Lu, die Kokotte. Artur Hermann Landsberger

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Lu, die Kokotte - Artur Hermann Landsberger


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„Ich weiß ja, daß die Politik nicht in Ihr Fach schlägt; ich bin in der Tat sehr beschäftigt, also bitte.“

      „Ich hatte das Thema ja nicht angeschlagen,“ erwiderte Mohr bissig, „ich weiß auch nicht, ob Sie aufmerksam wären, wenn ich von meinen Angelegenheiten sprechen würde.“

      Entsetzt wehrte der Professor ab.

      Nun ja, das fehlte gerade, daß er ihn in seine Abenteuer einweihte. Ihm genügte, was ihm seine Frau gelegentlich beim Schlafengehen erzählte; die bezog ihre Nachrichten von der Dame, die Mohr seit Jahren das Haus führte; auf Details verzichtete er gern; ließ sie sich nicht einmal von seiner Frau erzählen, der er erst kürzlich jedes Gespräch mit „dieser Person“, die solche Dinge um sich duldete und sie weitertrug, verboten hatte. Seine Frau freilich war ihm über den Mund gefahren, hatte ihn verächtlich von der Seite angesehen und gesagt:

      „Es ist schlimm genug, daß ich mich seit zehn Jahren mit diesen Geschichten begnügen muß. Dein Verhalten mir gegenüber als Ehemann ist nicht derart, daß du das Recht hättest, mir dies harmlose Vergnügen zu verbieten.“

      Und daß er diese Vorwürfe dulden mußte, war der vierte und vielleicht ernsteste Grund, aus dem er den Kommerzienrat haßte.

      „Sie wissen,“ begann Mohr, „daß ich mich seit Jahren für Ihre Nichte, Luise Kersten, interessiere.“

      Der Professor, der sich kaum gesetzt hatte, sprang auf:

      „Herr Kommerzienrat, ich muß Sie bitten, das interessiert mich nicht; wie mich nichts mehr interessiert, was mit diesen Leuten in Verbindung steht. Ich habe angeordnet, und diese Anordnung erstreckt sich auf alle, die in mein Haus kommen, daß der Name“ — er vermied, ihn auszusprechen — „hier nicht mehr genannt wird.“

      „Sie können doch Frau und Kinder nicht für das verantwortlich machen, was der Vater gesündigt hat.“

      „Sie scheinen nicht zu wissen, daß die Familie zu den weitgehendsten Opfern bereit war.“

      „Davon ist mir allerdings nichts bekannt.“

      „Diese Leute haben es aber unmöglich gemacht, daß jemand, der auf Reputation hält, sich überhaupt noch um sie bekümmert. Statt jede Erinnerung an diesen — nun ist er tot; de mortuis nil nisi bene, sonst würde ich sagen: Verbrecher — in den Kindern zu töten, wissen Sie, was diese Mutter da tut? Sie werden es nicht für möglich halten: sie führt ihn den Kindern noch als nachahmenswertes Beispiel vor Augen.“

      „Dann muß man die Kinder dem Einfluß der Mutter entziehen“, erwiderte Mohr.

      „Das wäre das Beste“, sagte der Professor. „Wenn Sie jemand wissen, der das Opfer bringt und die Zeit hat. Das Vormundschaftsgericht hat sich natürlich an mich gewandt; ich sollte Gegenvormund werden; ich habe dankend abgelehnt.“

      „Ich erfuhr es, und das ist auch der Grund, aus dem ich hier bin; um Sie zu bitten, Ihre Weigerung zu widerrufen.“

      „Es wäre sündhaft von mir,“ erklärte der Professor mit feierlicher Stimme, „wenn ich der Wissenschaft und der Kommune dieser Leute wegen auch nur eine Stunde meiner Wirksamkeit entzöge. Offen gesagt, ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie nach alledem noch den Mut finden können ....“

      „Herr Professor!“ sagte Mohr und mühte sich, feierlich zu erscheinen, „da reden Gefühle. Ich bin mir bewußt, daß es mich gesellschaftlich Opfer kosten wird ... große ... vielleicht vernichtende. Ich habe das alles erwogen. Aber wie gesagt: die Gefühle sind stärker. Muß es sein, so gehe ich aus Berlin heraus. Die Welt ist groß.“

      Er mußte über sich selbst lachen, als er sich so sprechen hörte. Aber der Professor fuhr mit einem gewaltigen Ruck in die Höhe, stellte sich kerzengerade vor ihn hin; streckte ihm mit großer Würde die Hand entgegen und rief:

      „Sie sind ein Held!“

      Mohr lehnte die Huldigung ab. Einmal hatte das noch Zeit, bis er seinen letzten Trumpf ausspielte, und dann wußte er: je selbstloser er hier auftrat, um so sicherer kam er zum Ziel.

