Der arme Konrad. Roman aus dem großen Bauernkrieg von 1525. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Bäume schauerten und welkes Laub über den weissdampfenden Boden hintanzte. Der Gaul wurde unruhig und schüttelte sich vor Frost. Aber der einsame Ritter achtete nicht darauf. Hochaufgerichtet schaute er finster in die Ferne, und es zuckte um seine Lippen. Hans Waldvogel, sein Junge, ein dunkeläugiges Bürschlein von vierzehn Jahren, das einst in einem welschen Tal der Schweiz von seinen Ziegen weg ihm zugelaufen war und seitdem wie ein Hund folgte, kauerte am Boden und schaute erwartungsvoll auf seinen Herrn.
Endlich besann er sich. „Bist müde, mein Bub’?“ fragte er freundlich. „So steig auf den Baum da, dass du vor den Wölfen ohne Sorgen bist, und bind dich fest und schlafe und lauf mir morgen nach. Ich aber reite die Nacht durch, dass ich mit der Sonne in Heidelberg bin!“
2
Durch die Rheinebene hin trabte eilfertig ein junger Priester, verstörten Angesichts, in eine schwarze Kutte gehüllt. Hinter ihm, in ehrerbietigem Abstand, ein gewappneter Ritter und drei Knechte.
„Da sind die Türme von Heidelberg!“ rief der Kanzler Dalberg. „Gnädiger Herr — in einer Viertelstunde sind wir bei Eurer Gnaden Bruder, dem Pfalzgrafen.“
Bischof Georg von Speyer drehte sich um und schaute nach seinen Landen zurück, aus deren Mitte sich, hell im Morgensonnenschein emporgewölbt, der ehrwürdige Kaiserdom erhob. „Gott sei gepriesen!“ keuchte er. „Die Gefahr ist vorbei! Wenn man so gemächlich reisen darf“ — er wies nach vorn — „wie der Reiterzug da vor uns, so kann es hier um die Stadt Heidelberg mit der Bauern Stürmen noch nicht so heftig bestellt sein!“
Ein riesiger Recke ritt da auf hochbeinigem, goldbraunem Hengst, von einer langen Knappenreihe gefolgt. Über den kunstreich mit Gold und Silber getäfelten Harnisch wallte von dem verwetterten, grimmigen Gesicht ein langer, eisgrauer Bart herab. Darunter verschlangen sich zwei schlanke Hände. Dicht an ihn geschmiegt sass hinter ihm ein blondes, junges Weib im Sattel und schaute träumerisch nach rechts und links in das Saatengrün und Himmelblau und das Glitzern und Prangen des Frühlings.
Der stolze Kirchenfürst jagte, ohne die beiden anzuschauen, vorüber. Er scheute sich, erkannt zu werden als ein landflüchtiger Mann, der Hilfe suchend mit einer Handvoll Knechte dahinritt.
Der andere Zug trabte hinterher.
„Lieber Herr!“ sprach das junge Weib nach einer Weile. „Reitet nicht so geschwind! Es stösst mir das Herz ab!“
„Ei was!“ Der Recke warf einen sorgenden Blick nach rechts und links und stiess dem Hengst die goldenen Sporen in die Flanken. „Halt dich fest! Wird dir nicht gleich das Herz verdrucken! Die Zeit tut not. Es begibt sich grosser Lärm am Rhein, im Lande Schwaben und der Pfalz. Und wer sich auch nicht um des gemeinen Pöbels Murbeln kehrt, sieht doch: der Handel kommt allzu grob an den Tag!“
Das junge Weib klammerte sich fester an ihn an. „Man merkt’s: Ihr seid kein Frauenmann!“ stiess sie atemlos im Jagen hervor. „Setzet mich hinter Euch, haltet mich wie einen Beutepfennig aus dem Türkenkrieg und kümmert Euch nicht, ob ich auf laufendem Ross verzucken und vergehen muss. Ihr seid ein grober, rauher Mann! Was es für Gestalt um uns Weiber hat, darein werdet Ihr Euch nie schicken!“
Von hartem Zügelriss pariert fiel das Pferd in Schritt. Es dampfte und sein Reiter blickte finster drein. „Du schöpfst dir trefflich ein Gemüt, Madlene!“ knurrte er, ohne sich umzuschauen. „Belferst tagaus, tagein wider deinen Herrn und Hauswirt ...“
„Der ist’s mit meinem Willen nicht geworden! Das ist uns beiden nicht unbekannt.“
Jetzt wendete sich Herr Wolfgremlich doch im Sattel und schaute zornig unter buschigen Brauen in Madlenes vom Ritt erhitztes Gesicht, um das zerzaust die langen Locken spielten. „Wir sind ein Paar Ehevolk,“ gebot er leise und nachdrücklich, „... und bleiben’s! Und sollst keinen anderen in Sinn und Gemüt haben, wenn ich dir gut bin.“
