Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.das zitternde Profil des starren Antlitzes und die Linien des mächtigen Körpers unter den Betttüchern abzeichnete.
Als nur noch ein Häuflein Asche auf dem Boden des Kamins lag, kehrte sie zurück und setzte sich an’s offene Fenster, als wenn sie nicht mehr wagte in der Nähe der Toten zu sein. Das Gesicht in den Händen begann sie aufs Neue zu weinen.
»O, meine arme Mama, meine arme Mama!« seufzte sie unaufhörlich mit verzweiflungsvollem Klagelaut.
In dieser unglücklichen Stunde wurde ein gutes Teil der Kindesliebe in ihrem Herzen ausgelöscht. Die Kenntnis von dem Geheimnis ihrer Mutter wirkte wie ein kalter Wasserstrahl auf ihr Gemüt.
Als Julius später nochmals erschien, und sie aufforderte, doch etwas zu schlafen, sträubte sie sich nicht. Mit einem letzten Kuss auf die bleiche kalte Stirn der Toten verliess sie das Zimmer.
Der Baron kam am Abend des nächsten Tages; seine Tränen flossen unaufhaltsam.
Die Teilnahme am Begräbnisse war eine aussergewöhnliche und mit hoher Befriedigung sah Julius, dass von dem ganzen Adel der Umgegend kein einziger fehlte. Die Marquise de Coutelier hatte sogar Johanna wiederholt umarmt und geküsst.
Tante Lison, die gleichfalls gekommen war, blieb mit Gilbert während der Feierlichkeit bei Johanna. »Mein armes, teures Herz« sagte die Gräfin immer wieder unter Küssen und Tränen zu der völlig gebrochenen Tochter.
Als der Graf vom Begräbnisse zurückkehrte, weinte er, als habe er seine eigene Mutter zur Ruhe gebettet.
*
X.
Traurige Tage waren es, die diesem Ereignisse folgten; doppelt traurig für Johanna, die unter den Erinnerungen der letzten Nacht bei der toten Mutter entsetzlich litt. Dazu erkrankte Paul; und wenn er auch wieder genas, so verfolgte sie doch stets der Gedanke, dass er ihr einmal durch den Tod entrissen werden könnte. In ihrem Herzen erwachte die Sehnsucht nach einem zweiten Kinde; aber sie lebte von Julius getrennt, seitdem sie Kenntnis von seiner abermaligen Untreue hatte. Und doch wuchs ihre Sehnsucht von Tag zu Tag.
Ihr Vater war wieder abgereist; die Mutter tot. Wem sollte sie sich anvertrauen? Endlich beschloss sie sich dem Abbé Picot in der Beichte ihren Wunsch zu bekennen. Der wackere Mann hörte sie mit einem gewissen Erstaunen an, das nur zu begreiflich war. wenn er an die Gewohnheiten und die rücksichtslose Sinnlichkeit seiner ländlichen Beichtkinder dachte. Aber er war doch zartfühlend geblieben, inmitten dieser Naturkinder und sagte ihr tröstend zum Abschied: »Verlassen Sie sich auf mich; ich werde mit Julius reden.« Und wenige Tage darauf lebten sie wieder vereint, wie in der ersten Zeit.
Aber Julius übte seine Pflichten nur halb aus; seine Sorge, dass Johanna abermals Mutter würde, konnte er schliesslich vor dieser selbst nicht verhehlen. Vergeblich verdoppelte sie ihre Zärtlichkeit um ihn zu verleiten, seine Selbstbeherrschung aufzugeben. Er blieb indessen stets zurückhaltend und wusste jeden Erfolg ihres ehelichen Zusammenlebens zu vermeiden.
