Lu, die Kokotte. Artur Hermann Landsberger

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Lu, die Kokotte - Artur Hermann Landsberger


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auf der anderen Seite aber verlangt eine Vormundschaft wie diese natürlich ein vollkommenes Aufgehen in den Interessen dieser Menschen, an denen Jahre hindurch schwer gesündigt wurde.“

      „So ist es“, bestätigte der Professor.

      „Ich höre nun, daß man Sie im Falle Ihrer Weigerung um Vorschläge gebeten hat, wer Ihres Erachtens wohl als Vormund in Frage käme. Nun ...“ — er stand auf und trat dicht vor den Professor hin — „ich bin, falls Sie mich für würdig erachten, bereit, diese Vormundschaft zu übernehmen.“

      „Sie wollten!“ rief der Professor und erhob sich.

      „Vorausgesetzt, daß zwei Bedingungen erfüllt werden“, erwiderte Mohr.

      „Die wären?“ fragte er.

      „Einmal muß jeder Einfluß eines Dritten aus der Familie ausgeschaltet werden.“

      „Dafür stehe ich Ihnen ein,“ versicherte der Professor, „und das zweite?“

      „Ja, das zweite“, fuhr Mohr fort und setzte sich wieder. „Natürlich sorge ich dafür, daß die Familie unverändert in dem Stile fortlebt, in dem sie bisher gelebt hat.“

      „Was?“ rief entsetzt der Professor. „Wissen Sie auch, was das bedeutet?“

      „Fünfzig- bis sechzigtausend Mark im Jahre, hat man mir gesagt“, erwiderte Mohr völlig gelassen.

      „Und Sie wollen?“ fragte der Professor und war ganz außer sich, fuchtelte mit der Hand in der Luft herum und schüttelte den Kopf.

      „Ja!“ sagte Mohr, als handle es sich um eine Bagatelle, „aber“ — und nun legte er wieder Nachdruck in seine Worte — „nun kommt die zweite Bedingung: Ihr Neffe sowie die Mutter dürfen unter keinen Umständen wissen, daß das Geld von mir kommt.“

      Der Professor sah ihn erstaunt an.

      „Von mir werden sie’s nicht erfahren“, sagte er.

      „Ihre Nichte wünscht das so,“ erläuterte Mohr, „und ich weiß nicht, weshalb man ihr diese belanglose Bitte nicht erfüllen soll. Die Empfindsamkeit der Mutter, Sie verstehen, die darunter litte; und dann der Bruder — nun, er mag mich nicht, würde das Geld von mir nicht nehmen, womöglich seinen Beruf aufgeben ...“

      „Das soll er nur!“ unterbrach ihn der Professor. „Das ist das Gescheiteste, was er tun kann.“

      „Ihre Nichte hängt mit ganz besonderer Liebe an ihm. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, daß er Maler wird! Mag er also bleiben, wo er ist. Und was liegt schließlich daran, wenn der Junge glaubt, das Geld kommt von Ihnen.“

      Der Professor wehrte entschieden ab.

      „Von mir unter keiner Bedingung; wenn das jemand erfährt, was sollte man davon denken, daß ich diese Leute unterstütze. Aber Geheimrat Walther wird das gern an meiner Stelle übernehmen. Ich verbürge mich sogar dafür, daß er es tut. Er ist Spezialist in der Kunst, auf Kosten anderer wohltätig zu sein. Und dann nimmt es diese Frau auch lieber von ihm als von mir — sie hat ihre Gründe dafür — verlassen Sie sich darauf. — Nein! Glück haben die Leute! Wahrhaftig mehr als sie verdienen.“

      „Ich darf also damit rechnen?“

      „Sie dürfen!“ erwiderte der Professor. „Ich gehe noch heute zum Vormundschaftsgericht und erledige alles; auch das mit meinem Schwager.“

      Dann wurde er zum drittenmal feierlich, stellte sich kerzengerade, warf den Kopf zurück und sagte: „Und nun will ich in unser aller Interesse hoffen, daß Sie für die gewaltigen Opfer, die Sie bringen, auch Dank ernten.“

      Mohr grinste über das ganze Gesicht. Das Geschäft war perfekt.

      „Darauf können Sie sich verlassen!“ erwiderte er. „Ich sorge schon, daß ich nicht zu kurz dabei komme.“

      Dann reichte er dem Professor die Hand und verabschiedete sich.

      „Wie man sich doch manchmal im Menschen täuschen kann“, sagte der Professor, als Mohr draußen war und vertiefte sich wieder in seine Akten über die städtische Müllabfuhr.