Sie lächelte müde. „Die Gedanken ... die fliegen als die Schwalben im Herbst! Die meinen gehen weit fort ... weiss selbst nicht, wohin ... kenn’ das Land nicht; aber ich werd’s einmal schauen, wenn Gott mir mein Stündlein rüstet. Des tröst’ ich mich!“
„Und an wen denkst du dort?“
„An den, der schon hinüber ist! Den die Reisläufer in Basel erstochen haben in einer schlechten Herberge. Weil er tot ist, darf ich’s sagen. Und ich möcht’ auch tot sein und bei ihm!“
Der Hengst machte, von unvermutetem Sporenhieb getroffen, einen mächtigen Satz und wieherte zornig auf. Die Stimme des Freiherrn klang wie Bärengrollen. „Hab’ ich’s dir nicht verboten,“ knirschte er, „an den verlorenen Gesellen zu denken?“
„Ich hab’ nun einen seltsamen, unverträglichen Kopf!“ Madlene schaute über seine Schulter hinweg in die Ferne. „Ich denke eben doch an ihn. Ich will Euch ja nicht betrügen und Euch kein Storchennest zeigen. Ich meine nur, der Allmächtige gibt einmal uns beiden die ewige Freud’. Es hilft ja keine Stärke, keine Geradigkeit! Es geht zu seiner Zeit alles dahin, wie der Rauch; letztlich nimmt uns der Tod gar hin!“
„Aber noch leben wir, Madlene, und ich bin der Sache nicht zufrieden! Ich weiss ja wohl: ich bin ein frommer grober alter Schwab’ und in Weiberhändeln nicht so behend wie der Franzos, aber doch noch ein aufrechter, reuterischer Mann und empfang’ ein bitteres Missfallen an deinem Wesen! Ganz beschwerlich bist du ... ganz unleidentlich ...“
„Ei — warum habt Ihr mich dann genommen?“
„Ja, warum?“ Der Recke seufzte. „Deine Brüder waren langsam und liederlich in deinen Sachen, Madlene, haben’s verabsäumt, dich zu verheiraten, — ihrem Stamm und Namen wenig Ehre eingelegt. Da bin ich von ohngefähr dazu gekommen, hab’ dich gesehen und bei mir gedacht: eine christliche Hausfrau ist eine Gab’, die sich ins Schwabenland fügt und einen Schwaben so wohl als eine schöne Straussfeder ziert! Es ist der Welt Lauf. Die Alten haben den Cupidinem mit verbundenen Augen, als ob er blind sei, gemalt!“
„Da haben die Heiden aber wohl getan!“ sagte Madlene. „Ich war auch blind!“
„... Dass du deinen Brüdern gehorcht hast und dich mir zuführen lassen — eine arme Jungfer und Waise ohn’ alle Zugab’ und Heiratsgut, ohne Aussteuer und Abfertigung und ...“
„Fröle Annele von der Frölichsburg.“ Madlene sprach mehr zu sich als zu dem Recken vor ihr. „... Die ist mit ihres Vaters Bäcken in die Fremde davongezogen und beide im Elend gestorben, der Gesell und sie. Gott helf’ ihr! So will ich’s nicht treiben. Ich will mich halten. Mein Gesell ist tot, kann mich nicht ins Übel führen. Aber eben darum muss ich an ihn denken mein Leben lang ...“
„Nun aber wahr’ dich,“ — Herr Wolfgremlich ballte vor Zorn die Fäuste über den Zügeln — „oder es gibt rote Ohren und zerstrobeltes Haar!“
Aber Madlene erschrak nicht. „Es steht ein verschlossenes Klösterle oben im Odenwald,“ sagte sie. „Da hab’ ich hinein wollen und Mariä Leid tragen mein Leben lang, als eine gottesfürchtige und vielbetende Klosterfrau. So wär’s recht gewesen und der Handel gut geschlichtet. Schau, da seid Ihr vors Haus geritten ...“
„Und hab’ dich weggenommen von deinen vollen, verspielten Brüdern, wie sie dagesessen haben in dem verfallenen Torstüble und mit ihren Ofenheizern und Buben gewürfelt und gesoffen, und hab’ dich aus der Not herausgefischt und all dem Strudel ...“
„Ja, Herr! Das habt Ihr! Aber ich dank’s Euch nicht!“
„Halt’ ich dich nicht gut und in Ehren?“
„Ja, Herr!“
„Hab’ ich dir nicht zwei welsche Pfauen geschenkt, wie sie die Pfalzgräfin selber kaum hat?“
„Ja, Herr!“
„Ist nicht unser Haus so fest und schön wie keines und sitzen mir nicht dahinter die Bauern auf Stunden weit in Zins und Gülte?“
„Ja, Herr!“
„Und wenn wir heute in Heidelberg einreiten,