Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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zu schonen. Der Vorsitzende meinte ernst:

      »Ueber das, was Sie da erzählen, werden wir die Dame selbst auch zu vernehmen haben. Fahren Sie fort!«

      »Ich wollte nicht zudringlich erscheinen und nur im Falle der Nothwendigkeit meine Gegenwart bemerken lassen. Daher verfolgte ich die gleiche Richtung wie der Hauptmann, aber etwas abseits von dem Wege.«

      »Nach welcher Seite?«

      »Nach links.«

      Das war nicht wahr, denn er war den Beiden auf der rechten Seite des Wegsaumes gefolgt.

      »Und von welcher Seite fielen dann die Schüsse?«

      »Von der rechten.«

      »Hm! Erzählen Sie weiter!«

      »Ich hörte nach einiger Zeit einen mehr als lebhaften Wortwechsel. Ich erkannte sogleich die Stimmen der beiden Sprecher. Es waren der Hauptmann und Brandt. Eben als ich, hinzueilend, von der linken Seite her aus den Büschen treten wollte, fielen die beiden Schüsse. Brandt hatte sein Gewehr, welches wohl in der Nähe lag, geholt und dem Hauptmanne zwei Kugeln in die Brust gejagt.«

      »Sahen Sie es, als Brandt schoß?«

      »Ja, ganz genau.«

      »In welcher Entfernung standen Sie von ihm?«

      »Vielleicht zehn Schritte.«

      »Warum versuchten Sie nicht, die That zu verhindern?«

      »Das war eine Unmöglichkeit, da sie mit wirklicher Gedankenschnelligkeit geschah.«

      »Was thaten Sie dann?«

      »Ich wollte mich auf den Mörder stürzen; aber ich konnte vor Entsetzen keinen Fuß bewegen. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, so daß ich auch nicht zu rufen vermochte. In diesem Augenblicke kam Cousine Alma dazu.«

      »Wurden Sie von ihr bemerkt.«

      »Nein, denn ich stand nicht auf dem Wege, sondern zwischen den Bäumen.«

      »Was mag sie dort gewollt haben?«

      »Ich vermuthe, daß sie ein tête-à-tête mit Brandt gehabt hat und abermals vom Hauptmanne überrascht wurde. Die beiden Herren sind arg aneinander gerathen; sie hat fliehen wollen, ist aber, als sie die Schüsse hörte, zurückgekehrt, um sich zu überzeugen, wem sie gegolten haben.«

      Während der Protokollant jedes Wort notirte, hatte der Vorsitzende mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Er sagte sehr ernst:

      »Herr Baron, was Sie jetzt erzählt haben, ist von solcher Schwere, daß es den Angeklagten zermalmen kann, ja zermalmen muß. Ich will dennoch meine Eingangs gemachte Mahnung nicht wiederholen, sondern Sie nur fragen, was Sie weiter sahen.«

      »Die Wiederholung würde noch unnöthiger sein, als die Mahnung an sich selbst schon war! Also ich sah, daß Alma kam. Sie schien sehr erschrocken zu sein, nannte ihn einen Mörder und fiel in Ohnmacht.«

      »Und Sie?«

      »Ich eilte nach der Schlucht, um Beamte herbeizuholen.«

      »Warum ergriffen Sie den Thäter nicht sofort?«

      »Soll ich mich etwa mit einem Mörder herumprügeln?«

      »Er hat also gar nicht bemerkt, daß Sie Zeuge der That gewesen sind?«

      »Nein.«

      »Er behauptet, wie man mir sagte, nicht der Schütze gewesen zu sein. Wie nun, wenn er vermuthet, daß Sie sich nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite des Weges befunden haben.«

      »Ah, pah! Wozu das?«

      »Und daß Sie es waren, welcher schoß!«

      Der Baron hatte so etwas Ähnliches erwartet und verstand es daher, seine Fassung vollständig zu bewahren.

      »Das wäre ja Wahnsinn!« antwortete er achselzuckend.

