Eine Frau von dreißig Jahren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.wo soll er sich denn abreagieren, wenn nicht bei uns?«
»Wenn Sie das so sehen …«
»Ja, so sehe ich das! Wo waren wir stehengeblieben?«
Kaum eine halbe Stunde später läutete das Telefon. Frau Heinzelmann warf Verena einen fragenden Blick zu, dann nahm sie den Hörer ab und hielt ihn sich ans Ohr.
»Der Chef!« sagte sie, als sie wieder aufgelegt hatte. »Sie möchten bitte ins Konferenzzimmer kommen!«
»Was ist denn nun schon wieder los?«
»Ein Autor – soviel ich verstanden habe.«
Verena unterdrückte einen Fluch und erhob sich. »Na schön!« Sie öffnete die Tür zum Waschraum. »Meine Schuhe sind noch klitschnaß«, stellte sie fest.
»Haben Sie kein Zeitungspapier hineingestopft?«
»Ich hab’nicht dran gedacht.«
»Ziehen Sie doch einfach Ihre Strümpfe an und dann nehmen Sie wieder die Sandalen.«
»Wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben.«
Als Verena wenige Minuten später ins Konferenzzimmer trat, sah sie Neuhausen im Gespräch mit einem rothaarigen Mann, der ihr den Rücken zukehrte, stehen.
»Da bist du ja endlich, Verenchen!« rief er und zeigte seine falschen Zähne. »Ich möchte dir Herrn Schmitz vorstellen, einen hoffnungsvollen jungen Autor …«
Der junge Mann hatte sich Verena, die durch das Zimmer ging, zugewandt. »Schmidt«, berichtigte er ernsthaft, »Jochen Schmidt!«
Neuhausen ließ sich nicht beirren, er streckte den Arm aus und zog Verena an seine Brust; sie wurde steif wie eine Puppe.
»Herr Schmidt«, sagte er feierlich, »dieses ist Verena van den Berg, meine bildschöne Cheflektorin und – nebenbei gesagt –, eine der intelligentesten Frauen Europas! Halten Sie sich an Verenchen, Herr Schmidt, und Sie sind ein gemachter Mann!«
Verena versuchte sich loszuwinden, aber seine Hand umklammerte ihren Oberarm mit eisernem Griff. Sie warf ihm einen Blick zu, der jeden anderen Mann zumindest in Verlegenheit versetzt hätte; Neuhausen entlockte er nur ein amüsiertes Grinsen.
Jochen Schmidt verzog keine Miene, er beobachtete die beiden mit höflichem Ernst.
Ganz plötzlich gab Neuhausen Verena frei. »Na, dann überlasse ich euch also eurem literarischen Gespräch«, sagte er, »sei so gut und berichte mir nachher, Verenchen …« Mit hölzernen Schritten stolzierte er hinaus.
Verena und Jochen Schmidt standen sich gegenüber. Sie sah ihn an, ohne mehr als einen blassen Schatten seiner Persönlichkeit wahrzunehmen. Sie hätte weinen mögen vor Wut.
Erst als Jochen Schmidt irgend etwas sagte, fand sie in die Situation zurück.
»Entschuldigen Sie, bitte«, murmelte sie.
»Ich sagte, Herr Neuhausen scheint bis heute keine blasse Ahnung von meiner Existenz gehabt zu haben«, wiederholte er seinen Satz.
»Woher auch?« fragte sie.
»Aber …«
»Wollen wir uns nicht setzen?«
Sie setzten sich an das äußerste Ende des langen grünen Tisches. Vor den Fenstern strömte immer noch unablässig der Regen, graues Licht fiel in den Raum.
Verena öffnete eine der schweren, eckigen Zigarettendosen und schob sie ihm hin. Er bediente sich, legte seine Zigarette aber gleich aus der Hand, um ihr Feuer zu geben. Erst jetzt bemerkte sie, daß er nur einen Arm hatte, sein linker Ärmel baumelte schlaff und leer in der Jackentasche.
»Aber Sie sind doch wohl im Bilde?« fragte er.
»Wenn ich ehrlich sein soll …«, meinte sie zögernd und sah ihn an. Seine Haut wirkte verwittert und fahl unter dem roten Schopf, die Augen, von zahlreichen feinen Fältchen umgeben, waren von einem sehr hellen Blau, das durch die langen roten Wimpern noch heller wirkte, sein Alter war schwer zu schätzen.