      Mohr stieg in sein Automobil. Er hatte die Bedingungen erfüllt, die Luise stellte, den Kaufpreis bezahlt. Es war nur natürlich, daß er bei den großen materiellen Opfern, die er nun bringen mußte, auch an sich dachte, ihr Vormund wurde, sich das Verfügungsrecht über sie sicherte und so jede Einwirkung und Kontrolle eines Dritten ausschaltete.

      V.

      Frau Fanny war mit dieser Regelung sehr zufrieden. Von allen Verwandten war ihr der Geheimrat Walther immer noch der liebste, denn er allein hatte hin und wieder so etwas wie einen großen Zug — im Gegensatz zu jener philiströsen Korrektheit und Beengtheit, die ihr an dem Oberlehrer und Professor so zuwider waren.

      Auch daß sie den Geheimrat wie die übrige Familie erst am Tage, an dem Luises Verlobung mit Kommerzienrat Mohr offiziell wurde, Wiedersehen sollte, war ihr sympathisch. Denn an diesem Tage — so glaubte sie — zahlte Mohr alles Geld, das der Geheimrat verauslagt hatte, zurück, so daß sie kaum noch nötig hatte, sich besonders bei ihm zu bedanken.

      Wofür auch? Bürgte ihm Mohr doch selbst für den Fall, daß diese Verlobung aus irgendeinem Grunde zu keiner Ehe führte. Und darin lag für sie der beste Beweis für die große und aufrichtige Liebe ihres Schwiegersohnes, der bei der Launenhaftigkeit und Jugend Luises durchaus mit dieser Möglichkeit rechnen mußte.

      Bis zur offiziellen Verlobung durfte Mohr auf Luises Wunsch und sehr gegen den Willen der Mutter ihr Haus nicht betreten und mußte alles, was er in seiner Eigenschaft als Vormund zu verrichten hatte, auf schriftlichem Wege erledigen. Nicht einmal sprechen durfte sie von ihm, wenn Luise nicht selbst davon anfing; das hatte sie ihrer Tochter versprechen müssen; und die hatte es damit begründet, daß ja nicht einmal Harry etwas von dieser Verlobung wußte.

      Luise aber hatte keine ruhige Stunde mehr. Daß sie ihr ganzes Leben nun auf eine große Lüge stellte, drückte sie nicht. Das machte sie gern mit sich ab. Denn Lügen war hier gleichbedeutend mit Sich-Opfern; und sie wußte, daß dies Opfer in dem Augenblick seinen Zweck verlor, in dem die, denen es galt, darum wußten.

      Was ihr geschehen war, das konnte ja nie ein Mensch begreifen; selbst die Mutter nicht. Wenn sie jetzt an ihr Herz flog und ihr alles erzählte, ihr sagte, was sie litt — die würde es aufnehmen, wie es eben eine Mutter aufnimmt; würde es für ihre Pflicht halten, zu begreifen, zu verzeihen, zu trösten, wiederaufzurichten. Ja, es wäre jene große, tragische Szene, die sie aus dem Leben, aus Dramen und Romanen kannte, bei der jede gute Mutter ihre große Stunde hat, in der sie sich für wenige Augenblicke über das Alltägliche erhebt und zur Tragödin wird.

      Aber im Leben war am Ende doch immer die Mutter die Gerührte. Entweder das Kind war glücklich in seiner Sünde, dann stürzte es sich nur um so freier in die Arme des Geliebten; oder aber in ihm war etwas gebrochen; und dann konnte auch alle Rührung einer Mutter nichts mehr helfen.

      Und was konnte von dem, was ihr geschehen war, die Mutter begreifen? Sie hatte einmal ein Buch voll Grauen gelesen, in dem die Heldin das Produkt eines Mörders und einer Dirne war. Als auf dem Richtplatz die Henker nach verzweifelter Gegenwehr den Mörder niederrangen und er sich verloren sah, da hatte dieser gewalttätige Mensch, der im Leben nie eine Rührung kannte, wie ein gequältes Kind dreimal, ehe der Kopf fiel, laut „Mutter!“ geschrien! Und allen, die herumstanden, Staatsanwälten, Richtern, Zeugen, Henkern und deren Knechten war es kalt über die Rücken gelaufen.

      Als dieser Mohr über sie herfiel, da hatte sie sich triebmäßig zur Wehr gesetzt. So fest sie entschlossen war, alles zu ertragen; sie hatte jede Macht über ihren Willen verloren und wie eine Verzweifelte gekämpft, die um ihr Leben rang; zwecklos, das wußte sie; und sie hätte auch jede Hilfe, die sich zu ihrer Befreiung bot, zurückgewiesen.

      In ihrer höchsten Not hatte sie, kaum noch bei Bewußtsein, den Kopf gehoben und mit zitternder Stimme: „Vater, Vater!“ gerufen.

      Sie


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