Du bist die Ruh!. Rudolf Stratz

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Du bist die Ruh! - Rudolf Stratz


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„Wie ist denn heute der Markt gegangen?“ frug sie, indem sie ihm ein Glas krimschen Rotwein eingoss.

      „Wie immer jetzt!“ sagte Iwan Michels düster und mit vollen Backen. „Bei uns in Zentralasien sind die Leute vernünftig — mit Indien und Ägypten liesse sich auskommen ... da ist doch noch ein gewisser Sinn in der Preisbildung ... man könnte einigermassen den Markt überschauen ... sich eindecken ... aber was hilft das, wenn die Yankees alles auf den Kopf stellen!“ Sein bärtiges Gesicht rötete sich vor Zorn. Seine Rechte ballte sich unwillkürlich auf dem Tischtuch zur Faust. „Dass es dagegen keine internationalen Gesetze gibt wie gegen Seeräuber oder Pestgefahr — gegen solch einen Haufen gewissenloser amerikanischer Spekulanten, die ohne jede Rücksicht auf Konjunktur, Statistik und Ernteaussichten mit den Baumwollpreisen spielen — auf reines Glück hin, als sässen sie vor der Roulette in Monte Carlo — und den ganzen Weltmarkt in Fieber und Ungewissheit stürzen, um für sich und ihre Hintermänner, diese Wallstreetmillionäre, Geld herauszuräubern! Ich möchte nur einmal diesen Mister Ascott — diesen Neuyorker Hauptfaiseur — unter vier Augen treffen und ihm meine Meinung über seine Praktiken sagen. Da sollte dieser Gentleman sich wundern!“

      „Kaufen sie denn noch immer auf?“

      „Die alte Geschichte: sie haben in Neuyork einen Ring gebildet und kaufen alle Baumwolle zusammen, die sie auf der Welt kriegen können, um nachher uns Spinnern die Preise zu diktieren. Die Preise steigen unaufhaltsam — wahnsinnig — über jede Möglichkeit eines Verdienstes hinaus — jetzt schon sind in den Vereinigten Staaten eine ganze Anzahl Spinnereien bankerott oder geschlossen, weil sie das Rohmaterial nicht mehr zahlen können — Tausende von Arbeitern liegen auf dem Pflaster — aber das ist den Kerlen ganz egal ... wenn sie nur räubern können ... der Corner mordet weiter ... gestern ist Liverpool wieder um zwanzig Punkte gestiegen.“

      Er schwieg eine Weile und sagte dann dumpf: „Schau, Marja — deswegen freu’ ich mich gar nicht so, wie du denkst, über die Eröffnung der Fabrik. Mach’ ich sie auf, so muss ich auch zu spinnen anfangen — das heisst, ich muss Baumwolle einkaufen und Garn daraus herstellen und das Garn verkaufen. Wie will ich das aber, wenn jetzt — dank diesen Neuyorkern — die Baumwolle fast teurer ist als das fertige Garn?“

      „Da würde ich jetzt lieber überhaupt noch nicht anfangen, sondern warten!“

      „Ja, Kind — wenn das so ginge! Aber nun ist die Fabrik gebaut. In den nächsten Wochen kommen die Arbeiter aus ihren Dörfern, die ich fest in Lohn genommen hab’ — Hypothekenzinsen, Steuern, Gehälter der Angestellten — all die vielen Kosten laufen weiter — ob ich spinn’ oder nicht!“

      „Aber was machen denn die anderen? Die sind doch in gleicher Lage?“

      „Nein, Duschinka! Denn sie arbeiten eben schon längere Zeit — sie haben die Möglichkeit gehabt, sich früher mit billigeren Einkäufen einzudecken — sie bekommen auch bessere Vorschüsse auf Garnabschlüsse als ich, der sozusagen nun von vorne anfängt und von dem Leute, wie mein Exfreund Sascha Wieprecht, unser grosser Baumwollmann, behaupten, ich wäre zwar ein guter Fabrikant, aber nichts weniger als ein Kaufmann! Ja — siehst du, diese grossen Firmen haben es leichter. Wenn ich ein Karsinkin wäre oder ein Morosow oder ein Baron Knoop“ — es lag eine unwillkürliche Ehrfurcht in seiner Stimme, während er die mächtigen Moskauer Handelshäuser nannte, und namentlich den von Bremen aus die Welt umspannenden Namen Knoop — „oder wenn ich wie Wieprecht an der Spitze einer riesigen Aktiengesellschaft, wie es die ehemals Spiridionowschen Manufakturen sind, stände — nun — da lässt sich solch eine Sturmzeit ertragen. Man manöveriert eben und das Wetter geht vorüber. Aber ich komme jetzt im unseligsten Augenblick hinein ... weisst du ... ich schlaf’ doch sonst so gut, Marja ... aber in letzter Zeit ... da wach’ ich immer auf und liege still und denke und rechne und weiss nicht, was ich tun soll.“

      Er liess bekümmert den Kopf sinken und Marja blieb stumm. Sie verstand zu wenig von diesem täglich schwankenden, mit Hilfe des elektrischen Funkens über die ganze Erde, von Merw bis Liverpool, von Bremen bis Neuyork, von Kalkutta bis Alexandria, geführten Kampf zwischen Baumwollhausse und -baisse. Sie begriff nur: die Fabrikanten, die Spinner, waren überall von der Preisbildung der Börsen abhängig und ihre Hauptkunst bestand darin, sich richtig „einzudecken“, sich das Rohmaterial so billig zu sichern, dass ihnen beim Verkauf des Fabrikats ein Nutzen blieb. Und dazu musste man freilich ein guter Kaufmann sein.

