Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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welcher nicht weiß, was er thut und spricht.

      Der Gensdarm schüttelte den Kopf und meinte:

      »Ich möchte gern glauben, daß Sie unschuldig sind und daß es in Wirklichkeit so ist, wie Sie sagen. Jedenfalls wird es Ihnen gelingen, dies zu beweisen. Aber Sie sind Jurist; Sie kennen die Pflichten meines Amtes. Ich muß Sie bitten, sich als meinen Gefangenen zu betrachten.«

      Alle Anwesenden hatten gewußt, daß es so kommen müsse; aber als das schlimme Wort ausgesprochen war, ging doch ein halblautes Murmeln durch ihre Reihe.

      »Er ist es nicht gewesen«, meinte der Eine.

      »Nein, er kann es nicht gewesen sein; man muß ihm Glauben schenken«, sagte der Andere.

      »Ich verbürge mich für ihn!« rief ein Dritter. »Man darf, man soll ihn nicht arretiren!«

      Der Gensdarm warf einen strengen Blick auf den Sprecher. Er wollte eine Antwort geben, aber Gustav kam ihm zuvor.

      »Laßt das gut sein, meine Freunde«, sagte er. »Der Verdacht ist gegen mich, und es wird mir wohl gelingen, ihn zu zerstreuen. Ich darf mich der Arretur nicht widersetzen. Herr Gensdarm, ich stelle mich Ihnen zur Verfügung.«

      Der Beamte nickte mit dem Kopfe und sagte dann:

      »Sie wissen ebenso gut wie ich, was ich da zunächst zu thun habe?«

      »Ja. Sie werden mich erst durchsuchen und dann fesseln. Einem Mörder legt man Fesseln an; das ist vorgeschrieben.«

      Er hatte das im bittersten Tone gesprochen. Dann griff er in die Taschen und zog Alles hervor, was sich in denselben befand: die Uhr, ein Federmesser, die Geldbörse, das Taschentuch, ein Cigarrenetui und endlich –

      »Was ist das?« fragte er, im höchsten Grade erstaunt, als er aus der Seitentasche seines Jaquetes auch einen Schlüssel hervorbrachte.

      »Sie kennen diesen Schlüssel nicht?« fragte der Gensdarm.

      »Nein, ganz und gar nicht. Ich habe ihn niemals besessen.«

      »Zeigen Sie her! Der Form und Größe nach muß es ein Zimmerschlüssel sein. Vielleicht läßt es sich später sagen, wem er gehört und wie er in Ihre Tasche gerathen ist. Ich bin verpflichtet, diese Gegenstände an mich zu nehmen. Darf ich um Ihre Hände bitten!«

      Es überlief Brandt doch ein Grauen, als er sah, daß der Beamte eine dünne, aber feste Schnur hervorzog.

      »Ah, die Fessel!« sagte er. »Hier, binden Sie mich, damit ich Ihnen nicht entfliehen kann! Wohin führen Sie mich?«

      »Nach dem Schlosse. Wenn die Herren vom Gerichte in der Tannenschlucht fertig sind, werden sie sich zu Ihnen verfügen und ich bin überzeugt, daß es Ihnen sofort gelingen wird, sie von Ihrer Unschuld zu überzeugen. Mein College wird hier bei der Leiche zurückbleiben, damit der status quo erhalten bleibe.«

      Brandt wurde gebunden und mußte dann dem Beamten nach dem Schlosse folgen. Er befand sich in einem Zustande, welcher sich nicht beschreiben läßt; er war vollständig unfähig, sich objectiv in dem Ereignisse zurecht zu finden. Er schritt ganz mechanisch neben dem Gensdarmen her. Er bemerkte nicht, wem er begegnete; er sah nicht, wie verwundert, ja entsetzt man überall die Augen auf ihn richtete, und erst als er in ein festes Gelaß des Schlosses eingesperrt worden war, kam ihm der Gedanke, daß sein Verhalten doch ein noch viel entschiedeneres hätte sein können.

      Auch Alma war in einer ähnlichen Geistesverfassung auf dem Schlosse angekommen. Sie wollte zu dem Vater eilen, um ihm das Schreckliche mitzutheilen, fand jedoch seine Thür verschlossen. Das war noch niemals vorgekommen. Als sie auf mehrmaliges und immer stärkeres Klopfen keine Antwort erhielt, wurde ihr himmelangst. Sie rief die Diener herbei und erfuhr von ihnen, daß der gnädige Herr sich seit gestern gar nicht habe erblicken lassen. Man klopfte noch einige Male so stark, daß es laut genug war, um nicht nur einen Schläfer, sondern gradezu einen Ohnmächtigen zu erwecken, und als selbst jetzt keine Antwort wurde, schickte Alma, welche sich vor Angst kaum zu fassen vermochte, in das Dorf nach dem Schmiede. Dieser machte auch die vorkommenden Schlosserarbeiten und hatte das nöthige Werkzeug, eine Thür zu öffnen.

