Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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sei Dank! Ich werde sofort meine Befehle geben.«

      Sie wollte sich schnell erheben; er aber machte eine bittende Handbewegung und sagte:

      »Warten Sie noch, gnädige Baronesse! Ich komme in einer ganz besonderen Absicht zu Ihnen. In dieser Absicht liegt es, die Banditen ungehindert in das Haus und sogar bis in Ihr Schlafzimmer gelangen zu lassen.«

      Sie erschrak von Neuem.

      »Mein Gott! Warum denn das?« fragte sie.

      »Muß ich Ihnen das sofort erklären, oder haben Sie das Vertrauen, mit meiner Erklärung zu warten, bis der Angriff vorüber ist?«

      Sie blickte ihm zweifelhaft in das Gesicht.

      »Durchlaucht,« antwortete sie, »ich vertraue Ihnen. Aber Ihr Eintritt bei mir ist ein so räthselhafter, daß – daß –«

      »Nun wohl,« meinte er lächelnd. »So muß ich mich legitimiren. Ich werde Ihnen einen Namen nennen, dessen Klang Sie bewegen wird, sich mir ohne Rückhalt anzuvertrauen.«

      »Welcher Name wäre das?« fragte sie mit Spannung.

      »Gustav Brandt.«

      Sie fuhr empor. Sie starrte ihn an, als ob sie mit diesem einen Blick nicht nur sein Gesicht, sondern auch seinen Leib und seine Seele durchdringen wolle. Eine tiefe, tiefe Röthe bedeckte ihr Gesicht, ihren Hals und ihren Nacken, so stieg ihr das Blut vom Herzen.

      »Gustav Brandt!« rief sie. »Gott, mein Gott! Dieser Name! Kennen Sie Gustav? Haben Sie ihn gesehen und gesprochen? Wo befindet er sich? Wie geht es ihm?«

      »Ich traf ihn in Indien; wir wurden Freunde.«

      »Freunde! Dank, tausend Dank, Durchlaucht! Er lebt also noch?« jauchzte sie.

      »Ja. Er ist gesund und wohl.«

      »Als was?«

      »Als Verwalter meiner Besitzungen.«

      »Welch eine Nachricht! Welch eine Freude!« rief sie, ganz die drohende Gefahr vergessend. »Fast zwanzig Jahre habe ich nichts von ihm vernommen. Hat er von mir gesprochen?«

      »Tausend, nein, Millionen Male!«

      »Ah, er hat meiner gedacht! Hat er Ihnen erzählt, aus welchem Grunde er gezwungen war, die Heimath zu verlassen?«

      »Alles.«

      »Und wie mißtrauisch und bös ich damals gegen ihn war?«

      »Auch das. Es hat einen langen und düsteren Schatten auf sein Flüchtlingsleben geworfen.«

      »Ich habe es schwer, schwer und bitter bereut. Doch, weiter! Wie lebt er? Ist er – ist – ist er – verheirathet?«

      Es wurde ihr schwer, dieses Wort auszusprechen.

      »Ja,« antwortete der Fürst.

      Sie bemerkte nicht, welch scharfen, forschenden Blick er dabei auf sie warf. Sie fuhr sich mit beiden Händen nach dem Herzen, als ob man ihr da einen Dolchstoß versetzt habe. Die Röthe wich aus ihren Wangen; ihr Gesicht wurde blaß, fast fahl; sie schien zu wanken. Aber sie mußte sich fassen; sie durfte diesem Fremden nicht merken lassen, welcher fürchterliche Schlag sie in diesem Augenblicke getroffen und fast niedergeschmettert habe. Und gerade ihrer Schwäche zum Trotze fragte sie:

      »Hat er Kinder?«

      »Ja, vier liebe Kinder, zwei Jungens und zwei Mädchens.«

      »Welcher Nation ist seine Frau?«

      »Eine Engländerin, Baronesse.«

      »Ich freue mich seines Glückes, vorausgesetzt, daß er glücklich ist.«

      Sein Auge hatte einen unbeschreiblich milden, tiefen, feuchten Glanz; er antwortete mit weichem Tone:

