Bleibt uns die Hoffnung. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.war schon an der Gruppe vorbei und eilte auf ein Taxi zu, das soeben vorgefahren war. Regen fiel auf ihre unbedeckten roten Locken. Auch ihr weißes ärmelloses Kleid bot keinen Schutz vor dem niederprasselnden Wasser.
Einem Impuls folgend ließ Torsten seinen Regenschirm aufspringen und war mit wenigen Schritten an ihrer Seite.
Sie blickte zu ihm auf, und es war Brandy. Er war überrascht, wie sehr er sich darüber freute.
Sie strahlte ihn an und blieb stehen: »Torro!« Ihre Haut, die sie früher immer mit einer dicken Schicht Schminke bedeckt hatte, war klar, die grünen Augen waren nicht mehr mit dicken schwarzen Balken umrahmt, und sie hatte den Mund zwar kräftig nachgezogen, ihn aber nicht übermalt.
»Du siehst verdammt zivil aus!« sagte er lächelnd.
Sie legte sich unwillkürlich die Hand an die Wange. »Ich hab’ mich an mein Gesicht gewöhnt.«
»Das dürfte dir ja wohl nicht allzu schwer gefallen sein.«
»Hast du eine Ahnung!«
»Es ist ein sehr hübsches Gesicht, wollte ich nur sagen.«
Sie standen unter seinem Regenschirm, während der Regen eine lebendige Wand um sie bildete, und sahen sich an. Beide waren bemüht, die richtigen Worte zu finden.
»Was hast du all die Zeit gemacht?« fragte er.
»Dies und das. Inzwischen besuche ich das Konservatorium.«
»Du hast dich mit deinen Eltern ausgesöhnt?«
Sie verzog das Gesicht. »Die verlorene Tochter ist heimgekehrt. Nur bildlich gesprochen. Sie haben mir ein Apartment eingerichtet.«
»Klasse. Ich hätte nie gedacht, daß du in den Schoß der Bürgerlichkeit zurückkéhren würdest.«
»Was blieb mir denn anders übrig?« Sie zuckte die schmalen Schultern. »Ohne dich hat es keinen Spaß mehr gemacht.«
»Als wenn’s nicht genügend Männer auf der Welt gäbe!«
»Ich habe keinen wie dich gefunden!«
Ihre aufrichtige Bewunderung schmeichelte seiner männlichen Eitelkeit. »Soll das heißen, daß du momentan solo bist?«
Sie legte den Kopf in den Nacken. »Würdest du mir glauben, wenn ich jetzt ja sagte?«
»Nein.«
»Dann brauche ich auch nicht zu lügen.«
Die Enttäuschung war wie ein kurzer, scharfer Schmerz, aber er maß ihm keine Bedeutung zu. »Verzeih mir, ich bin ein Esel!« sagte er, nahm den Schirm in die linke und reichte ihr die rechte Hand. »Mach’s gut, Mädchen.«
Der Taxifahrer hupte.
»Warte. Ich geb’ dir eben noch meine Adresse.«
»Wozu?«
Sie hatte schon eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche gezogen und gab sie ihm. »Damit du mich mal besuchst, Torro. Wir könnten von alten Zeiten reden … und von neuen.«
»Willst du mich etwa deinem Kerl vorführen?« fragte er mißtrauisch.
Sie lächelte ihn an. »Im Gegenteil, Den schmeiß ich raus, wenn du kommst. Du brauchst mich nur anzurufen. Oder besser noch, wir machen gleich was Festes aus! Wie wär’s mit morgen abend?«
»Einverstanden«, stimmte er rascher zu, als er beabsichtigt hatte.
»Gegen acht?«
»Ich kann nicht versprechen, daß ich pünktlich bin.«
»Macht nichts. Ich werde warten.«
Ihre Freude war so offensichtlich, daß sie ihn anrührte. Er legte den freien Arm fest um ihre Schultern, als er sie zum Taxi führte.
»Wie geht’s deinen Eltern?« fragte sie.
»Die haben sich wieder aufgerappelt.«
»Na, Gott sei Dank.«
Der Fahrer stieß die Tür zum Fond von innen auf. »Ich will ja nicht drängeln, aber die Uhr läuft!«
Sie sahen sich in die Augen, und es wurde ihnen schwer, sich zu trennen.
