Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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sieht jedes Kind!« brummte Bormann.

      »Um die fünfzigtausend Thaler zu holen, welche die Baronesse jetzt hier liegen hat?«

      »Es ist so. Wir werden aber freilich nun verzichten müssen.«

      »Ihr sollt ferner die Baronesse töten?«

      »Ein Wenig, ja.«

      »Und vorher sollte sie Euer Aller Weib werden?«

      »Darauf hatten wir uns verdammt gefreut. Der Braten ist uns aber nun verdorben!«

      »Die Zofe solltet Ihr leben lassen, Euch aber auch mit ihr nach Belieben unterhalten.«

      »Auch das ist so. Ich hörte, daß sie sehr hübsch ist.«

      »Das Geld solltet Ihr nicht an den Hauptmann geben, sondern unter Euch theilen.«

      »Tod und Teufel! Sie wissen Alles genau? Wer hat es Ihnen verrathen? Ohne Verrath können Sie es nicht wissen!«

      »Muß es denn gerade Verrath sein? Giebt es nicht andere Wege, zur Kenntniß zu gelangen? Euer Hauptmann taugt nichts! Kann er Euch heute beschützen? Kann er Euch befreien, wenn ich Anzeige machen wollte? Wäre es nicht besser, Ihr hieltet es mit mir, anstatt mit ihm? Ich will Euch nicht zur Untreue bewegen, aber Eure Treue ist ein Verbrechen, und jeder Schritt, den Ihr thut, ist Sünde. Ich würde Euch Gelegenheit und Mittel geben, ehrliche Kerls zu werden. Man würde vergessen, was Ihr gewesen seid, und Ihr könntet Euch mit den Eurigen des Lebens freuen, und im Alter wäre es Euch dann möglich, Euer Haupt in Frieden zur Ruhe zu legen. Ueberlegt Euch das! Ihr habt keinen besseren Freund, als den Fürsten des Elendes. Auch Ihr lebt im Elende; auch Ihr seid also meine Kinder, die ich retten möchte. Daß ich es gut mit Euch meine, beweise ich, indem ich Euch erlaube, ungestraft von hier zu gehen. Ich verspreche Euch, daß kein Mensch erfahren soll, was hier geschehen ist. Aber sagt Eurem Hauptmann, daß ich ihn zertreten werde wie einen Wurm, wenn er es noch ein einziges Mal wagt, den kleinsten Finger gegen dieses Haus und seine Besitzerin zu erheben. Sagt ihm das ja, vergeßt es nicht! Dieses Mal mag es ihm noch verziehen sein; ein zweites Mal ist er verloren, und Die mit ihm, welche es wagen, gegen meinen Willen zu handeln. Ich werde Euch zeigen, wer mächtiger ist, er oder ich. Und ebenso werdet Ihr erfahren, wer mehr auf Euer wahres Glück bedacht ist, er oder ich. Das ist es, was ich Euch sagen wollte. Indem ich Euch gehen lasse, schenke ich einem Jeden von Euch wenigstens zehn Jahre Zuchthaus. Bedenkt das recht, und handelt danach. Jetzt geht! Gute Nacht!«

      Diese einfachen, kernigen Worte hatten einen tiefen Eindruck hervorgebracht. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis sich endlich der Riese erhob und sagte:

      »Millionendonnerwetter, der Fürst hat im Grunde Recht! Kommt, Jungens; wir wollen verschwinden wie Schulbuben, welche die Ruthe bekommen haben! In dieses Haus treten wir nicht wieder!«

      Sie schritten im Gänsemarsch, Einer hinter dem Anderen, zur Thüre hinaus. Im Nu zog der Fürst sein Etui wieder hervor und hatte in Zeit von einer Minute sein vorheriges Aussehen wieder hergestellt. Dann nahm er das Licht aus dem Kamine, welches er gar nicht gebraucht hatte, und folgte ihnen vorsichtig. Er hörte unten die Thür öffnen und dann wieder verschließen und wußte nun, daß die Gefahr vollständig vorüber sei.

      Als er wieder oben in das Boudoir trat, hatte die Baronesse eben auch ihre Thür geöffnet, um bei der herrschenden Stille zu probiren, ob die Verbrecher wirklich verschwunden seien.

      »Sind sie fort, wirklich fort?« fragte sie, ihm entgegentretend.

