Geld und Leben. Ewald Nowotny
Читать онлайн книгу.nun nicht mehr bereit, immer mehr Währungsreserven in Dollar zu halten, sondern verlangten stattdessen die Lieferung von Gold zum historisch festgesetzten Preis. Um nun ein „Ausrinnen“ der amerikanischen Goldreserven zu verhindern, beendete die amerikanische Regierung unter Präsident Nixon am 15. August 1971 einseitig die Umtausch-Verpflichtung in Gold. Dieses „Schließen des Goldfensters“ bedeutete den Zusammenbruch des bisherigen Bretton-Woods-Systems und den Übergang von einem System fester Wechselkurse zu dem heute bestehenden Weltwährungssystem flexibler Wechselkurse. Man kann sich leicht vorstellen, dass solche dramatischen Entwicklungen von intensivsten wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen begleitet und zum Teil mitgestaltet waren. Harvard war ein Zentrum dieser Überlegungen. Wir jungen Ökonominnen und Ökonomen hatten die Gelegenheit, laufend mit Professoren, die zwischen Harvard und Washington pendelten, zu diskutieren und mitzuerleben, wie es bei weitgehender Unsicherheit über ihre Effekte schrittweise zu Entscheidungen von größter Tragweite kommt.
Für meine Frau und mich war der Aufenthalt in den USA auch von der persönlichen Seite her überaus spannend und befriedigend. Mit unserem VW-Camper fuhren wir quer über den Kontinent von Harvard nach Berkeley, wo ich einen Vortrag hielt. Dazwischen ein Abstecher nach North Dakota in die Nähe der Hauptstadt Bismarck, einem Ort, wo noch keiner meiner Harvard-Freunde je gewesen war. Entfernte Verwandte meiner Frau, die aus dem Burgenland stammten, zeigten uns dort ihre riesige Ranch, gelegen an einem See, der den Namen der Familie meiner Frau trägt. Vorher hatten unsere freundlichen Gastgeber uns aber noch dringend ersucht, unser Auto, an dessen Stoßstange ein Harvard-Aufkleber prangte, rasch in ihre Garage zu stellen, damit niemand sehen könne, dass sie Besuch aus dieser verruchten Ost-Küsten-Institution hätten.
Bei der Rückfahrt, bei einem Zwischenaufenthalt an der Universität in Princeton, fasste ich beim Einsteigen in mein Auto plötzlich den Beschluss, das Thema meiner Habilitation, an der ich arbeitete, radikal zu ändern. Ich war mit einem finanzwissenschaftlichen Thema nach Harvard gekommen. Dort – und vor allem auch am benachbarten MIT – wurde ich konfrontiert mit der intensiven ersten Welle der Umweltdiskussion, ausgelöst speziell durch den „Bericht des Club of Rome“ über die „Grenzen des Wachstums“. Es war für mich überaus spannend, diese Aspekte mit Fragen der Finanzpolitik zu verbinden. Ich veröffentlichte in diese Richtung einige Aufsätze und schließlich meine Habilitationsschrift „Wirtschaftspolitik und Umweltschutz“.14
Es war für den deutschen Sprachraum die erste systematische Analyse speziell von Emissionsabgaben und Pfandlösungen unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten, einschließlich eines längeren Kapitels über „Probleme von Umweltschutzsteuern im Konsumgüterbereich: Analyse der Vorschläge zur steuerpolitischen Erfassung der von Automobilen ausgehenden Emissionen“. Die Arbeit hatte großen Erfolg, trug mir etliche Auszeichnungen ein (unter anderem gleichzeitig den Theodor Körner Preis und den Kardinal Innitzer-Preis für die beste Habilitationsschrift) und führte zu Berufungen an die TH (jetzt TU) Darmstadt und die Universität Trier.
Im Laufe der Zeit ging freilich mein Interesse an diesem Thema deutlich zurück. Zum einen, weil ich damals wenig Chancen der wirtschaftspolitischen Anwendung sah, an der mir stets viel liegt. Zum anderen, ehrlich gesagt, weil mich dieses Thema in engen Kontakt mit einer Gruppe von naturwissenschaftlich orientierten Ökologinnen und Ökologen brachte, die mit apokalyptischen Untertönen ihre Modelle präsentierten und wo der Gedanke von Korrekturen durch Lenkungseffekte des Preissystems bisweilen auf wenig Verständnis stieß. Eben diese Lenkungseffekte – konkret: zunächst deutlich gestiegene Energiepreise – haben ja etwa dazu geführt, dass die propagierte Katastrophe der Energieknappheit nicht eingetreten ist, sondern im Gegenteil Tendenzen eines weltweiten Energie-Überangebotes bestehen. Auch das für Ökonomen zentrale Denken in Kosten/Nutzen-Kategorien war bei Diskussionen mit Vertretern von Katastrophen-Szenarien nicht leicht vermittelbar. Insgesamt handelt es sich bei der Frage der umweltpolitischen Herausforderungen zweifellos um kurz- wie langfristig höchst relevante Problemstellungen. Letztlich geht es hier für mich aber um die bekannte Max Weber’sche Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Die Gesinnungsethik stellt ab auf ein bedingungsloses Handeln unter moralischem Primat. Verantwortungsethik bemüht sich, die längerfristigen Gesamtfolgen der getroffenen Maßnahmen zu berücksichtigen – entspricht demnach im weiteren Sinn einem gesellschaftspolitischen Kosten-Nutzen-Denken. Erfreulicherweise hat in den letzten Jahrzehnten die Umweltökonomie insgesamt ja eine Entwicklung zu tieferer analytischer ökonomischer Fundierung eingeschlagen – vielleicht war ich hier zu ungeduldig.
