Eine Frau von dreißig Jahren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.»Verena«, sagte er mit übertriebener Feierlichkeit, »Sie wollen mich doch nicht zwingen, wieder einmal um Ihre Hand anzuhalten?«
»Du lieber Himmel!« Sie mußte lachen.
»Sie würden mich zum glücklichsten aller Sterblichen machen, glauben Sie mir!«
»Also, wissen Sie, Chef, das ist nicht fair. Ich finde, mein Gehalt kann die Firma gerade noch tragen!«
»Bis morgen, Verenchen!«
»Bis morgen, Chef! Und schönen Dank!«
Er winkte ihr durchs Wagenfenster zu, als sie schon im Hauseingang stand. Dann fuhr der Wagen davon.
Verena lächelte noch immer. Sie wußte, daß er erleichtert war, sie mit seinem alten Witz zum Lachen gebracht zu haben. Das war so seine Art, sich für schlechtes Benehmen zu entschuldigen. Wenigstens war er nicht ohne Einsicht, bestimmt gab es viel schlimmere Vorgesetzte.
Zehn Jahre arbeitete sie jetzt bei Neuhausen, und trotz aller Reibereien war es noch nie zu einem ernsthaften Krach gekommen. Im Grunde genommen verstanden sie sich doch recht gut, und die nächsten Tage würde er bestimmt besonders zahm sein, wie stets nach solchen Ausfällen. Es war töricht von ihr, sich immer wieder ins Bockshorn jagen zu lassen. Man mußte ihn einfach nehmen, wie er war, ändern können würde ihn niemand mehr.
Die Haustür wurde aufgedrückt, und Verena stieg zum zweiten Stock hinauf. Ein nettes Mädchen in schwarzem Kunstseidenkleid, weißer Schürze und weißem Häubchen erwartete sie an der Wohnungstür.
»Fräulein van den Berg?«
»Ja.«
»Die gnädige Frau erwartet Sie!«
Sie half Verena aus dem Trenchcoat.
»Sie sind noch nicht lange hier, nicht wahr?« fragte Verena.
»Seit zwei Monaten, gnädiges Fräulein!«
Aber schon gut dressiert, hätte Verena beinahe gesagt, aber verschluckte noch rechtzeitig diese Bemerkung.
So was! dachte sie. Das wird ja immer toller. Ein Mädchen mit Spitzenhäubchen! Nächstens wird Georg ihr noch einen Swimming-pool auf dem Balkon anlegen!
Das Mädchen öffnete die Tür zum Wohnzimmer und ließ Verena eintreten.
Ihr erster Blick fiel auf Georg, der, noch ohne aufzuschauen, im Sessel saß, die Beine weit von sich gestreckt und in der Zeitung las.
Es gab ihr einen Schlag, fast prallte sie zurück. Dann zwang sie sich, weiterzugehen, setzte einen Fuß vor den anderen, lächelte Brigitte zu und sagte mit einer fröhlichen Stimme, die ihr selber fremd und unnatürlich klang: »’n Abend, Brigitte! Ich bin pünktlich, was? Mein Chef hat mich mit seinem Auto gebracht!«
Brigitte sah sie an, Spott in den schläfrigen Augen. »Fein, daß du gekommen bis … Ich war gar nicht sicher, ob du mich nicht wieder versetzen würdest!«
»Unsinn!« Verena gelang es, zu lachen.
Georg war aufgestanden, die zusammengelegte Zeitung in der Linken. Sie mußte ihn begrüßen.
Sein warmer, fester Händedruck tat ihr fast unerträglich wohl. Ohne ihn anzusehen, spürte sie doch seine braunen, ernsten Augen auf ihr Gesicht gerichtet. Ein, zwei Sekunden, dann war es überstanden.
»Setz dich doch, Verena«, sagte Brigitte, »wie geht’s dir denn?«
»Oh, danke, alles beim alten!« Verena redete nervös drauflos. »Ärger mit Neuhausen wie immer, und Ina scheint sich wieder mal verliebt zu haben.«
»Und du?«
»Ich?«
»Na, ich meine nur. Willst du deine Tugend weiterhin eisern verteidigen?«
»Ihr entschuldigt mich wohl«, sagte Georg, der stehen geblieben war, »es wird Zeit für mich!«
»Geh nur, Liebling, wir halten dich gewiß nicht!« sagte Brigitte süß.
