Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.»So öffnen Sie Graf Fourville die Augen. An ihm ist es dann, der Sache ein Ende zu machen,« sprach er mit hartem Tone.
»Aber es würde sie beide töten! Und ich soll eine Denunziantin sein? Niemals.«
»Wohlan so ist meine Mission hier zu Ende. Ich muss Sie Ihrer Schande und Ihrer Sünde überlassen.«
Vergebens bat und flehte Johanna. Er verliess zornbebend das Haus. An dem Pachthof der Couillards vorbeikommend, gewahrte er eine Anzahl Kinder, die vergnügt zuschauten wie Mirza, des Pächters Hündin eine Anzahl Junge warf. Empört jagte er die Kinder mit seinem großen Regenschirm auseinander, den er erbarmungslos auf ihre Schultern niedersausen ließ. Plötzlich fühlte er sich von rückwärts ergriffen und unsanft zum Tore hinausgesetzt. Es war der Baron, der hinzugekommen war und dessen Hass hier endlich Gelegenheit zur Betätigung fand.
Als der Pfarrer am nächsten Sonntage von der Kanzel aus mit einer deutlichen Anspielung auf Schloss Peuples von der mangelnden Achtung vor dem geistlichen Stande und mit einer noch deutlicheren Anspielung von ehebrecherischen Verhältnissen sprach, wurde es selbst Julius zu viel. Er schrieb in geziemender Weise dem Bischof und Abbé Tolbiac wurde zur Ruhe verwiesen.
Aber es war die Ruhe vor dem Sturme. Hin und wieder, wenn Gilberte und Julius ausritten, sahen sie durch ein Gebüsch die schwarze Sutane des Pfarrers schimmern. Und eines Tages als sie nach Vrilette zurückkehrten, begegnete ihnen der Abbé Tolbiac auf der Zugbrücke.
Eine seltsame Unruhe überkam sie; aber bald hatten sie das Ereignis wieder vergessen.
Da eines Nachmittages, als Johanna lesend am Fenster sass, bemerkte sie Graf Fourville, der zu Fuss herankam. Sein Gang war so eilig, dass sie ein Unglück befürchtete. Sie eilte hinunter, um ihn zu empfangen. Sein Aussehen war das eines Wahnsinnigen. »Ist meine Frau hier?« stiess er rau hervor. »Nein«, antwortete Johanna den Kopf verlierend, »ich habe sie heute noch nicht gesehen.« Die Wirkung dieser Worte war erschütternd. Der Riese schien zusammenzuknicken; er nahm den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Augen rollten. Er hatte den Mund geöffnet, wie um zu sprechen; aber kein Ton drang hervor. Endlich wandte er sich um und rannte mit einem Wutschrei dem Meere zu.
Einen Augenblick lief Johanna ihm nach, ihn bittend und beschwörend; er hörte sie nicht. Endlich gab sie ihre Bemühungen auf, als sie ihn mit Riesenschritten der Küste zueilen sah. Von qualvoller Angst gepeinigt, kehrte sie ins Haus zurück.
Der Wind war inzwischen immer heftiger geworden. Stoss um Stoss wehte er vom Meere herüber, schüttelte das junge Grün der Bäume und ließ das Gras in seltsamen Gewimmel auf- und abwogen. Weiße Möven sausten wie Schaumflocken durch die Luft. Ein Hagelschauer folgte und große Körner peitschten das Gesicht des Grafen, der unbekümmert um alles dem Tale von Vaucotte zueilte. Zwei Pferde, die an einem Schäferkarren angebunden waren, zeigte ihm alles.