      Darüber dachte auch Iwan Michels rastlos nach. Als nach Tisch die Kinder und das Fräulein sich zurückzogen, küsste er aufstehend seiner Frau zuerst die Hand, dann zärtlich die Stirne und sagte dann, während er sich eine Zigarette — schon die dritte oder vierte, denn er rauchte auch zwischen den einzelnen Gängen der Mahlzeit — anbrannte, nach langem Schweigen ganz unvermittelt: „Vielleicht hat Wieprecht recht. Vielleicht bin ich wirklich nur für die Fabriksäle gut. Da macht mir keiner was vor. Ich höre, noch ehe ich die Türe aufmache, aus all dem Lärm heraus, ob drinnen ein Rad leerläuft und wo ... aber dies Treiben an der Börse ... diese Verhandlungen mit den Garnmaklern und Agenten — dies Aufundnieder der Kurse ... da kommt es nicht so auf Kenntnisse an, sondern das muss man in sich haben — so wie Sascha Wieprecht. Der vereinigt beides. Wie ein Räuber muss man auf der Lauer liegen — und um dich schreien sie dir die Ohren voll von: Liverpool so und so viel Punkte höher und Neils letzter telegraphischer Erntetaxierung und Eisklausel und cif und 6 Prozent und franko Bord und Alexandria, garantiert 28/30 Millimeter Mac Faddens Abladung und 10 000 Pud erste Sorte asiatische Baumwolle Knoops Abladung und wieder eine Kabel-Code-Depesche aus Neuyork, Ascott will mit Hilfe Wallstreets die gesamte Weltproduktion dieses Jahres mit fünfzig Millionen Dollars cornern, — bis sich einem der Kopf dreht, und dabei musst du den rechten Augenblick erwischen und ist der verfehlt: wot! da haben wir die Bescherung! Da hilft alle Arbeit in der Fabrik hinterher nichts mehr!“

      „Und kannst du dich denn nicht mit anderen Kaufleuten darüber besprechen?“

      Der Spinnereibesitzer schüttelte den Kopf und in seinen guten kleinen Augen war ein halbes Lächeln über die geschäftliche Unerfahrenheit seiner Frau. „Zur Konkurrenz gehen? Die würden schön lachen und mich übers Ohr hauen! Da muss sich jeder selbst helfen. Der einzige, der es unter seiner Würde halten würde, mich einzuseifen, das wäre Wieprecht. Davon bin ich überzeugt, obwohl wir uns ja seit vier Jahren nicht mehr kennen und auf der Strasse nicht mehr grüssen. Er ist anders wie die anderen. Er sieht das alles so mehr von oben herab an ... so abseits — er steht mit den Händen in den Hosentaschen da und spricht von der Oper und der neuesten Tänzerin und Gott weiss was und tut, als gäbe es gar keine Baumwolle auf der Welt — und dabei entgeht ihm nichts! Nun ja — wenn man wie er, als ganz junger, unerfahrener Mensch, das väterliche Geschäft so gut wie ruiniert übernommen und in den fünfzehn, sechzehn Jahren derart wieder auf die Beine gestellt hat und durch die Fusion mit den Spiridionowschen Manufakturen in eine Aktienriesenfirma verwandelt hat und da an der Spitze steht — alle Achtung — gewiss — das macht ihm nicht leicht einer nach ... und er ... er wirft seine Papyros weg und sagt: ‚Gospoda! ... Herrschaften ... redet mir von allem, nur nicht von Garn und Baumwolle!‘ Ein merkwürdiger Mensch ... Niemand wird aus dem klug ...“

      „Und früher wart ihr doch so gut miteinander bekannt? Und du bist ihm doch für manches zu Dank verpflichtet!“

      Iwan Michels schlürfte seinen schwarzen Kaffee und machte eine Bewegung mit den breiten Schultern, zwischen denen sein Kopf ziemlich tief auf stämmigem Nacken sass. „Poloshim! Wie man’s nimmt, Duschinka! In den vier Jahren, wo ich unter ihm in seiner Fabrik arbeitete, weil ich mich mit meinem Vater absolut nicht mehr vertrug — ein Mann zu Anfang der Dreissig, den er wie einen Schulbuben hielt — gewiss, da hab’ ich viel von ihm gelernt, obwohl er ja sogar ein bisschen jünger ist als ich. Jetzt noch nicht vierzig. Und auch dann, wie der Vater immer kränker wurde und mir schliesslich doch die Fabrik überlassen musste und ich nicht mehr bei Wieprecht war, da blieben wir doch in einem ganz freundschaftlichen Verkehr. Wenn wir uns mal auf der Strasse trafen, so sprangen wir aus den Schlitten und gaben uns die Hand. Ich weiss noch, wie er mir damals gratulierte, als ich ihm erzählte, ich hätte auf einer Geschäftsreise in Deutschland dich kennen gelernt und mich mit dir verlobt. Oder eigentlich kondolierte — man hat ja bei ihm immer das Gefühl, als mache er sich über die Menschen lustig


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