Da beschloss sie, unfähig ihr heftiges Verlangen nach einem Kinde länger zu bemeistern, abermals Abbé Picot aufzusuchen. Er wusste Rat. »Es gibt nur ein Mittel, liebes Kind«; sagte er nach einigem Besinnen. »Sie bringen ihm die Überzeugung bei, dass Sie sich abermals Mutter fühlen. Dann wird er seine Vorsicht vergessen.« Johanna errötete; aber er wusste ihre Zweifel zu zerstreuen. »Die Kirche kann die Zurückhaltung des Gatten nicht billigen; Sie haben ein Recht, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen.«
Julius ließ sich wirklich täuschen. Einmal überzeugt, verlor er die lange bewährte Selbstbeherrschung und Johanna sah sich nach Verlauf eines Monats am Ziel ihrer Wünsche. Von da an schloss sie abends ihre Türe und gelobte aus Dankbarkeit dem Himmel eine ewige Keuschheit.
Gegen Ende des Monats kam der gute Abbé Picot und stellte seinen Nachfolger, den Abbé Tolbiac, vor. Es war dies ein noch junger, kleiner, sehr magerer Priester, dessen tiefliegende schwarzgeränderte Augen ein leidenschaftliches Gemüt verkündeten. Abbé Picot war Dechant in Goderville geworden.
Der Abschied mochte ihm so schwer werden wie Johanna. Als die Rede auf die eigenartige Moralität seiner Pfarrkinder kam, bemerkte der Pfarrer brüsk: »Das wird unter mir anders werden.« Und hierbei blieb er trotz aller vernünftigen Vorstellungen des alten erfahrenen Mannes. Unter Tränen empfing Johanna dessen Abschiedskuss.
Bald begann der Abbé Tolbiac mit seinen Reformen. Johanna beugte sich seinem festen Charakter, seinem brennenden Eifer und wurde eine regelmässige Besucherin der Kirche und ihrer Feste.
Aber die ganze Gemeinde hasste den neuen Pfarrer, der mit rücksichtsloser Strenge auf der Kanzel wie im Beichtstuhl das lockere Leben der Pfarrkinder verdammte, der sogar schliesslich die Schuldigen öffentlich in der Predigt beim Namen nannte. Bald blieben sämtliche Burschen aus der Gemeinde der Kirche fern. Im Schlosse dagegen war Abbé Tolbiac ein gern gesehener Gast. Sogar Julius behandelte ihn mit großer Achtung und ließ keinen Festtag vorübergehen ohne zu beichten und zu kommunizieren.
Er war jetzt fast täglich bei den Fourvilles, um entweder mit dem Grafen zu jagen oder mit der Gräfin auszureiten. »Sie sind närrisch die beiden, mit ihrer Reiterei«; sagte der Graf, »aber es bekommt meiner Frau so gut.«
Gegen Mitte November kehrte der Baron zurück, sehr gealtert unter der Trauer um die verlorene Gattin. Obgleich Johanna ihm nichts von ihrem engen Verkehr mit dem neuen Pfarrer sagte, so fasste er doch schon gleich nach der ersten Bekanntschaft eine instinktive Abneigung gegen denselben, die bald in offenen Hass überging. Seinem philosophisch angelegten Gemüte, seiner natürlichen Nachsicht und Milde widerstrebte der Zelotismus die starre Strenge, die aus dem ganzen Wesen des Abbé Tolbiac sprach.
Auch der Priester fühlte recht gut, wie wenig ihm der Baron geneigt war. Aber er wollte seinen Einfluss im Schlosse nicht verlieren und beherrschte sich in dem Gefühle, dass er endlich doch Sieger bleiben werde.
Ein anderer Gedanke beherrschte ihn jetzt ganz: Ein Zufall hatte ihn das Geheimnis zwischen Julius und Gilberte entdecken lassen. Diesem ein Ende zu machen, war sein fester Entschluss. Er zog Johanna ins Vertrauen und verband sich mit ihr, um »zwei Seelen vom Tode zu retten.«
»Es ist eine peinliche Pflicht für mich«; sagte er, als Johanna schwankte, »aber ich muss sie erfüllen.