Lu, die Kokotte. Artur Hermann Landsberger
Читать онлайн книгу.daß man ihn zu ihr ließ.
Aletto kam, ängstlich um sie besorgt, und konnte doch das Glück nicht unterdrücken. Sie hatte ihm ja gesagt, daß sie ihn liebte — sie hatte ihn „du“ genannt.
„Ganz dicht neben mich müssen Sie sich setzen — es darf uns niemand hören“, sagte sie.
Aletto nahm ein Kissen; trug es vor die Chaiselongue und setzte sich zu ihr.
„Sie müssen mich ruhig anhören. Ganz bis zu Ende! Versprechen Sie mir das?“
„Wie können Sie zweifeln?“ gab er zur Antwort.
„Ich muß Ihnen wehe tun“ — er erschrak — „aber ich habe Sie lieb.“
Er nahm ihre Hand und wollte sie küssen; aber sie zog sie zurück.
„Hören Sie mich an!“ und nun begann sie:
„Der Vater starb ...“ und sie schilderte ihm den ganzen Jammer, der hinter ihr lag.
„Und nun wissen Sie’s!“
Aletto schluchzte wie ein Kind; er saß vor ihr auf den Knien und preßte den Kopf in die Hände:
„Sie tun mir leid“, sagte sie; dann richtete sie Alettos Kopf hoch und sah ihm voll Rührung in die Augen.
„Bin ich Ihre erste Liebe?“ fragte sie zaghaft.
Er sah sie groß an und nickte.
„Ja!“
Da ließ sie seinen Kopf los, wandte sich zur Seite und weinte bitterlich.
Auch er war ja der erste, den sie liebte!
Nach einer Weile sagte sie: „Es ist sehr schwer für mich, daß ich Ihnen so wehe tun muß; ich hätte Sie lieber glücklich gemacht — — aber Sie sind jung; Sie werden es verwinden.“
Doch Aletto dachte nicht an sich.
„Was müssen Sie durchgemacht haben!“ klagte er.
Sie setzte sich auf, bewegte leicht den Kopf und hauchte: „Ja! — Ich habe gelitten.“
„Sie müssen hier heraus — so schnell wie möglich — weit fort — wo Sie nichts erinnert.“
Sie sah ihn mit Augen, in denen kaum noch Leben lag, an und sagte mit einer Stimme, die schwer und müde war:
„Sie vergessen — ich kann nicht — ich bin gebunden!“
Er wandte sich ab.
„Steigt Ihnen nun der Ekel auf?“ fragte sie. „Und wenn es ginge: es wäre zu spät.“
Aber Aletto widersprach:
„Kein Mensch, der fühlt, kann Sie verurteilen .. Sie haben sich aufgeopfert!“
„Gewiß!“ sagte Luise. „Aber ich habe mehr getan: ich habe mich aufgegeben. Glauben Sie nur, es ist zu spät; — ich weiß das — ich fühle das!“
„Sie müssen vergessen!“ sagte er. „Sie brauchen jemand, bei dem Sie sich alles vom Herzen weinen, bis die toten Gefühle wieder lebendig werden; einen Menschen, der Sie lieb hat, brauchen Sie.“
Sie schüttelte den Kopf, sah ihn wehmütig an:
„Sie sind ein Kind!“ sagte sie.
„Möglich; aber ich fühle, daß meine Liebe zu Ihnen stark genug ist.“
Weiter kam er nicht. Sie sprang auf, stürzte auf ihn zu:
„Aletto!“ schrie sie; „wissen Sie, was Sie reden? Begreifen Sie, was das bedeutet? Bringen Sie mich nicht ganz um meinen Verstand.“
„Ich liebe Sie!“ wiederholte er mit großer Bestimmtheit.
„Wollen Sie mich zu Ihrer Frau machen — sind Sie bei Sinnen? Ich sagte Ihnen doch, was mit mir vorgeht — daß ich für Geld — nicht einmal — Dutzende von Malen — daß ich beschmutzt bin, da — bis oben hin —“
„Das sind Sie nicht!“
„Ich bin es!“ rief sie.
