Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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treten Sie ein! Es gilt, keine Zeit zu verlieren.«

      Die Zofe war von ihrem Gange zurückgekehrt, und die Baronesse schloß sich mit ihr ein. Jetzt nun zog der Fürst jenes Etui hervor, welches er sich von dem Diener hatte geben lassen. Auf demselben befand sich in arabischer Schrift und Golddruck das Wort »Lahialaki« eingegraben. Er öffnete. Es zeigte eine ganze Menge von Fächern, welche mit verschiedenen Gegenständen und Ingredienzien angefüllt waren. Er zog ein Läppchen hervor und trat an den Spiegel. Ein rascher Strich entfernte – die schmale, rothe Narbe, welche sich über sein Gesicht zog. Er wischte sich mit dem Läppchen das letztere und sofort nahm dieses eine weit dunklere Färbung an. Mit einem anderen Läppchen sich über die Haare des Scheitels und des Bartes gestrichen, gab denselben eine graue Farbe. Dazu eine blaue Brille, und der Greis von achtzig Jahren war fertig.

      Das Feuer des Kamins war ausgebrannt. Der Fürst setzte ein Licht hinein und verschloß die Thür. Dann löschte er die andern Lichter aus und nun war es finster im Boudoir.

      Der Kamin trat sehr weit vor, hinter demselben stand ein Stuhl, auf welchem der Fürst sich niederließ. Er brauchte nicht zu befürchten, sofort gesehen zu werden, und zudem war es ihm von hier aus ein Leichtes, den nahen Gascandelaber anzuzünden.

      Jetzt wartete er, zwar mit Spannung, aber ohne Sorge der Dinge, die da kommen sollten. Fünf Minuten, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten vergingen – eine halbe Stunde war vorüber; da endlich vernahm der Fürst ein leises, leises Knarren.

      »Ah! Sie kommen!« murmelte er. »Sie werden ebenso leer wieder gehen müssen und dürfen Gott danken, wenn ihnen überhaupt das Fortgehen erlaubt ist.«

      Man kam näher. Es wurde an der Thür probirt, ob dieselbe verschlossen sei. Dies war nicht der Fall.

      »Es ist offen!« flüsterte eine leise Stimme.

      »Wohin kommen wir?«

      »In das Boudoir.«

      »Ist das wahr?«

      »Ja.«

      »Und dann?«

      »Erst in's Schlafzimmer der Zofe und nachher in dasjenige der Herrin. Der Hauptmann hat es gesagt. Er muß selbst dagewesen sein.«

      »Vorwärts also! Leuchte einmal, ob Jemand hier ist!«

      Einer von ihnen zog eine Diebeslaterne hervor und ließ einen Lichtstrahl langsam umhergleiten.

      »Niemand hier,« sagte er.

      »Also die Thür auf!«

      Der diese Worte sprach, war ein entsetzlich langer und starker Mensch. Er schien den Anführer zu spielen. Der Fürst hatte beim Scheine der Diebeslaterne sein Gesicht und seine Gestalt gesehen.

      »Alle Teufel! Der Riese Bormann!« dachte er. »Dieser ist ja gefangen! Wie kommt er heraus? Hm. Jetzt geht mir ein Licht auf. Auf ihn bezieht sich das umgedrehte Alibi. Das werde ich enträthseln.«

      Ein Schlüssel klirrte leise, ganz leise im Schlosse. Jetzt mußten die beiden Frauen merken, daß die Einbrecher angekommen seien.

      »Donnerwetter!« murmelte der Probirende.

      »Paßt der Schlüssel nicht?«

      »Esel! Meine Schlüssel passen stets! Aber die Thür ist nicht nur verschlossen, sondern auch von innen verriegelt.«

      »Pest!« meinte der Riese. »Da ist es am besten, ich trete sie ein.«

      »Nein, das macht zuviel Lärm. Wir müssen eine List anwenden.«

      »Welche denn?«

      »Ich klopfe und thue, als ob ich ein Diener bin. Da wird das Kätzchen jedenfalls aufmachen.«

      »Möglich. Wollen's versuchen.«

      »Meinetwegen. Aber wir sind ja bereits Herren des Hauses,« meinte der Riese; »wir wollen uns also immerhin das Gas anzünden.«

      Er trat zu dem Candelaber und steckte die Flammen desselben an. Der Fürst hatte sich so hinter den Kaminvorhang zurückgezogen, daß man ihn gar nicht sehen konnte.

