Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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blickte auf den Boden nieder, wiegte die Achseln leise hin und her und sagte dann, auf Matthesius deutend:

      »Herr Assessor, der Herr Pastor hier ist ein ausgezeichneter und pflichteifriger Hirte seiner Heerde. Er wird Ihnen sagen, daß es einem wahren Christen schwer fallen muß, der Ankläger einer Seele zu sein, nach welcher der Teufel die Hand ausstreckt.«

      Der Untersuchungsrichter machte eine Bewegung der Ungeduld.

      »Lassen wir jetzt diese theologischen Erörterungen!« sagte er. »Haben Sie vielmehr die Güte, mir zu sagen, was Sie mit Ihrem ›Zweitens‹ meinten!«

      Der Fromme machte das unschuldigste Gesicht von der Welt und antwortete:

      »Die Familie arbeitete nicht.«

      »Ah! Ich dachte, der Sohn habe geschrieben?«

      »Ja, aber nichts verdient. Daß er Copist sei, war nur der Deckmantel seines sonstigen Treibens!«

      »Welchen Treibens?«

      »Das ist Sache des Untersuchungsrichters. Ich aber weiß, daß Robert Bertram zuweilen ganz plötzlich über bedeutende Summen verfügte, nachdem er vorher nicht einen Pfennig gehabt hatte.«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ich bin Administrator der Wohnung, welche die Familie inne hatte. Das Haus gehört dem Herrn Baron von Helfenstein.«

      »Sagen Sie mir einen concreten Fall!«

      »Nun, beim letzten Zins bat mich die Familie himmelhoch um Nachsicht, und doch zahlte der Sohn, als ich darauf drang. Ich bemerkte, daß er eine ganze Tasche voll Geld hatte.«

      »Hm! Das ist sehr wichtig. Sie werden mir erlauben, Ihre Aussagen zu Protocoll zu nehmen. Aber jetzt nicht. Ich bin beschäftigt. Ich werde Sie bestellen. Wie ist die Adresse dieser Marie Bertram? Ich muß sie in einigen Stunden bei mir sehen.«

      »Sie wohnt, wie ich bereits sagte, bei einer Verwandten von mir. Am Einfachsten ist es, ich bringe sie Ihnen her, Herr Assessor.«

      »Gut! Ich werde jetzt vielleicht zwei Stunden beschäftigt sein. Dann abererwarte ich sie. Adieu!«

      Der Fromme wurde entlassen. Er war sehr froh die Adresse seiner ›gottesfürchtigen Freundin‹ verheimlicht zu haben. Der Pastor Matthesius, welcher ja nicht bei der Leiche zugegen zu sein brauchte, entfernte sich ebenfalls mit ihm.

      Der Assessor begab sich zum Gerichtsdirector und kehrte bald zum Arzte mit der Nachricht zurück, daß das Gesuch bestätigt worden und der Director selbst bereit sei, sich anzuschließen.

      Nach der Zeit von einer halben Stunde fuhren zwei Droschkenschlitten nach dem Friedhofe. Dort stiegen der Director, der Assessor, der Gerichtsarzt und zwei Sicherheitsbeamte mit dem Gefangenen aus. Dieser Letztere wurde nach der Halle geführt, in welcher die Leiche seines Vaters lag, nur mit einem Tuche zu gedeckt.

      Er hatte ohne Sträuben seine Zelle verlassen. Er hatte im Schlitten gesessen wie Einer, der abwesend ist, und starrte auch jetzt grad vor sich nieder. Sein Körper bebte vor Frost und Schwäche; er aber schien das nicht zu bemerken und zu fühlen.

      Die Herren traten mit ernster Feierlichkeit an die Leiche. Der Assessor wendete sich an den Gefangenen:

      »Bertram, wissen Sie, wo Sie sich befinden?«

      Der Gefragte antwortete nicht, ja, er hob nicht einmal den Blick zu dem Beamten empor.

      »Bertram,« fuhr dieser fort, »hören Sie denn nicht, daß mit Ihnen gesprochen wird?«

      Es folgte dasselbe Schweigen. Sie Alle hielten die Augen auf den unglücklichen jungen Mann gerichtet, der in Ketten vor ihnen stand. Er bemerkte es nicht. Der Assessor fuhr fort:

      »Heucheln Sie keine Krankheit, welche Sie nicht besitzen! Sie stehen vor einem Todten. Hier! Erkennen Sie ihn?«

      Er schlug das Tuch von der Leiche fort. Robert blickte nicht auf und bewegte sich auch nicht.

