Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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Helfenstein!

      »Kann der Schlüssel, welcher hier steckt, nicht auch ein Anderer sein und hier nur zufällig schließen?« wurde Ella von dem Gensdarm gefragt.

      »Das ist möglich«, antwortete sie. »Aber er ist noch ganz neu. Der vorige war zerbrochen, und der Schmied hat einen neuen machen müssen; er wird ihn kennen. Ah, sein Sohn war soeben hier. Aber er selbst wird auch kommen, da wir zu ihm schickten, um das Schloß öffnen zu lassen.«

      »So wird man es ja erfahren. Ihre Herrin ist ohnmächtig. Schaffen Sie dieselbe nach Ihrem Zimmer. Aber nur so viel Personen, als dazu nöthig sind, dürfen hier eintreten.«

      Alma wurde fortgeschafft; dann schloß der Gensdarm zu. Er wollte sich sofort zu Brandt begeben, um diesen auszufragen; aber er überlegte sich, daß es doch vielleicht gerathen sei, diesem noch nichts wissen zu lassen.

      Nach einer Weile stellte sich der Schmied mit seinem Handwerkszeuge ein; das letztere war nicht mehr nothwendig, aber als der Gensdarm ihm den Schlüssel zeigte, recognoscirte er denselben ganz genau als denjenigen, welchen er vor kurzer Zeit für den Baron gemacht hatte. Der Beamte erklärte ihm, daß er hier zu bleiben habe, um als Zeuge zu dienen.

      Jetzt begannen sich einige Herrschaften einzustellen, welche zur beabsichtigten Jagd geladen waren. Als sie erfuhren, was geschehen war, fuhren sie sofort wieder ab. Aus dem beabsichtigten Vergnügen konnte nichts werden, und ihre Anwesenheit hätte doch nur gestört, ohne ihnen den geringsten Nutzen zu bringen.

      Bald traf auch die gerichtliche Commission ein, welcher der Bezirksarzt beigegeben war. Der Gensdarm machte seine Meldung und brachte dadurch nicht wenig Aufsehen hervor. Die Herren hatten wohl von der Ermordung des Hauptmannes, nichts aber von derjenigen des Barons gewußt.

      Sie verfügten sich sofort in das Zimmer, in welchem die Leiche des Letzteren lag. Der Gerichtsarzt untersuchte dieselbe und erklärte, daß der Baron zweifellos durch einen mittelst eines sehr scharfen Instruments ausgeführten Schnittes durch den Hals ermordet worden sei. Der Mord könne nicht vor aber auch nicht viel nach Mitternacht ausgeführt worden sein.

      Ein Obergensdarm war mitgekommen. Er fragte jetzt seinen Untergebenen:

      »Wer hat nach dem Oeffnen der Thür hier Zutritt gehabt?«

      »Eine Zofe und zwei Diener, welche die ohnmächtige Baronesse fortzuschaffen hatten.«

      »Auch Sie nicht?«

      »Nein. Ich wollte Ihnen nicht vorgreifen.«

      »Das war richtig gehandelt. Sollte denn nicht etwas zu finden sein, was – ah, was ist das?«

      Im geronnenen Blute, aber ein wenig unter dem weit herabhängenden Tischtuche war ein Gegenstand zu bemerken. Er hob ihn auf und hielt ihn den Herren hin.

      »Ein Rasirmesser, meine Herren! Ganz voll Blut. Das Heft besteht aus zwei Elfenbeinplatten und ist mit – alle Wetter! – mit den beiden Buchstaben G.B. gezeichnet. Mir scheint, daß mit diesem Instrumente die That vollbracht worden ist.«

      Ein Grauen bemächtigte sich der Anwesenden. Der Amtmann fragte den Gensdarmen:

      »Der Schlüssel zu diesem Zimmer hat sich bei Brandt gefunden?«

      »Ja. Und wie ich bemerkt habe, trägt dieser Herr den Vornamen Gustav. Gustav Brandt, das würde G.B. ergeben.«

      Die Herren der Commission blickten einander betroffen an. War es möglich? Brandt, ein College, den man trotz seiner Jugend so ausgezeichnet hatte, ein Mörder, ja ein Doppelmörder!