„Nicht für mich“, gab er zur Antwort.
„Aber für die Welt!“
„Was liegt an der!“ erwiderte Aletto.
„Sie leben in ihr.“
„Ich brauche sie nicht!“
„Das ist eben Ihr Irrtum! Sie brauchen sie wie jeder andere auch. Ja! Eine Strecke lang — heute und morgen, da geht’s ohne sie. Aber eines Tages, da kommt die Reaktion. Bei einem früher, beim andern später! Aber sie kommt!“
„Dann werde ich der erste sein!“ beteuerte er.
„Das hat schon mancher gedacht.“
„Ich will doch sehen,“ sagte er trotzig, „ob ich mir meine Eigenart der Welt gegenüber nicht erhalten kann!“
„Schwärmer!“ sagte Luise. „Bisher ist noch jeder daran gescheitert, der den Versuch nicht rechtzeitig aufgegeben hat.“
Und nach einer kurzen Weile fuhr sie fort:
„Das ist ja gerade die große Traurigkeit im Leben, daß Sie und ich und wir alle, die wir mit unserer Eigenart nicht recht hineinpassen in diese Welt, uns schließlich doch in irgendeiner Form in sie hineinzwängen müssen.“
„Es gibt Ausnahmen!“ warf Aletto ein.
„Es gibt keine!“ sagte sie bestimmt. „Wenn es je einen Menschen gab, der unbekümmert um die Welt sein Leben lebte, so war’s mein Vater. Sie kannten ihn. Und was war der Schluß?“ Sie änderte ihre Stimme und sprach ruhig: „Ich hätte es nie geglaubt — aber als es darauf ankam, versagte auch er — so weit reichte sein Mut nicht, die öffentliche Ächtung ertrug er nicht.“ — Sie machte eine Pause. — „Und was er zurückließ?“ — Sie zuckte leicht zusammen und wies auf sich: „Es steht vor Ihnen — wenn er mich heut so sähe, ich glaube nicht, daß er gegangen wäre ... Er würde die Welt mit anderen Augen sehen — wie ich sie anders sehe — seit jenem Tage ... da ich das wurde, was ich heute bin.“
Aletto wandte sich ab.
„Und nun denken Sie, es wäre Ihr Kind, das so vor Ihnen stände, wie ich jetzt ... das so wurde, weil Sie ...“ — weiter sagte sie nichts — „was würden Sie tun?“
Aletto fuhr zusammen. „Ich würde mich umbringen!“ schrie er leidenschaftlich.
Um Luises Mund zuckte ein Lächeln. „Und die Frau wollen Sie zur Mutter Ihrer Kinder machen?“ fragte sie bitter.
Aletto blieb die Antwort schuldig.
„Sehen Sie’s nun? Aber sprechen wir heute nicht weiter“, sagte sie.
„Und morgen?“ fragte er treuherzig.
„Wenn Sie dann noch wollen; ich tue gern alles, um Ihnen über die Enttäuschung hinwegzuhelfen.“
„Ich will!“ sagte er mit großer Bestimmtheit. „Denn ich werde morgen nicht anders denken als heute“
Er griff nach ihrer Hand.
„Einen Augenblick noch“, bat sie ihn. „Denn nun muß ich Ihnen auch sagen, weshalb ich Ihnen das alles erzähle.“
Aletto verstand sie nicht.
„Ich habe nämlich eine große Bitte“, sagte sie.
„Sie dürfen von mir fordern, was Sie wollen“, erwiderte Aletto.
„Sie besitzen Vermögen?“ fragte sie ihn.
„Genug, um ganz meiner Kunst leben zu können.“
Luise war enttäuscht. „Dann wird es freilich kaum möglich sein“, sagte sie.
Aber Aletto hatte längst ihre Gedanken erraten.