      »So, gut. Jetzt ist's hell,« flüsterte Bormann. »Nun versuche es einmal mit dem Anklopfen.«

      Der Schlosser, nämlich der heimlich Verbündete des Fürsten, trat zur Thür und klopfte leise. Erst beim wiederholten Klopfen ließ sich drin die Stimme des Mädchens vernehmen. Sie hatte jedenfalls den Befehl erhalten, zu antworten.

      »Wer ist es?« fragte sie.

      »Ich.«

      »Wer denn?«

      »Der Diener.«

      »Welcher denn?«

      »Donnerwetter!« flüsterte der Einbrecher. »Jetzt weiß ich nicht, wie die Kerls hier heißen!«

      »Welcher denn?« wurde drinnen wiederholt.

      »Sage Friedrich oder Anton. So heißen die meisten,« gebot der Riese.

      »Friedrich!« sagte er.

      »Was ist's?«

      »Eine Depesche.«

      »An wen?«

      »An Dich natürlich nicht. An die gnädige Baronesse.«

      »Ich darf sie nicht stören. Sie mag sie morgen lesen.«

      »Sie ist nothwendig.«

      »Das hat bis morgen Zeit. Gute Nacht!«

      »Verdammt! Abgeblitzt!« brummte der Einbrecher.

      »Dachte ich es nicht!« meinte der Riese. »Geht weg! Ich werde diese Thür sofort öffnen!«

      Er schob die Anderen bei Seite und erhob den Fuß.

      »Welch eine Unvorsicht. An der Thür sind Selbstschüsse befestigt!« klang es hinter ihnen.

      Sie fuhren herum und erschraken. Hinter ihnen stand, vom Gas hell beschienen, der Fürst, in jeder Hand einen gezogenen Revolver haltend.

      »Himmeldonnerwetter! Drauf auf den Kerl!« rief der Riese.

      Er that wirklich einen Schritt vorwärts, hielt aber erschrocken inne, denn der Fürst donnerte ihm entgegen:

      »Halt! Zurück, wenn Euch Euer Leben lieb ist! Kennt mich Keiner von Euch?«

      Diese Worte waren in einem solchen Tone gesprochen worden, daß Alle wie angenagelt stehen blieben.

      »Donnerwetter!« murmelte Einer. »Der Fürst des Elends!«

      »Der Fürst des Elends! Ist's wahr?« fragte der Riese.

      »Ja, ich bin es,« antwortete der Fürst.

      »Alle Teufel! Mit dem können wir nichts anfangen!«

      »Das denke ich auch. Zwölf Schüsse habe ich. Wer sich bewegt, erhält eine Kugel. Uebrigens seht Ihr, daß ich gewußt habe, daß Ihr kommen werdet. Ihr könnt Euch denken, daß man Vorkehrungen getroffen hat, Euch zu empfangen.«

      »Gefangen etwa?« fragte der Riese, indem er sein Messer zog. »Da wehre ich mich doch lieber meiner Haut!«

      »Ehe Du das Messer erhebst, bist Du tot, Bormann!« drohte der Fürst, indem er den Lauf des rechten Revolvers auf ihn richtete.

      »Kreuz und Bomben! Er kennt mich!«

      »Ich kenne Euch alle! Setzt Euch hier auf die Stühle. Ich will mit Euch reden. Und wenn Ihr verständig seid, so sollt Ihr ungestraft dahin gehen, wo Ihr hergekommen seid.«

      »Ihr Wort darauf!«

      »Ich gebe es.«

      »Das laß ich mir gefallen! Setzt Euch!«

      Sie folgten diesem Gebote Bormanns und setzten sich. Sie hatten von dem Fürsten des Elends gehört, sie kannten ihn und wußten, daß sie nun sicher waren. Sie saßen da, wie zu einer fröhlichen Unterhaltung zusammengekommen.


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