Lu, die Kokotte. Artur Hermann Landsberger

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Lu, die Kokotte - Artur Hermann Landsberger


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      Frau Fanny litt unter dem veränderten Wesen ihrer Tochter; die Diagnose des Hausarztes genügte ihr auf die Dauer nicht; diese völlige Wandlung mußte einen andern Grund haben. Sie quälte ihr Kind, bat es, doch offen zu sein, sich mit ihr auszusprechen, beobachtete sie und suchte auf alle Weise hinter ihr Geheimnis zu kommen.

      So wurden selbst die Stunden zu Hause für sie zur Qual.

      An Harry schrieb Luise:

      „Ich lese Deinen Brief alle Tage; schilt mich nicht kindisch, wenn ich Dich bitte, mir nicht mehr zu schreiben, ehe Ihr kommt. Sieh, so lebe ich in der Stimmung fort, in die ich durch Deine Zeilen kam. Und das ist, glaube ich, gut so. Aus Deinen Karten an die Mutter lese ich, daß es Dir gut geht; was brauche ich mehr zu wissen, da ich ja Deinen Eifer, Dein Herz und Deine Gesinnung kenne.“ —

      Aber auch Mohr merkte diese Veränderung; alle Mühe, die er sich mit ihr gab, blieb fruchtlos. Ihr Widerstand war gebrochen, mochte er sie reizen, wie er wollte. Er sann Tag für Tag nach neuen Scheußlichkeiten, peinigte sie maßlos und ohne Erbarmen, verhöhnte und verspottete sie — aber sie blieb gleichgültig, kalt und empfindungslos.

      „Glaube ja nicht, daß du mich los bist, wenn das Jahr um ist!“ brüllte er sie eines Tages an, als sie im Begriff war, von ihm zu gehen.

      „Es war so ausgemacht!“ erwiderte sie kalt.

      Er lachte laut auf.

      „Habe ich es dir vielleicht schriftlich gegeben? Und selbst wenn: Abmachungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind nichtig.“

      „Ich wußte, daß Sie ein Schuft sind!“ sagte sie völlig ruhig.

      „Vielleicht paßt es mir, dich ein paar Monate länger zu behalten.“

      „Sie wissen, daß ich Sie kompromittieren kann, wenn ich rede.“

      „Nicht mehr als dich selbst.“

      „Ich habe nichts mehr zu verlieren“, erwiderte sie.

      „Oho!“ sagte er, „liegt dir plötzlich gar nichts mehr an dem Renommee deines Bruders und deiner Mutter, um das du dich bei mir nun schon seit Monaten abrackerst?“

      „Was soll das beißen?“ erwiderte sie und erschrak.

      „Ja!“ grinste er laut, „du bist ein schlechter Geschäftsmann, Schatz! — Mir liegt nicht etwa daran, mich um das Geld herumzudrücken. In punkto Liebe bin ich empfindlich und lasse mir nichts schenken. Aber was glaubst du wohl, was geschieht, wenn dein Bruder von der Herkunft des Geldes etwas erfährt.“

      Luise sah ihn entsetzt an. Und Mohr fuhr fort:

      „Er würde auf der Stelle die Malerei an den Nagel hängen und nur noch einen Gedanken haben: Geld verdienen, um mir Heller und Pfennig dieses Sündengeldes“ — er unterstrich dies Wort, um sie zu reizen— „zurückzuzahlen.“

      Luise sah, wie alles vor ihren Augen sich drehte; sie wankte; er stand auf und nahm sie in seine Arme.

      „Entsetzlich!“ stieß sie mühsam hervor; „dann war ja alles umsonst!“

      „Durchaus nicht!“ erwiderte er. „Du wirst mir, falls ich Lust verspüre, einfach ein bißchen länger gefällig sein, als du dachtest. Das ist alles. — Im übrigen halte ich mein Wort; wie ich es jeden Monat bisher gehalten habe. Und wenn das Jahr um ist, gibt’s statt der erwarteten Verlobung die zwischen uns vereinbarte Abfindung.“

      Er hielt sie noch immer im Arm; drückte ihren Kopf an seine Schulter, sah sie frech an und fragte:

      „Was also wirst du tun?“

      „Schuft!“ stieß sie wieder hervor.

      „Haßt du mich nun?“ fragte er sie.

      Luise schüttelte sich:

      „Du bist ein Tier, vor dem man sich ekelt.“

      „So ist’s recht!“

      Sie suchte sich zu befreien, aber er schloß sie fest in seine Arme.