      »Näher!« gebot der Gerichtsdirector.

      Als der Gefangene auch diesen Befehl überhörte, trat einer der zwei Begleiter herbei, um ihm einen Stoß zu geben. Dabei berührte er mit der einen Hand den Rücken und mit der anderen den Kopf des Gefangenen. Sofort stieß der Letztere einen Schmerzensschrei aus, fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe und erhob erschrocken die Augen. Sein Blick fiel auf die Leiche.

      Alle waren gespannt, was jetzt geschehen werde. Aber sie hatten sich getäuscht. Er betrachtete den Todten mit irrem Blicke und gab keinen Laut von sich, welcher hätte verrathen können, daß er den Vater erkenne.

      »Wer ist dieser Mann?« fragte der Assessor.

      Auch jetzt erhielt er keine Antwort. Darum warf er einen fragenden Blick auf den Gerichtsdirector. Dieser sagte:

      »Fort mit ihm! Kehren wir zurück!«

      Aber als er dann mit den beiden Anderen wieder in der Droschke saß, meinte er:

      »Was sagen Sie, Doctor?«

      »Er ist wirklich geistig gestört.«

      »Könnten Sie das beschwören?«

      »Beschwören? Hm! Das möchte ich nun gerade nicht wagen, wenigstens jetzt noch nicht. Freilich habe ich viele Geisteskranke behandelt, und es will mir ganz unmöglich scheinen, daß ein junger, unerfahrener Mensch uns zu täuschen vermöchte!«

      »O, lieber Doktor, wir haben noch jüngere Verbrecher kennen gelernt, welche raffinirter waren als ein Alter!«

      »Ah, das klingt gefährlich!«

      »Ist es aber nicht, da ich mich ruhig bestehlen lassen werde.«

      »Aber, mein Gott, die Kostbarkeiten?«

      »Pah! Sie werden sich täuschen. Was wirklich kostbar und unverschlossen ist, das werden wir entfernen. Sie werden weiter nichts finden als meine Juwelen.«

      »Diese sind aber Millionen werth!«

      »Die ich im Schranke habe, ja. Aber Du wirst jetzt zu dem kleinen Juwelenhändler gehen und die Geschmeidesachen holen, die ich ihm zur Reparatur gegeben habe; dann – –«

      »Ich war bereits bei ihm.«

      »Ach! War er fertig?«

      »Ja. Ich habe die Sachen mit.«

      Er ging in das Nebenzimmer zurück und holte die beiden Kästen herein; dann gab er seinem Herrn die Schlüssel. Dieser öffnete und packte den Inhalt aus, um Stück für Stück genau zu untersuchen. Adolf stand ganz geblendet dabei. Das war ein Schatz, ein Reichthum, dessen Höhe er nicht im Entferntesten zu taxiren vermochte. Als der Fürst das letzte Stück betrachtet hatte, legte er es befriedigt fort und sagte:

      »Alle diese Sachen werden mir heute Nacht gestohlen werden.«

      Adolf konnte nicht an sich halten. Er sagte:

      »Durchlaucht, wenn Sie diese Kostbarkeiten nun dann nicht wieder zu erlangen vermögen?«

      »Pah!« lächelte der Fürst. »Wie hoch schätzest Du ihren Werth?«

      »Auf Millionen natürlich!«

      »Wenn das wirklich wäre, so würde ich ihren Verlust nicht riskiren. Alle diese Sachen zusammen sind nicht tausend Gulden werth.«

      Der Diener warf einen langen, erstaunten Blick auf seinen Herrn. Dieser nickte ihm vergnügt zu und meinte:

      »Und diese tausend Gulden wende ich daran, um zu erfahren, wer der Hauptmann eigentlich ist. Was Du hier siehst, ist Alles, Alles unecht. Dieses Gold wird in vier Wochen schwarz sein; die Perlen sind nachgemacht, und die Steine sind nichts als Glasfluß, allerdings höchst täuschend gearbeitet. Meine echten Kleinodien werden fortgeräumt und die falschen an ihre Stelle gelegt. Der Hauptmann wird aus seinen Himmeln fallen, wenn er erkennt, daß er betrogen wurde.«

      »Ah, Durchlaucht, da wird mir das Herz wieder leicht. Das ist ein Streich, wie


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