      »Ja, Alle, gnädige Baronesse. Haben Sie Alles vernommen, was gesprochen worden ist?«

      »Alles, jedes Wort! Herr, mein Gott, was habe ich erfahren! In welcher Gefahr habe ich mich befunden! Und die Rettung danke ich Ihnen, nur Ihnen allein!«

      Sie streckte ihm beide Hände entgegen; er ergriff dieselben, drückte seine Lippen auf ihre Rechte und sagte in tiefer Bewegung:

      »Ich würde Sie mit meinem Leben vertheidigt haben, wenn es nothwendig gewesen wäre!«

      »Ich danke, danke! Aber warum haben Sie diese Menschen denn entkommen lassen?«

      »Ich habe dabei eine besondere Absicht, welche ich Ihnen vielleicht noch erklären werde.«

      »Ach ja! Ich hörte zu meinem Erstaunen, daß Sie der berühmte Fürst des Elendes sind, welchem so Viele ihr Glück und ihre Rettung verdanken. Dies war eine Stunde der Gefahr und der Entdeckungen. Ich werde sie im Leben nie vergessen!«

      »Aber eine Bitte darf ich aussprechen?«

      »Ich werde Alles thun, was ich kann! Sprechen Sie!«

      »Sie haben gehört, was ich den Einbrechern versprochen habe?«

      »Was meinen Sie?«

      »Daß von diesem Einbruche nicht gesprochen werden soll. Wollen Sie mir erlauben und beistehen, mein Wort zu halten?«

      »Wie müßte ich das wohl anfangen?«

      »Sie dürften selbst nicht darüber sprechen.«

      »Wenn es Ihr Wunsch ist, werde ich schweigen.«

      »Und bitte auch die Zofe und die andere Dienerschaft zum Schweigen veranlassen!«

      »Ich werde mein Möglichstes thun, kann aber leider keine vollständige Garantie übernehmen,« erklärte sie lächelnd.

      »Und noch eine Bitte, welche mir sehr, sehr am Herzen liegt: Es soll und darf Niemand erfahren, daß ich es bin, den man den Fürsten des Elendes nennt!«

      »Das weiß nur ich und die Zofe. Wir werden schweigen«

      »So bin ich darüber beruhigt und darf wohl jetzt um meine Entlassung ersuchen!«

      Sie erschrak beinahe.

      »Sie wollen mich verlassen?« fragte sie. »Ist das unbedingt nothwendig. Durchlaucht?«

      »Nicht unbedingt, aber doch wünschenswerth.«

      »Warum wünschenswerth?«

      »Aus zwei Gründen. Erstens möchte ich beobachten, was die fortgegangenen Leute thun, und zweitens befinden Sie sich außer aller Gefahr, und ich darf nicht wagen, Sie länger zu incommodiren.«

      Sie warf, ein Wenig erröthend, allerdings einen Blick auf ihr mehr als reizendes Nachtgewand, sagte aber in bittendem Tone:

      »Diesen Leuten zu folgen, wird unmöglich sein, denn sie sind wohl schon längst verschwunden. Was aber mich betrifft, so fühle ich mich noch nicht im Mindesten sicher. Sie selbst haben mich in Ihren mächtigen Schutz genommen, und ich bitte Sie jetzt dringend, noch einige Zeit unter demselben bleiben zu dürfen!«

      Ueber sein ernstes Gesicht glitt ein Zug herzlicher Freude.

      »Ich stehe zur Verfügung, gnädige Baronesse, wenn ich nur weiß, daß es Ihr Wille ist, den ich befolge.«

      »Mein Wille? Befolgen? O nein; es ist nur meine Bitte, welche Sie mir erfüllen. Haben Sie nur die Güte, mir eine einzige Minute zu gestatten!«

      Sie entfernte sich und kehrte in der angegebenen Zeit wieder zurück. Sie hatte das Negliggée abgeworfen und eine andere Gewandung angelegt. Diese Letztere aber war fast ebenso verrätherisch, als das Erstere. Und das Häubchen, unter welchem sie die Fülle ihres Haares hatte bergen wollen, saß so kokett auf dem Köpfchen, daß nicht einmal die Locken gehorsam waren, sondern sich hinten und zur Seite niederstahlen, um den glänzenden Nacken und die zart gerötheten Wangen zu liebkosen und zu küssen.

      Sie hatte der Zofe Befehl gegeben, und diese brachte Wein und Dessertgebäck nebst Früchten. Die schöne Baronesse schenkte selbst ein und nippte auch ein Wenig mit von ihrem Glase.

      »Wissen Sie, warum ich Sie zurückgehalten habe, Durchlaucht?« fragte sie.

      »Warum?«

      »Ein Wenig aus Furcht, daß die Bande doch noch wiederkehren werde, mehr aber noch aus Neugierde. Ich fühle die größte Sehnsucht, Sie einem ebenso strengen wie weitläufigen


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