Bleibt uns die Hoffnung. Marie Louise Fischer

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Bleibt uns die Hoffnung - Marie Louise Fischer


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einen Stoß Trockentücher unter den Arm und lief, so schnell es möglich war, ohne daß das Wasser überschwappte, zu seinem Bruder zurück.

      Mit einem Blick sah er, daß es Torsten nicht besser ging. Sein Gesicht war weißlich-fahl, und sogar die Ohren wirkten völlig blutleer. Er kämpfte um jeden Atemzug.

      »Jetzt kann es sich nur noch um Minuten handeln!« rief Knut mit verzweifelter Munterkeit. »Gleich kommt Hilfe! Halt durch, alter Junge! Gleich hast du’s überstanden!« Er kniete nieder und berührte Torstens nackte Füße; sie waren eiskalt.

      »Was machen Sie denn da?« fragte Frau Unterhuber, die Torstens Rücken stützte – sehr vorsichtig, um ihn nicht noch mehr zu beengen.

      »Wadenwickel! Ach was, ich stecke seine Füße einfach in das heiße Wasser!« Knut hielt die Plastikschüssel hoch.

      »Und zu was soll das gut sein?«

      »Vermindert den Blutrückstrom zum Herzen und entlastet es!«

      »Das Herz? Wieso das Herz? Ich denk’, er hat’s an der Lunge!«

      »Liebe Frau Unterhuber …« Knut unterbrach sich. »Da! Es hat geklingelt!« Er stellte die Schüssel hin und raste zur Tür. Der Notarzt war ein verhältnismäßig junger Mann, den die Glatze ein paar Jahre älter erscheinen ließ. Durch sein bloßes Auftreten brachte er es fertig, die Situation zu versachlichen.

      Ohne Zeit mit einer Untersuchung zu verlieren, befahl er nach einem einzigen Blick auf Torstens schmerzentstelltes Gesicht und seine verkrampfte Haltung: »Ein Viertel Strophantin!«

      Der Sanitäter, der ihm gefolgt war, öffnete den Bereitschaftskoffer, wählte das Medikament und zog die Spritze auf, während der Arzt den Arm des Bademantels herunterzog und Torstens Arm so abband, daß die Venen in der Ellenbeuge deutlich wurden.

      »Zur Behebung der kardinalen Muskelschwäche«, sagte Knut, der wieder vor seinem Bruder kniete und heiße Wickel machte, »das hätte ich auch gegeben.«

      »Sie sind Mediziner?« fragte der Arzt; er nahm die Spritze, die der Sanitäter ihm gab, und stach sie in die Vene.

      »Student«, sagte Knut.

      Der Notarzt ließ die Flüssigkeit langsam in den Blutkreislauf. »Und was würden Sie sonst noch vorschlagen?«

      »Morphium?«

      »Sehr gut.« Ohne sich dem Sanitäter zuzuwenden, forderte er: »Morphium null null eins.«

      »Hat eine sedierende Wirkung, hemmt die anomale Atemarbeit und kupiert den Anfall«, zählte Knut auf, als befände er sich in einer Prüfung.

      Der Notarzt ließ die Spritzen durch den Sanitäter austauschen. »Ich injiziere das subcutan«, erklärte er, »und was noch?«

      Knut dachte nach. »Ich weiß nicht«, mußte er zugeben.

      »Lasix«, erklärte der Arzt, »ein harntreibendes Medikament, das die Flüssigkeit aus der Lunge ausschwemmt.«

      »Daran habe ich nicht gedacht!«

      »Aber sonst haben Sie alles sehr gut gemacht! Auch die Wadenwickel waren richtig,«

      »Torsten, mein Junge«, fragte Frau Unterhuber, »fühlen Sie sich besser?« Und als er immer noch nicht sprechen konnte: »Was hat er denn, Herr Doktor? Warum sagen Sie nicht endlich, was er hat?«

      Der Notarzt war dabei, diedritte Spritze zu setzen, diesmal wieder in die Vene, wenn auch in eine andere Stelle. »Das ließe sich erst nach einer gründlichen Untersuchung feststellen. Auf alle Fälle handelt es sich um ein Versagen der Herzaktion. Eine endgültige Diagnose ist jetzt nicht nötig. Hauptsache, daß wir den Patienten aus der akuten Notfallsituation bringen.«

      »Und dann? Muß er im Bett bleiben?«

      »Meine liebe Frau …«, begann der Arzt.

      »Unterhuber!« warf Knut ein.