      „Alle Liebe ist am Ende Egoismus, verehrter Herr Professor, und darum sind es auch alle Handlungen, die aus ihr entspringen.“

      „Sie sind übermäßig bescheiden!“ entschied der Professor und setzte sich wieder.

      „Mir scheint kein Preis zu hoch für das, was ich fordere“, erwiderte Mohr. „Natürlich bin ich mit meinen 44 Jahren nicht mehr jung genug, um ohne Besinnung auf mein Ziel loszustürmen. Ich weiß, daß erst Gras wachsen muß über die furchtbaren Ereignisse der letzten Wochen.“

      Der Professor stimmte zu.

      „Ein, zwei Jahre vielleicht! Das scheint mir aber auch im Interesse der Zartheit und Jugend Ihrer Nichte zu liegen. Und Sie wissen ja, Herr Professor, wie schnell sich in einer Stadt wie Berlin alles vergißt. So wird auch das vergessen. In zwei Jahren denkt kein Mensch mehr daran.“

      „Hoffentlich!“ sagte der Professor.

      „Was Ihre Nichte zunächst mal nach all den Aufregungen braucht, ist Ruhe und Schonung; es ist daher durchaus wünschenswert, wenn sich eine Zeitlang möglichst niemand um sie bekümmert. Ich weiß, das alles regt sie auf; selbst wenn es noch so gut gemeint ist.“

      „Vor mir ist sie sicher“, sagte der Professor.

      „Leider“, erwiderte Mohr. „Gerade von Ihrem Einfluß hatte ich so viel erwartet.“

      Der Professor stand auf und gab abermals breit und feierlich eine Erklärung ab.

      „Herr Kommerzienrat!“ begann er. „Als Onkel und Senior der Familie habe ich natürlich das denkbar größte Interesse an der Rehabilitation der Familie Kersten. Daß diese vor den nächsten Reichstagswahlen erfolgt, ist für mich beinahe eine Lebensfrage. Denn ich weiß nicht, ob ich es ohne diese Rehabilitation mit meinem Gewissen werde vereinbaren können, vor meine Wähler hinzutreten. Diese Rehabilitation kann bei meinem Neffen nur durch besondere Leistungen, für die ihm meines Erachtens die sittliche Reife fehlt, bei meiner Nichte nur durch die Ehe mit einem Manne von Reputation erfolgen. Ich stehe nicht an zu erklären, und ich darf wohl für mich die Fähigkeit, Menschen zu beurteilen, in Anspruch nehmen, daß ich meine Nichte durch eine Ehe mit Ihnen als durchaus rehabilitiert betrachten würde.“

      Mohr stand auf, reichte dem Professor die Hand und dankte ihm.

      „Darf ich Ihre Zeit noch fünf Minuten in Anspruch nehmen?“ fragte er.

      „Ich bitte darum.“

      „Sehen Sie,“ begann Mohr, „mir liegt natürlich daran, daß diese Rehabilitation, von der Sie da sprachen, auch die träfe, zu denen ich durch die Ehe in ein näheres verwandtschaftliches Verhältnis trete; ich meine die Mutter und den Sohn.“

      „Sehr begreiflich!“ bestätigte der Professor.

      „Ja, mir muß daran liegen, daß diese Rehabilitation stattfände, bevor ich offiziell ...“

      „Ich verstehe ...“

      „Das ist aber nur möglich, wenn jemand wie Sie als Vormund mit aller Energie die Geschicke dieser Leute lenkt und jeden Einfluß eines Dritten, wer immer es sei, ausschaltet.“

      Das schmeichelte dem Professor; und das kam so deutlich auf seinem Gesicht zum Ausdruck, daß Mohr einen Augenblick lang fürchtete, er werde womöglich seinen Widerstand aufgeben und die Vormundschaft annehmen.

      „Natürlich ist es bei Ihrer Position als Lehrer der akademischen Jugend, als Vertreter der Stadt wie als Parlamentarier ...“

      „Das letzte noch nicht“, berichtigte geschmeichelt der Professor.

      „Nun, auch das ist ja wohl nur eine Frage der Zeit, einer recht kurzen, wie ich im Interesse des Ansehens unseres Parlaments hoffen darf.“

      Der Professor krümmte dankerfüllt seinen breiten Rücken.

      „Ich meine,“ fuhr Mohr fort, „auf der einen Seite darf


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