Verena blickte in Georgs Richtung. Er verbeugte sich knapp, sah sie mit traurigen Augen an, und dann hatte er das Zimmer verlassen.
Die Atmosphäre war mit einem Schlag verändert, die gefährliche Spannung, die Verena fast körperlich gespürt hatte, war in ein Nichts zerronnen; jetzt war sie mit Brigitte allein, eine Plauderstunde zwischen alten Freundinnen sollte beginnen, kein Grund mehr zu irgendeiner Beklemmung.
Verena zündete sich eine Zigarette an und überließ sich einen wohligen Augenblick lang ihrem Entspanntsein.
»Warum kannst du Georg eigentlich nicht leiden?« fragte Brigitte unvermittelt und ohne Verena anzusehen. Sie hatte den Kopf über eine Strickarbeit gebeugt. Jetzt stellte Verena fest, daß sie ihre Haarfarbe wieder einmal gewechselt hatte. Ihre kurzgeschnittene, künstlich verstrubbelte Frisur leuchtete kupferrot im Licht der Stehlampe.
»Die neue Frisur steht dir gut«, meinte Verena.
Brigitte sah auf. Ihre Haut wirkte sehr weiß gegen das rotglänzende Haar, ihre Augen sehr grün. »Weich mir nicht aus!«
»Aber wieso denn? Ich überlege mir nur gerade …«
»Das mußt du doch wissen!«
»… was für eine Haarfarbe du eigentlich ursprünglich hattest!«
»Aber wer spricht denn davon, Verena! Das ist doch gänzlich uninteressant!«
»Mich interessiert’s nun mal gerade!«
»Ich weiß, daß du Georg nicht leiden kannst. Ich habe es von Anfang an gemerkt. Und das ist auch der Grund, warum du immer seltener zu mir kommst!«
»Du redest dir das ein, Brigitte, wirklich …«
»Stört es dich, daß er … nun … nicht sehr klug ist?«
»Nicht?« Verena war ehrlich erstaunt.
»Ach, tu doch nicht so! Das weißt du ganz genau!«
»Ich … du kannst mich totschlagen, Brigitte, aber darüber habe ich überhaupt noch nicht nachgedacht!«
Brigitte zuckte mit den Schultern. »Nun, dann habe ich dich eben überschätzt. Ich hätte gedacht, du wärst längst dahintergekommen. Daß ausgerechnet du dich von seinem gutem Aussehen blenden lassen würdest …«
»Na hör mal, Brigitte, das ist doch Unsinn, was du da redest! Er ist Rechtsanwalt, hat eine gutgehende Praxis, verdient ’ne Menge Geld, da kann er doch nicht … Nein, Brigitte, das wirst du mir nicht einreden!«
»Er kann nicht nur … er ist!«
»Was?«
»Dumm! Wenn du es genau wissen willst!«
Verena drückte ihre Zigarette aus. »Jedenfalls hast du eine höchst eigentümliche Art, über deinen Mann herzuziehen!«
»Findest du?« Brigittes grüne Augen funkelten.
»Ja.«
»Nun, ich dachte, du wärst meine Freundin.«
»Was hat das damit zu tun?«
»… und ich könnte ein offenes Wort mit dir reden!«
»Ich finde dieses ganze Thema zum Kotzen!« sagte Verena wütend und sprang auf.
»Meinst du, daß es mir angenehm ist, über diese Dinge zu reden?«
»Warum tust du es dann? Warum in Dreiteufelsnamen tust du es?«
»Weil ich Klarheit schaffen möchte. Klarheit zwischen dir und mir. Du kannst doch nicht leugnen, daß du dich immer mehr von mir zurückziehst. Bitte, sag jetzt nicht, ich bilde mir das ein. Ich weiß es. Und der Grund kann nur Georg sein; ich habe mir dein ganzes Verhalten immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Es handelt sich um ihn. Was also ist los?«
Nur einen winzigen