»Bis morgen!« sagte er.
»Bis morgen!« wiederholte sie, stellte sich auf die Zehen und drückte ihm einen raschen Kuß auf den Mund.
Ihre Lippen schmeckten frisch und regennaß.
Er wendete sich erst ab, als das Taxi davonfuhr, und kehrte zu der kleinen Gesellschaft zurück.
»Donnerwetter, Sie haben ein Tempo, Miller!« rief einer der Kollegen. »Das ist ja atemberaubend! Sie bieten einer Dame Ihren Schirm an, und schon kassieren Sie ’nen Kuß!«
Torsten dachte nicht daran, ihm den wahren Sachverhalt auf die Nase zu binden. »Ja, der Umgang mit Frauen muß eben gelernt sein«, behauptete er und ließ auch die nachfolgenden Neckereien gut gelaunt über sich ergehen.
Es war lange her, seit er ein Mädchen getroffen hatte, das sein Herz höher schlagen ließ. Er hatte schon geglaubt, aus dem Alter der Verliebtheit heraus zu sein. Jetzt wußte er, daß es nicht an ihm, sondern an den zu rasch gewählten, zu rasch bereiten Partnerinnen gelegen hatte.
Mit Brandy war es etwas anderes gewesen und würde es immer etwas anderes sein.
In dem Maße, wie Arnold Miller sich im Supermarkt einarbeitete, änderten sich die Beziehungen zwischen ihm und seinem Schwager Egon Kasparek.
Arnold, der Überblick gewonnen hatte, konnte sich nicht damit zufriedengeben, nur Befehlsempfänger zu sein und sonst gar nichts. Er begann mitzudenken und stellte fest, daß manches hätte besser gemacht werden können.
Aber auf seine entsprechenden Vorschläge reagierte Egon mit Empfindlichkeit. Selbst wenn er sich innerlich zugeben mußte, daß Arnold in der Sache recht hatte – und da er nicht dumm war, begriff er das wohl –, so wollte er sich doch von niemandem seine Position als Chef schmälern lassen.
Daß er keine Anerkennung fand, machte für Arnold die Tätigkeit im Supermarkt noch unbefriedigender. Er war es von früher her gewohnt, jeden Arbeitsgang so gut durchzuorganisieren wie irgend möglich, und es ging ihm gegen den Strich, daß so viele überflüssige Handgriffe getan werden mußten, und manches geschah, was dem Geschäftsgang geradezu schädlich war.
Egon kam vorbei, als er zusammen mit einem alten Mann einen Ständer in der Mitte des Verkaufsraums mit Schokoladentafeln zu Sonderpreisen bestückte.
Wieder einmal konnte Arnold sich nicht zurückhalten. »Moment, Egon!« bat er.
Der Schwager blieb stehen. »Was ist?«
»Ich hab’ mir nur überlegt, es wäre besser, wenn wir den Ständer ein paar Meter weiter rückwärts placierten.«
»Genau hier steht er richtig.«
»Nein, Egon«, fuhr Arnold hartnäckig fort, »das stimmt eben nicht. Ich habe die Kundinnen beobachtet. Sie kommen bis hierher, nehmen sich ein paar von den billigen Tafeln, drehen um und gehen zur Kasse zurück. Aber unsere Sonderangebote sollen sie doch eigentlich durch den ganzen Verkaufsraum locken.«
»Wenn hier nichts wäre, würden sie auch nicht weitergehen.«
»O doch«, erklärte Arnold eifrig, wir könnten hier etwa ein Schild aufstellen mit einem Hinweis darauf, daß es heute Schokolade zu besonders günstigen Preisen gibt! Die Kundinnen würden danach suchen!«
Egon fiel ihm ins Wort. » … und wir würden Platz verschwenden! Nein, nein, das können wir uns nicht erlauben!«
»Aber wenn wir an Stelle des Schokoladenständers …«
Egon brach das Gespräch ab. »Tut mir leid, Arnold! Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu unterhalten.« Er enteilte mit wehendem weißen Kittel.
Arnold