      »Auch der Wahnsinnige hält seine Einbildungen für Wahrheit. Wir werden immerhin auf etwas Derartiges gefaßt sein müssen. Doch bitte, fahren Sie weiter fort!«

      »Ich habe nichts hinzuzufügen. Ich traf unterwegs auf Gensdarme und Grenzbeamte, welche das Weitere wissen.«

      »Würden Sie bereit sein, Ihre Aussage zu beschwören?«

      »Wort für Wort!«

      »Man wird es von Ihnen verlangen. Doch, apropos, wissen Sie bereits daß auch Ihr Cousin, Baron Otto von Helfenstein, ermordet worden ist?«

      »Ja. Ich habe diese zweite Mordthat vor zehn Minuten durch einen der Diener erfahren.«

      »Haben Sie Verdacht auf irgend Jemand?«

      »Nein.«

      »Sie sagten, daß gestern Brandt auch mit dem Baron einen Wortwechsel gehabt habe?«

      »Einen sehr heftigen; es ist schon mehr als ein Wortwechsel gewesen; der Hauptmann erzählte mir, daß mein Cousin dem Menschen das Schloß verboten habe.«

      »Wäre es nicht möglich, daß er dennoch Zutritt gefunden haben könnte?«

      Franz von Helfenstein wiegte den Kopf hin und her und antwortete:

      »Hm! Er hat ihn gefunden!«

      »Wie? Wirklich? Er ist im Schlosse gewesen?«

      »Ich erfuhr es vorhin ganz zufällig.«

      »Wann soll es gewesen sein?«

      »Kurz nach Mitternacht.«

      Der Vorsitzende schaute nach dem Arzte hinüber und fragte:

      »Und wann meinen Sie, daß die That geschehen sei?«

      »Wenig vor und auch nicht viel nach Mitternacht,« antwortete der Gefragte im Tone der Sicherheit.

      »Was hat Brandt um diese Zeit im Schlosse zu thun gehabt?« fragte der Amtmann den Baron weiter.

      »Er ist bei meinem Cousin gewesen.«

      »Können Sie dies beweisen?«

      »Durch mehrere Zeugen, denen er selbst es mitgetheilt hat.«

      »Wer sind diese Zeugen?«

      »Die Zofe Ella und einige andere Domestiken, welche Sie sich von der Zofe nennen lassen können.«

      »Ich bin mit meinen Fragen zu Ende. Haben Sie noch etwas zu bemerken, zu berichtigen oder hinzuzufügen?«

      »Nein.«

      »So nehmen Sie unseren Dank für Ihre Bereitwilligkeit, uns die erbetene Auskunft zu ertheilen.«

      Der Baron nickte vornehm mit dem Kopfe und entfernte sich.

      Jetzt nun wurde die Zofe geholt. Sie wußte von einem Liebesverhältniß zwischen Brandt und ihrer Herrin nicht das Mindeste; aber sie erzählte, daß der Angeklagte nach Mitternacht bei dem Barone gewesen sei. Sie war wegen des Todes ihres Bruders über Brandt so ergrimmt, daß sie ihm nur schaden konnte.

      Auch das weitere Zeugenverhör führte zur bestimmten Annahme, daß er der Mörder sei. Zu Allerletzt sollte auch Alma geholt werden; aber sie war zu schwach, zu kommen und ließ die Herren zu sich bitten. Sie lag, bleich wie der Tod, auf einem Ruhebette und vermochte nur mit leiser Stimme ihre Aussagen abzugeben.

      Der Amtmann wollte sie möglichst schonen, mußte aber doch nach Dingen fragen, welche sie lieber umgangen gehabt hätte. Sie stimmte in ihrer Darstellung des Mordes an dem Hauptmanne mit der Erzählung ihres Cousins überein. Sie gab auch zu, von Brandt selbst gehört zu haben, daß er um Mitternacht bei ihrem Vater gewesen sei und mit ihm gesprochen habe.

      »Sie halten ihn also für den Mörder des Hauptmannes?« fragte der Amtmann.

      »Ich bin leider dazu gezwungen.«

      »Und auch für den Mörder Ihres Vaters?«

      Sie


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