      »O, ich bin überzeugt, daß er augenblicklich sehr, sehr glücklich ist!«

      »Wie kamen Sie mit ihm zusammen?«

      »Meine Gnädige, erlassen Sie mir das für jetzt, da unten Mörder stehen. Ich wollte mich durch den Namen legitimiren. Habe ich das erreicht?«

      »Vollständig, vollständig! Ich vertraue Ihnen!«

      »So bitte ich Sie, gar keine Vorbereitungen zu treffen, sondern sich ruhig schlafen zu legen.«

      »Gott, wie ist das möglich!«

      Er lächelte zuversichtlich und antwortete:

      »Ich bin bei Ihnen.«

      »Oh, ich glaube, daß Sie tapfer sind; aber Einer gegen so Viele!«

      »Gut! Lassen Sie mich Ihre Räumlichkeiten kennen lernen! Ich kam durch den Vorsaal und das Vorzimmer in dieses Boudoir. Wohin führt die Thür links?«

      »Nach dem Schlafzimmer der Zofe.«

      »Und dann weiter?«

      »In mein Schlafzimmer.«

      »Weiter?«

      »Weiter nicht. Mein Schlafzimmer ist ein Eckzimmer.«

      »Gehen aus den beiden Schlafzimmern auch Thüren nach dem Corridor?«

      »Nur aus demjenigen der Zofe.«

      »Es mag von innen verriegelt werden.«

      »O kommen Sie, Durchlaucht! Sie müssen diese Arrangements selbst treffen! Die Zofe ist zwar bereits zur Ruhe gegangen, aber sie wird sich nicht zu scheuen brauchen.«

      Sie nahm ein Licht und führte ihn in die beiden angegebenen Zimmer. Die Zofe steckte ihr Köpfchen unter die Decke, als sie zu ihrem riesenhaften Erstaunen bemerkte, daß ihre Herrin einen wildfremden Menschen zur Mitternachtsstunde und in einem solchen Negligée in ihr Heiligthum einführte. Sie erschrak aber noch mehr, als die Baronesse zu ihr sagte:

      »Bertha, Du kannst nicht schlafen. Dieser Herr, Durchlaucht Fürst von Befour, meldet mir soeben, daß man bei uns einbrechen will.«

      Das hübsche Kammerkätzchen fuhr vor Entsetzen in die Höhe, so daß man Kopf, Hals, Schultern und die unbedeckten Arme sehen konnte, und rief:

      »Herr Jessus! Einbrechen? Bei Ihnen oder bei mir?«

      Sie erhielt keine Antwort. Der Fürst hatte sich überzeugt, daß es unmöglich sei, hier einzudringen, sobald man die Thür von Innen verriegelte.

      »Bei Ihnen Beiden nicht,« antwortete er dann lächelnd.

      »Bei wem denn?« fragte das vor Angst ein Wenig voreilige Mädchen, indem sie den oberen Theil ihres Hemdes zu ordnen versuchte.

      »Bei mir,« antwortete er. »Bitte, gnädige Baronesse, kommen Sie zurück zum Boudoir. Wieviel Dienerschaft haben Sie im Hause?«

      »Sechs Personen mit der Zofe.«

      »So mag die Letztere sich schnell ankleiden, um den Anderen zu sagen, daß sie sich fest einschließen sollen, damit sie nicht in Gefahr kommen.«

      Sie gab den Befehl und fragte dann:

      »Und wie soll ich mich verhalten?«

      »Sie bleiben angekleidet mit der Zofe in deren Zimmer, dessen Thür wir auch verriegeln. Ich werde diese Menschen hier im Boudoir empfangen.«

      »Das geht nicht, Durchlaucht!« sagte sie ängstlich.

      »Warum nicht?«

      »Sie setzen sich da einer fürchterlichen Gefahr aus!«

      »Glauben Sie das nicht. Ich verstehe, mit solchen Leuten umzugehen.«

      »Aber sie werden bewaffnet sein.«

      »Ich auch.«

      Er zog seine beiden Revolver vor.

      »Eine Kugel kann Sie doch während des Kampfes treffen.«

      »Man wird gar nicht daran denken, auf mich zu schießen. Ich bitte dringend, zu thun,


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