      Das überlaute Klopfen war dem Gensdarm aufgefallen. Um zu sehen, was es zu bedeuten habe, kam er herbei. Er sah sämmtliche Diener um Alma versammelt, dachte sich, daß dies einen außergewöhnlichen Grund haben müsse und fragte nach demselben. Er erfuhr ihn. Ganz unwillkürlich dachte er an den Schlüssel, welchen Brandt in seiner Tasche gehabt hatte. Er trug denselben noch bei sich und zog ihn hervor.

      »Ist es dieser vielleicht?« fragte er.

      Die Zofe Ella kannte die Schlüssel am besten. Sie nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn und antwortete:

      »Er scheint es wirklich zu sein. Woher haben Sie ihn?«

      »Das werden Sie vielleicht erfahren. Bitte, probiren Sie einmal, ob er paßt, ob er schließt.«

      Sie steckte ihn an. Es war der richtige Schlüssel. Die Thür ging auf. Aber als die vor derselben Stehenden einen Blick in das Zimmer warfen, ertönte ein allgemeiner Schrei des Entsetzens. Der Raum war mit Blut überschwemmt gewesen, welches nun geronnen war, und inmitten dieser fürchterlichen Scene lag mit durchschnittenem Halse der Baron.

      Alma stand da, als ob sie ein Gespenst erblicke. Ihre Augen waren starr auf den Todten gerichtet, sie streckte die Hände mit den ausgespreizten zehn Fingern weit von sich, und ihr Haar schien sich emporsträuben zu wollen. Endlich aber löste sich der Bann, welcher sie umfangen hielt.

      »Vater! Mein Vater!« rief sie.

      Mit einigen raschen Sprüngen stand sie bei ihm. Sie wollte sich zu ihm niederbeugen, aber das Entsetzliche war über sie gekommen, wie eine tödtliche Kugel, welche den vorwärts stürmenden Soldaten im Felde trifft und erst einmal um seine eigene Achse dreht, ehe sie ihn niederwirft. Sie taumelte, bewegte sich strauchelnd im Kreise herum und stürzte dann auf den Ermordeten nieder. Sie war abermals ohnmächtig geworden.

      Der vielstimmige Schrei, welcher erschollen war, hatte auch alle übrigen Bewohner des Schlosses herbei gerufen; sie standen am Eingange des Zimmers und richteten ihre entsetzten Blicke auf die blutige Scene. Der Gensdarm hatte seine Fassung nur für einen Augenblick verloren. Er wendete sich zu den Leuten um und fragte:

      »Wer unter ihnen hat die persönliche Bedienung der Baronesse?«

      »Die Zofe Ella«, antwortete man ihm.

      »Wo ist sie?«

      »Sie war ja hier! Sie ist – ah, da vorn an der Treppe steht sie!«

      Nämlich Ella hatte, sich schaudernd von der Scene abwendend, den Sohn des Schmiedes bemerkt, welcher in das Schloß gekommen war, um sie zu sprechen. Er hatte sie zu gleicher Zeit gesehen und ihr einen Wink gegeben. Sie war zu ihm geeilt.

      »Was ist's? Was bringst Du?« hatte sie ihn gefragt.

      »Eine schlimme Nachricht. Die Schmuggler sind überfallen worden. Der Brandt's Gustav ist schuld daran. In der Tannenschlucht liegen mehrere von ihnen todt neben den Waaren, die nun auch verloren sind.«

      »Herr Gott! Und mein Bruder? Ist er entkommen?«

      »Nein.«

      »Gefangen?«

      »Auch nicht. Nimm es nicht übel, daß ich Dir so eine Nachricht bringe.«

      »So ist er wohl gar todt?«

      »Ja. Er liegt erschossen im Walde. Er lag auf dem Wege; ich und der Vater fanden ihn, und da haben wir ihn in dem Dickicht versteckt, damit man nicht erfahren soll, daß er als Schmuggler gestorben ist. An dem Allen ist nur dieser Brandt schuld!«

      Sie antwortete nicht. Sie war keine übermäßig zärtlich und empfindsam angelegte Natur, aber der Schreck hatte sie doch ergriffen. Da hörte sie, daß der Gensdarm sie zu sich rief.

      »Ja, der Brandt ist schuld!« raunte sie dem Schmiedesohn zu. »Er soll es büßen. Ich muß fort. Der Baron ist ermordet worden. So bald ich kann, komme ich zu Euch, da sollt Ihr mir


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