Eine Frau von dreißig Jahren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.lächelte sie an. »Ich hoffe, daß es Ihnen jetzt gefällt.«
Sie wich seinen Augen aus und wußte nichts zu sagen.
»Sie werden sich sicher fragen, warum ich persönlich aufgekreuzt bin, was? Ich hätte das Manuskript doch genausogut mit der Post schicken können. Wie das erstemal …« Er zog an seiner Pfeife. »Der Grund ist einfach der, daß ich Sie kennenlernen wollte.«
Sie machte eine fast erschrockene Bewegung.
»Doch«, sagte er, »das ist der Grund! Sie müssen nämlich wissen … Sie sind tatsächlich der erste und einzige Mensch, der für meinen Roman Verständnis gezeigt hat, und Sie wissen sicher, was es für einen Autor bedeutet verstanden zu werden.«
Er schwieg und schaute sie über seine Pfeife hinweg an.
»Ich … ich werde bestimmt alles für Ihren Roman tun, was in meinen Kräften steht«, stotterte sie.
»Das glaube ich, aber das Wichtigste bleibt für mich doch, daß er Ihnen gefallen hat.«
Sie biß sich auf die Unterlippe und erwiderte seinen Blick.
»Herr Schmidt«, sagte sie, »es tut mir leid … aber hier liegt ein Mißverständnis vor …«
»Das ist doch nicht möglich!« sagte er und lächelte immer noch.
»Es tut mir leid«, wiederholte sie, »aber Ihr Manuskript hat mir nicht gefallen. Ganz und gar nicht. Es wäre das letzte, was mir je gefallen könnte …«
»Ach!« Sein Lächeln erlosch.
»Ja«, meinte sie aufatmend.
Er drückte mit dem Daumen die Pfeifenglut herunter, seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirn zeigte Runzeln; er sah mit einemmal sehr jung aus, wie ein kleiner Junge, dem man sein Lieblingsspiel verboten hat.
»Das soll natürlich nicht heißen, daß ich die neue Fassung nicht mit größter Sorgfalt prüfen werde!«
»Aber das hat doch dann gar keinen Sinn. Ich meine, wenn Sie …«
»Doch. Sehen Sie, Herr Schmidt, ich habe ja nicht gesagt, daß Die Vergessenen ein schlechter Roman wäre … Das ist er gewiß nicht, ganz im Gegenteil. Er ist gut gebaut und gut geschrieben … daß er mir persönlich nicht gefallen hat, besagt doch nicht viel!«
»Bitte, Sie brauchen mich nicht zu trösten!«
»Das habe ich auch nicht vor! Ich versuche nur, Ihnen klarzumachen, warum mein persönlicher Geschmack nur sehr wenig besagt.«
»Aber Sie sind doch hier Cheflektorin, oder?«
»Sicher. Aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich die Manuskripte nach meinem Geschmack beurteile. Das wäre doch ganz dumm!«
»Ich verstehe nicht …«
»Wir haben Verbindungen zu den verschiedensten Verlagen, Herr Schmidt, und es kommt oft genug vor, daß ein Manuskript mit einer glänzenden Beurteilung von mir auf Herrn Neuhausens Schreibtisch gelegt wird. Ein Roman, den ich nie im Leben aus freien Stücken lesen würde. Das heißt aber nicht, daß er nicht durchaus seinen Verlag und seine Leserschaft finden wird.«
»Klingt ganz nett«, murmelte er über seine Pfeife hinweg.
»Natürlich, ich könnte es verstehen, wenn Sie mir unter diesen Umständen Ihr Werk nicht anvertrauen möchten«, sagte sie und erhob sich.
»Was bleibt mir schon anderes übrig?« Er stand ebenfalls auf. »Sie wissen genau …«
»Danke«, sagte sie und nahm das Manuskript entgegen.