      »Meine liebe Frau Unterhuber … sind Sie die Mutter?«

      »Die Hausfrau.«

      »Dann ist es besonders nett, wenn Sie die Pflege des jungen Mannes übernehmen wollen. Aber in diesem Fall erübrigt es sich. Ich nehme ihn mit in die Intensivabteilung der Klinik. Sein Zustand muß ständig überwacht werden.«

      »Ein so junger Mensch!« jammerte Frau Unterhuber. »Wie kann so etwas bloß passieren?«

      Niemand antwortete ihr.

      »Kann ich ihn in die Klinik begleiten?« fragte Knut. »Er ist mein Bruder!«

      »Lieber nicht.« Der Notarzt fühlte Torstens Puls. »Als Mediziner werden Sie wissen, daß Verwandte immer nur im Weg stehen.«

      »Aber sicher wird es ihn beruhigen, wenn ich …«

      »Im Gegenteil. Wenn niemand in seine Nähe kommt, den er kennt, kann er um so besser abschalten.« Der Notarzt faßte mit der linken Hand in die Tasche seines weißen Mantels und zog eine Visitenkarte heraus. »Sie können mich anrufen und sich nach ihm erkundigen, aber bitte nicht zu oft. Wenn eine Verschlechterung eintreten sollte, werde ich Sie sowieso sofort benachrichtigen. Aber ich hoffe, daß Sie ihn in ein paar Tagen besuchen können.« Er hatte Torsten nicht aus den Augen gelassen und sah, daß sein Gesicht Farbe bekommen hatte und sein Atmen nicht mehr ganz so angestrengt war. »Geht es Ihnen besser?«

      »Ja«, brachte Torsten heraus.

      »Na, wunderbar.« Er wandte sich an den Fahrer des Notfallwagens, der auf dem Flur gestanden hatte. »Bringen Sie die Trage runter und kommen Sie dann wieder, Gerstner! Wir wollen ihn in sitzender Haltung transportieren.« Er hatte die Einstichstelle desinfiziert und zog Torsten nun behutsam wieder den Ärmel des Bademantels über.

      »Soll ich was einpacken?« fragte Knut.

      »Zahnpasta, Rasierapparat, Pantoffeln, Seife … das genügt vorerst.«

      Als die beiden Sanitäter Torsten die Treppe hinuntertrugen, sitzend auf ihren überkreuzten Armen, folgte Knut ihnen mit der Tasche. Auf der Straße hatten sich schon Schaulustige gesammelt. Ein paar Kinder hüpften aufgeregt hoch, um besser sehen zu können.

      Der Notarzt öffnete die Hintertüren des weißen Wagens, kletterte hinauf, klappte das Fahrbrett herunter und ließ einen Rollstuhl hinausgleiten. Die Sanitäter setzten Torsten hinein und schoben ihn hoch. Knut reichte dem Arzt die Tasche hin.

      »Mach’s gut, alter Junge!« rief er. »Jetzt bist du über den Berg! Sobald es geht, besuche ich dich!«

      Der eine Sanitäter stieg hinten in den Wagen, der andere setzte sich ans Steuer, das Brett wurde hochgezogen, die Türen klappten zu, und schon brauste der Notfallwagen los und schaffte sich mit gellendem Martinshorn freie Bahn.

      Der Himmel über Riesberg hatte sich zwar aufgeklärt, aber im Garten war es noch naß, und so hatte Sabine die Zwillinge die meiste Zeit im Haus halten müssen. Das war anstrengend gewesen, denn wenn die Jungens sich nicht austoben konnten, kamen sie auf noch mehr dumme Ideen als gewönhlich. Nach Tisch hatten sie kein Auge zugetan und so rumort, daß Sabine sie hatte aufstehen lassen und mit ihnen und Katja im Kinderwagen einen langen Spaziergang durch den Stadtwald unternommen hatte.

      Jetzt, am Abend, war sie rechtschaffen müde, und als Sven mit seinem Mathematikheft ankam, hatte sie Andy und Christian, nur damit sie Ruhe gaben, vor den Fernseher gesetzt.

      Sie hielt sich mit den drei Jungen in dem ehemaligen Familienwohnzimmer auf, das sie für ihren Mann umgeräumt hatte. Eine Schlafcouch hatte darin Platz finden müssen und ein großer Kleiderschrank. Zwei Sessel waren in das Gartenzimmer gewandert, aber Fernseher und Radio waren geblieben, und auch Arnolds bequemer Fernsehsessel, in dem man sich weit nach hinten lehnen und die Füße hochlagern konnte.

      Jetzt hockten die Zwillinge darin. Es machte ihnen nichts aus, daß das Zimmer nicht verdunkelt war und Sabine sich mit Sven unterhielt. Sie saß am Rauchtisch, er stand hinter ihr.

      Während Cowboys über den Bildschirm jagten, Hufe klapperten


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