      „So mag ich dich!“ kläffte er mit heißem Atem und küßte sie; immer leidenschaftlicher, je mehr sie sich sträubte.

      VII.

      Am 20. Dezember kam Harry mit Aletto nach Berlin. Frau Fanny und Luise erwarteten sie an der Bahn.

      Aletto war rot und verlegen wie ein Knabe, als er Luise die Hand reichte. Sie sah ihm fest in die Augen, und er sah zur Erde — beschämt wie ein Kind.

      „Gratulier’ ihm!“ rief Harry seiner Schwester zu. „Er hat auf der Weihnachtsausstellung den ersten Preis für das Porträt eines jungen Mädchens erhalten; etwas ganz Außergewöhnliches für einen Dreißigjährigen. Aber das Bild hat’s verdient.“

      Harry ließ die Mutter los, trat zu Luise und sah ihr ins Gesicht.

      „Teufel, ja!“ rief er. „Du bist dem Bilde in den paar Monaten wahrhaftig ähnlich geworden. Aber so sahst du früher nicht aus.“ Er ließ nicht einen Blick von ihr. „Wie ist denn das nur möglich, in den paar Wochen?“

      „Laß sie nur!“ sagte die Mutter. „Sie hört es nicht gern.“

      Dann stiegen sie in den Wagen und fuhren nach Hause.

      „Es ist kalt bei euch geworden“, sagte Harry, als er durch die Räume schritt.

      „Der gute Vater fehlt“, meinte Frau Fanny.

      „Gewiß!“ bestätigte Harry. „Aber auch ihr seid anders, als ihr früher war’t. Es ist, als wenn mit ihm alles Leben hier ausgelöscht wäre.“

      „Es sind kaum drei Monate, daß er tot ist“, vermittelte die Mutter.

      „Aber ist denn gar nichts von ihm zurückgeblieben!“ rief er ganz verzweifelt. „Es ist, als wenn er nie gewesen wäre!“

      „Wir haben genug geweint!“ klagte Frau Fanny.

      „Das hat er nicht gewollt“, sagte er vorwurfsvoll. „Ihr mußtet euch wehren. Dazu gehört mehr Kraft! Wie ich es tat; mußtet gegen eure trüben Gedanken ankämpfen, statt sie weiterzuspinnen. Vor allem du, Luise, mußtest dir deinen frohen, heiteren Sinn erhalten, den er so an dir liebte.“

      Luise sprach kein Wort. Er nahm ihre Hand und sagte: „Es war Zeit, daß ich kam. Nun aber bleibe ich und gehe nicht eher, als bis du wieder die Alte bist.“

      Dann ging er auf sein Zimmer.

      Sie saßen am dritten Nachmittage oben im Atelier des Vaters: Luise, Harry und Aletto.

      Auch heute gelang es Harry wieder, die Lebzeit des Vaters so deutlich zu gestalten, die Atmosphäre so völlig mit der Wärme seines Herzens zu erfüllen, daß die Erinnerung in allen gegenständlich wurde.

      Und indem so Vergangenes gegenwärtig wurde, fühlte man auch die Empfindungen von damals wiederkehren. Und die hielt er fest, belebte und vertiefte sie, bis aus ihnen alte Hoffnungen neu erwachten.

      Dann kam es, daß sich Luises Starrheit löste, ihre Augen lebten, ihre Träume wiederkehrten, und ein Bild ihrer Zukunft erstand, ganz wie damals, als der Arm des Vaters sie umschlungen hielt.

      Und Aletto stand vor ihr mit leuchtenden Augen, schüchtern wie ein Knabe, nahm sie leicht am Arm, kaum daß sie’s merkte, und gelobte still, daß er sie lieben werde bis an sein Ende.

      Und am dritten Tage stürzte er vor sie hin und sagte ihr alles; leidenschaftlich mit vielen Worten.

      „Du bist die Erfüllung!“ hauchte sie nur; fuhr ihm mit der Hand übers Haar, sah ihm tief in die Augen: „Du! — Ja, ich liebe dich!“

      Dann plötzlich — als wäre ein Blitz in sie gefahren — fiel alle Freude von ihr ab; wich alle Spannung; die Augen stierten glanzlos; starr wie in Todesangst; das Gesicht wurde aschgrau, zuckte und verzerrte sich; der ganze Körper geriet in zitternde


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