»Aber ich, ich meine doch … Ich möchte einfach wissen, was Ihnen an meiner Arbeit nicht gefallen hat! Könnten wir nicht …«
»Sehen Sie, Sie haben eine bestimmte Anschauung vom Leben. Ich habe eine andere. Das ist alles.«
»Aber, könnten wir nicht …«
»Hören Sie mal, Herr Schmidt!« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Nicht hier und nicht jetzt, natürlich«, sagte er rasch, »Sie haben eine Menge zu tun, ist mir klar. Aber vielleicht mal abends. Oder… Sie gehen doch sicher mittags essen …«
»Tut mir leid, Herr Schmidt … aber das … prinzipiell nicht!«
»Und warum?«
»Ein persönlicher Kontakt mit einem Autor würde, fürchte ich, meiner Objektivität schaden. Das müssen Sie verstehen!«
»Trotzdem, ich …«
»Und außerdem«, unterbrach sie ihn, »in Ihrem eigenen Interesse! Es wäre schlecht, wenn Herr Neuhausen den Eindruck bekäme, Sie wären ein besonderer Protegé von mir.« Sie reichte ihm die Hand und lächelte ihm zu. »Also, machen Sie sich nichts draus, Herr Schmidt. Ich werde Ihr Manuskript bestimmt mit ganz besonderem Interesse lesen, und Sie werden so bald wie möglich von mir Bescheid bekommen!«
»Danke«, sagte er. Er hatte die Pfeife weglegen müssen, um ihr die Hand zu reichen. Jetzt nahm er sie wieder auf und wandte sich zum Gehen.
»Herr Schmidt!« rief Verena ihm plötzlich nach.
Er drehte sich halb um.
»Entschuldigen Sie, bitte … aber … wie alt sind Sie eigentlich?« fragte sie, ohne recht zu wissen, weshalb.
»Warum interessiert Sie das?« Er hob seine Augenbrauen.
»Nur so …«
»Sechsundzwanzig«, sagte er kurz und verließ endgültig den Raum.
Sechsundzwanzig! dachte Verena. Verflucht noch mal, ich hätte ihn netter behandeln sollen! Aber daran ist nur Neuhausen, dieses Ekel, schuld mit seinem albernen Getue, obwohl ich daran mittlerweile schon gewöhnt sein könnte, aber es reißt mir immer wieder an den Nerven.
Sechsundzwanzig! Trotzdem … der Roman ist gräßlich. Immerhin, er ist ja auch noch hundejung, ein halbes Kind noch. Er wird mich für ein Scheusal halten, na wenn schon, ich kann es nicht ändern.
Der Regen hämmerte gegen die Fensterscheiben.
III
Ina Bongard war an diesem Morgen mit einem frohen Gefühl aufgewacht. Noch ehe sie klar denken konnte, noch ehe das Trommeln des Regens in ihr Bewußtsein drang, spürte sie, daß etwas Neues und Schönes begonnen hatte. Dann wachte sie vollends auf und wußte es … Heinrich!
Sie, die sonst nur ungern und unlustig aufzustehen pflegte, war heute mit einem Satz aus dem Bett gewesen, noch vor Verena. Sie hatte sich mit äußerster Sorgfalt angezogen, hatte ein Kleid gewählt, das ihr bisher noch zu schade für den Laden erschienen war. Sie fühlte den inneren Drang, während des Ankleidens zu singen, unterließ es nur mit Mühe, weil sie Verenas Spott und Argwohn fürchtete.
Von dem Augenblick an, da sie die Ladentür aufgeschlossen hatte, erwartete sie, Heinrich eintreten zu sehen. Er war zwar sonst meist erst um die Mittagszeit gekommen, aber das hatte ja nichts zu sagen, heute war doch ein besonderer Tag, heute würde er sich bestimmt genauso wie sie nach einer Begegnung mit ihr sehnen.
Aber die Stunden verrannen, ohne daß Heinrich erschienen wäre. Inas Lächeln, das am frühen Morgen strahlend und voll glücklicher Erwartung gewesen war, begann sich zu verzerren, begann einzufrieren.
Alle paar Minuten blickte sie auf ihre Armbanduhr, gab ihren Kunden zerstreut und abwesend Bescheid, starrte, während sie bediente, voller Spannung auf die Tür, und jedesmal, wenn diese sich öffnete, gab es ihr einen kleinen Stich ins Herz – wieder nicht Heinrich!
Es wurde ein Uhr und damit Zeit, den Laden über Mittag zu schließen, doch während Ina sonst immer voll Ungeduld auf diesen Moment zu warten pflegte, zögerte sie ihn heute so lange wie möglich hinaus. Es konnte ja sein, daß er sich verspätet hatte …
Ehe sie endgültig abschloß, trat sie auf