Jochen Schmidt, dachte sie, natürlich, Jochen Schmidt … irgendein Manuskript. Wenn ich mich nur erinnern könnte!
Er lachte plötzlich und zeigte gesunde weiße Zähne. »Ich komme Ihnen wohl sehr albern vor, was?«
»Natürlich nicht, aber Sie müssen das verstehen. Ich hatte keine Gelegenheit, mich vor diesem Gespräch zu informieren«
»Ich kann Ihnen nur versichern«, sagte er, wieder lachend, »es kommt nicht allzuoft vor, daß ich meine Bedeutung überschätze. Aber Sie hatten mir einen so ausführlichen und interessanten Brief geschrieben …«
»Dann ist Ihr Manuskript sicher nicht schlecht!«
»So habe ich es jedenfalls aufgefaßt. Ich habe mich unbändig über Ihren Brief gefreut. Das heißt, im Grunde habe ich mich maßlos geärgert. Aber es ist ja klar, daß Sie das nicht begreifen können.«
»Lieber Herr Schmidt«, sagte Verena und biß sich auf die Unterlippe, »ich bin sicher, wir würden uns leichter verständigen, wenn Sie sich nicht so sehr als Einzelfall betrachten würden.«
»Tue ich das?« Er hob in übertriebenem Erstaunen die rötlichen Augenbrauen.
»Es scheint so«, entgegnete sie kühl, »Ihre Reaktion auf meinen Brief war jedenfalls nicht um ein Jota anders als die eines jeden anderen noch unbekannten Autoren. Sie haben sich gefreut, daß sich jemand überhaupt ernsthaft mit Ihrem Werk befaßt hat, und Sie haben sich geärgert, weil Sie die Notwendigkeit einer Umarbeitung natürlich nicht einsehen wollen!«
»Sie geben es mir ja ganz schön!« sagte er, und die Fältchen um seine Augen vertieften sich.
Sie fühlte sich elend, weil sie ihre Gereiztheit an ihm ausließ. »Wahrscheinlich haben Sie ihr Manuskript schon von mehr als einem Verlag ohne ein Wort der Erklärung zurückerhalten«, sagte sie.
»Stimmt haargenau«, gab er zu, ohne sich im geringsten verletzt zu zeigen.
Verena versuchte, sich zu einem sachlich freundlichen Ton zu zwingen. »Wann haben Sie Ihr Manuskript eingesandt?« fragte sie.
»Vor zwei Monaten ungefähr.«
»Und wann haben Sie es zurückbekommen?«
»Vor zwei oder drei Wochen.«
»Danke«, sagte Verena und drückte ihre Zigarette aus. Sie stand auf, ging zum Telefon hinüber und wählte eine Nummer. »Frau Heinzelmann«, sagte sie, »bitte, ich brauche ein paar Unterlagen über den Autor Jochen Schmidt. Er hat uns vor zirka zwei Monaten ein Manuskript eingesandt. Ja, er hat es zurückbekommen … Briefwechsel und Gutachten. Augenblick mal …«
Verena legte die Hand auf den Hörer und wandte sich an Schmidt. »Wie war der Titel?«
»Die Vergessenen.«
»Ach so!« murmelte sie und sah ihn an.
Dann wandte sie sich wieder dem Telefon zu. »Frau Heinzelmann? Ich brauche die Unterlagen nicht mehr. Nein, danke, es hat sich schon erledigt.«
Verena legte den Hörer auf, ging zu ihrem Platz zurück und nahm sich geistesabwesend eine neue Zigarette. Er reichte ihr Feuer.
»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte sie und deutete auf die Dose.
»Danke. Wenn ich mir eine Pfeife anzünden dürfte?«
»Natürlich!«
Er zog eine Pfeife und einen ledernen Tabaksbeutel aus der Hosentasche und begann, sie mit der rechten Hand zu stopfen. Er tat es auf eine Weise, die trotz aller Unbeholfenheit weder rührend noch mitleiderregend wirkte, sondern, wie Verena fand, ausgesprochen arrogant.
»Jetzt erinnere ich mich wieder. Haben Sie die Umarbeitung vorgenommen?«
»Ja«, sagte er, »ich habe das Manuskript bei mir. Wenn Sie einen Blick