Er duckte sich nieder und wie der Jäger beim Anblick des Wildes, pürschte er sich auf dem Bauche an den Karren heran. Mit seinem riesigen Körper glich er einem Untier, das auf Tod und Verderben sinnt. Jetzt war er unter dem Karren angelangt. Die Pferde wurden unruhig. Ein Schnitt mit seinem scharfen Waidmesser trennte das Riemenzeug. Als ein neuer Windstoss das Dach des Karrens erzittern ließ, rannten die erschreckten Tiere wie gehetztes Wild davon. Leise legte der Riese sein Ohr an die Tür; dann lugte er durch eine schmale Ritze ins Innere. Hierauf sprang er mit einem mächtigen Satze auf, schob den Riegel an der Aussenseite vor und rannte wie besessen davon, den leichten Karren an den Deichselgabeln hinter sich herziehend. Keuchend klimmte er die Höhe hinauf, seine Last immer mit sich schleppend, bis er oben an dem steilsten Punkt der Küste angelangt war.
Aus dem Innern des Karrens tönte ersticktes Rufen und heftiges Pochen, aber der Riese beachtete es nicht.
Ein Ruck und der zweirädrige Sarg rollte die steile Klippe hinab. Immer schneller wurde sein Lauf, bald schlug er an eine hervorstehende Felsenkante, bald sprang er in einem großen Bogen weiter, dann rollte er wieder wie ein Fass um und um, während jammernde Laute wie aus einem Grabe nach oben schallten. Endlich kam er auf den letzten Vorsprung an und nachdem er noch einen mächtigen Bogen beschrieben hatte, lag er wie ein zerplatztes Ei auf dem steinigen Geröll am Meeresufer.
Ein alter Landstreicher, der unten in einer Vertiefung gekauert hatte, sah plötzlich das seltsame Ungetüm über seinen Kopf hinwegsausen und wenige Schritte vor ihm auf dem Strande zerschellen. Eiligst rannte er davon, um die nächstwohnenden Landleute zu benachrichtigen.
Allmählich lief die ganze Umgebung zusammen. Entsetzt starrten alle die Menschen auf die schaurigen Trümmer unter denen zur Unkenntlichkeit zerschmettert die Körper der beiden hervorragten. Was sollte nun geschehen? Man beschloss endlich, zwei Karren anzuspannen und die Leichen nach Peuples und Vrilette zu schaffen.
Als der Graf den Schäferkarren hatte rollen sehen, war er davongelaufen, so schnell ihn seine Füsse zu tragen vermochten. Nach stundenlangen Umherirren durch Sturm und Regen langte er endlich im Schlosse an. Man teilte ihm sofort mit, dass die Pferde reiterlos angekommen seien. »Es muss ihnen bei dem Sturm etwas passiert sein. Alles soll sofort auf die Suche gehen,« rief er mit stockender Stimme.
Eine Stunde später fuhr ein Karren in den Schlosshof. Man trug eine unkenntliche in Mäntel gehüllte Last die Treppe hinauf. Festen Schrittes folgte ihr der Graf.
Auch in Peuples fuhr ein Karren vor und Johanna brauchte nicht erst zu fragen, was dort unter Mänteln versteckt liege. Mit einem lauten Aufschrei brach sie zusammen. Als sie erwachte, stand ihr Vater neben ihr: »Weißt du schon …« begann er zögernd. »Ja, Papa,« antwortete sie.
An demselben Abend wurde sie von einem toten Kinde entbunden. Es war ein Mädchen.
Ein heftiges Fieber trübte für lange Zeit ihre Sinne.
*
XI.
Drei Monate blieb sie in ihrem Zimmer, immer zwischen Leben und Tod schwebend. Erst allmählich kehrte ihre Gesundheit wieder. Aber niemals fragte sie nach den näheren Umständen jenes schrecklichen Tages, niemals erwähnte sie des Besuches, den Graf Fourville ihr damals gemacht hatte.
Paul war jetzt ihr alles; er wuchs heran und wurde stark und kräftig; aber das Lernen war nicht seine Leidenschaft und in der Religion erzog ihn der Baron nach seinen Ideen. Johanna besuchte die Kirche seit seinem letzten Besuche des Abbé