      »Meine Herren«, sagte der Amtmann, »es ist hier ein geradezu grauenhaftes Verbrechen verübt worden, ein Verbrechen, welches die schwerste, unnachsichtlichste Ahndung verdient. Der Verdacht richtet sich gegen einen Mann, den zu achten wir gezwungen gewesen sind. Geben wir uns also Mühe, uns nicht von einem bloßen Scheine beeinflussen zu lassen, damit unser Forschen nicht durch ein Vorurtheil getrübt werde. Suchen wir zunächst alles Wissenswerthe von den Zeugen zu erfahren.«

      Sie begaben sich in ein passendes Zimmer, und hier ließ der Amtmann zunächst den Baron Franz von Helfenstein zu sich entbieten. Dieser erschien mit der Miene eines Mannes, welcher Denjenigen, zu denen er kommt, eine Gnade erweist. Als der Vorsitzende ihn darauf aufmerksam machte, daß in einem Falle wie der vorliegende die genaueste Gewissenhaftigkeit erforderlich sei, antwortete er:

      »Diese Bemerkung ist vollständig überflüssig. Ich pflege selbst im Kleinsten und Unbedeutendsten gewissenhaft zu sein!«

      »Wohl! So sagen Sie uns, Herr Baron, in welchem Verhältnisse Sie zu dem Angeklagten gestanden haben!«

      »Wie meinen Sie das? Ein Baron von Helfenstein kann mit einem Manne des bürgerlichen Namens Brandt wohl kein Verhältniß gehabt haben!«

      Der Amtmann fühlte sich unangenehm berührt. Er antwortete also mit einiger Schärfe:

      »Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Auch ich trage einen bürgerlichen Namen, und doch stehen Sie gegenwärtig in einem Verhältnisse zu mir. Oder nennen Sie dies kein Verhältniß, wenn Sie gezwungen sind, meine Fragen zu beantworten? Gustav Brandt wurde von Ihrem Herrn Cousin zur Familie gezogen und reichlich unterstützt. Sie müssen ihn oft gesehen und gesprochen haben; ein gesellschaftliches Verhältniß läßt sich also voraussetzen.«

      »Ich will das zugeben; aber es kann hier ja nur von dem Verhältnisse einer vollständigen Gleichgiltigkeit die Rede sein.«

      »Das soll heißen, daß Sie einander weder freundlich noch feindlich gesinnt gewesen sind?«

      »So meine ich es; die Verschiedenheit unserer Geburt bringt es ja mit sich, daß eine persönliche Annäherung ausgeschlossen ist.«

      »Ich habe weder die Pflicht noch die Lust und Zeit, mich darüber mit Ihnen in eine Controverse einzulassen. Die Sache ist vielmehr die, daß Sie Gustav Brandt des Mordes an dem Hauptmann von Hellenbach beschuldigen. Ist dies an dem?«

      »Ja«, antwortete der Gefragte mit fester Stimme.

      »Was wissen Sie über die That?«

      »Ich war Augenzeuge von ihr.«

      »Bitte, erzählen Sie, was Sie gesehen haben!«

      »Ich stand heute nach Tagesanbruch am Fenster und bemerkte, daß meine Cousine das Schloß in der Richtung nach dem Tannengrunde zu verließ. Einige Augenblicke darauf folgte ihr der Hauptmann. Ich vermuthete den Försterssohn in der Schlucht und beschloß, Beiden zu folgen, um einem feindseligen Zusammenstoße vorzubeugen.«

      »Aus welchem Grunde vermutheten Sie eine Feindseligkeit?«

      »Der Hauptmann und Brandt waren Nebenbuhler.«

      »Ah! Das ist allerdings von großer Wichtigkeit! Aber können Sie beweisen, daß dies so gewesen ist?«

      »Ja. Uebrigens wird auch meine Cousine gezwungen sein, es einzugestehen. Es hat ja noch gestern eine ganz bedeutende Scene zwischen ihr und Brandt einerseits und ihrem Vater und dem Hauptmanne andererseits gegeben.«

      »Auch das ist wichtig. Was wissen Sie von dieser Scene?«

      »Ich war nicht Augenzeuge derselben, traf aber meine Cousine zufällig auf dem Tannensteine. Nach mir ist sie dort von Brandt umarmt und geküßt worden. Sie scheinen einander zu lieben. Sie war aber von Seiten des Vaters schon längst dem Hauptmanne versprochen. Dieser überraschte die Beiden in einem nichts weniger als gleichgiltigen tête-à-tête und stellte Brandt natürlich zur Rede, erhielt aber eine Antwort, welche ihn veranlaßte, an eine Ausgleichung mittelst Duelles zu denken. Er erzählte mir den Vorgang und bat mich, ihm zu secundiren. Trotzdem das Liebespaar überrascht worden war, trat es in Gemeinschaft den Weg nach dem Schlosse an, stieß aber unterwegs auf meinen Cousin und den Hauptmann. Der Vater des Mädchens stellte Brandt nun ebenfalls zur Rede, erhielt aber nichts als Drohungen zur Antwort. Dies, meine Herren, sind die Gründe, welche mich heute früh veranlaßten, dem Hauptmanne zu folgen. Ich fürchtete einen übereilten Ausbruch der Feindseligkeit zwischen ihm und Brandt.«

      Er hatte in dieser Darstellung seine


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