an der Fakultät für Rechtsund Staatswissenschaften an der Universität Wien. Diese Fakultät war historisch ja die Wirkungsstätte der großen Ökonomen der „ersten Schule der Österreichischen Nationalökonomie“ gewesen – hatte wie das österreichische Universitätswesen insgesamt durch die „Vertreibung der Intelligenz“ in den Jahren 1934 bis 1945 aber an wissenschaftlicher Qualität und internationaler Reputation massiv verloren. Dennoch begegnete ich dort immerhin einigen eindrucksvollen Forscherpersönlichkeiten und vor allem ambitionierten jungen Assistenten, zu denen ich dann gute Kontakte finden konnte.

      Es gab an den österreichischen Universitäten (bis auf Innsbruck) noch kein eigenständiges Studium der Volkswirtschaftslehre, und so musste ich Rechts- und Staatswissenschaften studieren, um mich dann im dritten Abschnitt zur Nationalökonomie „durchzubeißen“. Ich hatte dadurch später etlichen Nachholbedarf, aber das Jus-Studium hat mir doch ein Verständnis für institutionelle Strukturen vermittelt und mir von der technischen Seite her in meiner Arbeit als Politiker und im Bankwesen durchaus genutzt. Es war damals ein leichtes Studium, immer wieder unterbrochen durch „Bummel-Semester“. Ich hatte daher Zeit für meine Arbeit im ÖGB und für meine politischen Anfänge, worüber ich noch berichten werde.

      Daneben war ich noch einer ganz anderen Welt verbunden, nämlich der „Akademischen Vereinigung für Außenpolitik“ (AVA) als der Jugendgruppe der Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen. Für mich war die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung ein Weg, meinem Interesse für internationale Fragen in der damals noch recht abgeschotteten österreichischen Welt folgen zu können. Es gab hier ein nettes Büro in bester Lage in der Bösendorferstraße, wo auch der Präsident der Liga, ein früherer Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung, quasi seinen Pensionssitz hatte. Er kontrollierte genau, ob die jungen Leute im Zimmer neben seinem Büro auch korrekt angezogen waren – hatte aber bei dieser Gruppe, die sich als junge Diplomaten fühlten, selten etwas auszusetzen. Interessanterweise gab es unter diesen „Kindern aus gutem Hause“ einige, die sozialdemokratischem Denken sehr nahestanden. Ich wurde dann zum stellvertretenden Vorsitzenden dieser Vereinigung gewählt, und einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen der damals durchaus hitzigen Diskussionen zählen bis heute zu meinen besten Freunden.

      Studienmäßig habe ich ein tieferes Verständnis für den Bereich der Wirtschaftswissenschaft aber erst gefunden, als ich nach wenig anregenden Studienjahren an der Universität Wien und einem Aufenthalt am Institut für Höhere Studien Assistent bei Prof. Kurt Rothschild an der Universität Linz wurde. Ich kam hier in eine in vieler Hinsicht spezielle, positive Ausgangsposition: Kurt Rothschild hatte in den Jahren seiner erzwungenen Emigration in Großbritannien studiert und dort die „keynesianische Revolution“ unmittelbar miterlebt. Er war der im Ausland bestbekannte und meist publizierende Ökonom Österreichs. An Österreichs Universitäten – gerade im Bereich der Volkswirtschaftslehre, damals ein Hort konservativer Mittelmäßigkeit – bekam er allerdings lange keinen Lehrstuhl, da er als „linker Keynesianer“ gesehen wurde.

      Rothschild arbeitete – durchaus zufrieden – als Referent für Außenwirtschaft im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Berufung an die neugegründete


Скачать книгу