Ich übernahm dann letztlich den Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Universität Linz, verbunden mit der Funktion als Mitglied, später Präsident, des Verwaltungsrates der Österreichischen Postsparkasse, der ich seit meiner Mitarbeit an der Entstehung des neuen Postsparkassen-Gesetzes verbunden war. In Linz veröffentlichte ich neben meiner Lehrtätigkeit Aufsätze in international anerkannten Fachjournalen. Als einer der ersten – und bis jetzt nicht sehr zahlreichen – europäischen Ökonomen konnte ich in einem Fachjournal der American Economic Association eine umfangreiche Analyse über Besteuerung und Inflation publizieren.15 Diese Arbeit fand große Resonanz und wurde in mehrere Sammelbände aufgenommen. Mein Lehrbuch „Der öffentliche Sektor“, das erstmals 1987 im wissenschaftlichen Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, erschien, erlebte mehrere Auflagen und erhebliche Bekanntheit in der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft.
Neben den Arbeiten in den Bereichen der Geld- und Finanzpolitik habe ich mich auch über längere Zeit mit dem Bereich der Regionalökonomie beschäftigt und auch ein Buch zu diesem Thema publiziert.16 Die Anregung dafür hatte ich von Kollegen bekommen, die mit Prof. Hajo Riese von der Universität Basel nach Linz gekommen waren, und die vorher auch am „prognos-Institut“ in Basel, dem damals führenden Zentrum für empirische Regionalforschung, mitgearbeitet hatten. In Übernahme von „prognos“-Methoden verfasste ich 1969 mit meinem Freund und Kollegen Bela Löderer die Studie „Oberösterreich 1980“,17 die erste zukunftsorientierte und umfassende Regionalstudie dieser Art in Österreich. Beim heutigen Wiederlesen dieser Studie habe ich gemischte Gefühle. Insgesamt war sie sehr stark getragen vom manchmal vielleicht übertriebenen Wachstumsoptimismus der 1960er- und 1970er-Jahre, aber sie erfasste doch gut den tiefgreifenden Strukturwandel gerade etwa eines Bundeslandes wie Oberösterreich, das sich in seinem politischen Bewusstsein erst mit Verzögerung vom Agrar- zum Industrieland entwickelte.
In dieser Arbeit war auch das erste Mal eine wissenschaftliche – und auch kritische – Analyse der Finanzwirtschaft eines Bundeslandes enthalten, was mich dann zu einer intensiveren Befassung mit Fragen des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden führte. Der „Finanzausgleich“ regelt die Aufteilung des Steueraufkommens zwischen den einzelnen Ebenen des Bundesstaates Österreich und ist damit eine der wichtigsten, aber auch kompliziertesten Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft. Im Reformeifer dieser Epoche wurde später einmal von den Finanzausgleichspartnern eine Expertenkommission zur Neugestaltung im Sinne eines „funktionalen“ Finanzausgleiches gebildet, der auch ich angehörte. Es gab viele und sehr interessante Sitzungen mit Top-Experten aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaft – eine Übernahme der Ergebnisse durch die Politik konnte aber nicht erreicht werden.
Durch meine regionalökonomische Aktivität wurde ich auch hineingezogen in konkrete Fragen der Raumplanung. Es wurde damals von den Gemeinden verlangt, als Voraussetzung für Mittelzuweisungen längerfristige Entwicklungspläne aufzustellen, was auch Annahmen über die wirtschaftlichen Perspektiven und den entsprechenden Raumbedarf inkludierte. Ich wurde hier immer öfter um Gutachten angefragt und habe dann mit einigen Mitarbeitern außerhalb der Universität eine eigene Studiengruppe für diese Aufgaben eingerichtet. Als ich später Abgeordneter wurde, habe ich diese Arbeitsgruppe an meinen engsten Mitarbeiter weitergegeben.
Es war eine interessante Arbeit mit sehr erheblicher langfristiger Wirkung für die betroffenen Menschen und Wirtschaftsbereiche. So gab es etwa bei Gemeinden im oberösterreichischen Zentralraum zwischen Linz und Wels lange und schwierige Diskussionen mit Bürgermeistern und anderen Gemeindepolitikern. Diese Region war in den 60er-Jahren noch weitgehend agrarisch geprägt und politisch entsprechend dominiert. Es war mir aber klar, dass dies eine zentrale Wirtschaftsachse Österreichs werden könnte, und so bedurfte es langer Gespräche, um die Bereitschaft zu