Prinz Albrecht Straße. Will Berthold

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Prinz Albrecht Straße - Will Berthold


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      Er stand auf, kam langsam näher. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er Stahmer leise, »ich spreche etwas Tschechisch.«

      »Oh, herzlichen Dank …«, versetzte der Agent, »ich würde ja gerne weiterfahren … aber meine Frau … Verdammt kalt heute.«

      »Mal sehen«, antwortete der Emigrant. Er ging auf den Besitzer zu. Rede und Gegenrede in Zischlauten, das Schicksal unterhielt sich in einer konsonantenreichen Sprache.

      Dann kam Formis zurück. »Sie können hier bleiben«, sagte er, »Zimmer neun.«

      Der Agent reichte ihm die Hand. »Stahmer«, stellte er sich vor. Er deutete auf Ira, »meine Frau …«

      »Formis«, erwiderte der Mann mit dem Gelehrtenkopf.

      »Wir danken Ihnen sehr«, versetzte die junge Frau.

      Formis nickte und ging zu seinem Platz zurück, las wieder die Zeitung, sah nach der Uhr.

      »Wie spät?« fragte Stahmer seine Begleiterin.

      »Fünfzehn Minuten vor acht.«

      Da war es. Die Erregung. Die Spannung. Das Fieber. Wie immer kurz vor dem Ziel. Unmittelbar vor dem Einsatz. Wenn ich recht habe, überlegte der Geheimagent, wird Formis in spätestens zehn Minuten diesen Raum verlassen, nach oben gehen, in irgendein Zimmer dieses Hotels …

      »Ich bin gleich wieder da …«, sagte er zu Ira.

      Er stand auf und ging hinaus. Er zündete sich im Hausgang eine Zigarette an. Eine zweite. Er hörte, wie hinter ihm die Tür zuschlug. Formis, dachte er. Sein Gehör hatte die Schritte des Emigranten bereits auswendig gelernt. Ein ganz schneller, unauffälliger Seitenblick genügte.

      Werner Stahmer ging aus dem Haus, lief gemächlich umher. Keiner achtete auf ihn. Während er sich bückte und scheinbar achtlos in den Schnee griff, streifte sein Blick über die Fassade.

      Zweiter Stock.

      Eckzimmer.

      Die Antenne.

      Die V-Leute hatten recht.

      Hier im Hotel war die Zentrale des Geheimsenders, der tagtäglich, Punkt zwanzig Uhr, über den Äther die Aufforderung, sich gegen Hitler zu erheben, nach Deutschland schickte.

      Stahmer warf den Schneeball weg, schlenderte langsam zurück, betrat den Gastraum noch vor zwanzig Uhr. Der Hotelier betrachtete ihn einen Augenblick mißtrauisch, aber dann schien er beruhigt zu sein.

      Ira löffelte zerstreut die Suppe. Für die Umstehenden raunte ihr der Begleiter eine Zärtlichkeit ins Ohr. Dabei sagte der Agent wirklich: »Wenn Formis hier wieder auftaucht, schaffe ich unser Gepäck nach oben … Versuche ihn in ein Gespräch zu verwikkeln … klar?«

      Ira nickte.

      Genau fünfzehn Minuten später kam der Mann, der den Geheimsender betrieb, zurück. Seine Durchsage war beendet. Er ging an dem Tisch der beiden Gäste aus Deutschland vorbei, lächelte aber Ira höflich zu.

      »Entschuldigen Sie …«, wandte sie sich an den Mann mit dem ernsten Gesicht, »kennen Sie hier das Skigelände?«

      »Oh, ja …«, antwortete Formis.

      Ira lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich an ihre Seite zu setzen.

      »Sind Sie Deutscher?«

      »Ja«, antwortete er, »aus Berlin …« Sein Blick wurde so fern, als suchte er das Herz Deutschlands.

      Stahmer stand auf. »Entschuldige, Liebste … ich bringe nur unsere Koffer nach oben …«

      Der Agent hatte Glück. Kein Zimmermädchen kam ihm in die Quere. Er nahm das ganze Gepäck auf einmal, trug es nach oben. In den ersten Stock. Dann wartete er an der Tür und horchte. Nichts rührte sich.

      Er huschte weiter. Zweiter Stock, zum Eckzimmer. Er betrachtete das Türschloß. Spezialanfertigung. Der Agent lächelte. Dahinter lag der Senderaum. Dann machte er mit kalter Routine den Wachsabdruck des Schlosses für Berlin, kam nach unten, sprach ein paar verbindliche Worte, gähnte, bedeutete Ira, daß sie sich zurückziehen sollten.

      Zusammen gingen sie nach oben.

      Doch dann stellte sich im Doppelzimmer die Verlegenheit ein. Für Ira wenigstens. Sie stand unschlüssig vor dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Sie betrachtete das französische Bett mit der geblümten Daunendecke. Jetzt, in diesem Zimmer, wurde ihr Stahmer doppelt fremd. Selbst seine Zurückhaltung wirkte aufdringlich. Der Raum wurde zum Gefängnis. Das Abenteuer zur Peinlichkeit.

      Sie spürte, daß der fremde Mann, dessen Ehefrau auf dem Papier sie hier zu spielen hatte, sie aus dem Dunkel heraus betrachtete.

      Sie fuhr herum, als sie seine Stimme neben sich hörte.

      »Ich hole eine Flasche Wein von unten«, sagte er lachend und deutete hinter sich.

      Einen Moment stand er noch am Fenster und sah in die Nacht, der er diente. Die Frau interessierte ihn nicht, nur um Formis ging es ihm. Bis jetzt hatte es geklappt. Wieder einmal hatte er als gehorsamer Befehlsempfänger funktioniert.

      Er kam zurück, machte Licht. Ira lag schon im Bett.

      »Hübsches Nachthemd«, sagte er, ohne hinzusehen. »Hören Sie gut zu«, fuhr er fort. »Wir haben den Mann gefunden.«

      »Der alte Mann?« fragte Ira, » … der Mann, der uns das Zimmer verschafft hat … Formis?«

      Er nickte. »Ich muß weg«, sagte er. »Sie bleiben inzwischen hier.«

      »Ich?« entgegnete Ira, »allein?«

      »Freunden Sie sich mit ihm an«, sagte er kalt. »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen … Aber fallen Sie um Gottes willen nicht auf.«

      »Und was soll dann mit ihm geschehen?«

      »Nicht sentimental werden, Kind«, sagte er und schob ihr das Glas zu. »Die Entscheidung trifft die Zentrale.«

      »Wann kommen Sie wieder?«

      »Wenn alles klappt, in zwei Tagen.«

      »Und was liegt gegen den Mann vor?«

      »Weiß ich nicht genau«, entgegnete er gedehnt. »Betreibt einen Hetzsender gegen den Führer … Hier im Haus.«

      »Aber …«

      »Geht Sie nichts an«, erwiderte Stahmer abschließend. Er zwang sich zur Freundlichkeit: »Kann ich in Berlin etwas für Sie tun?«

      »Nein«, erwiderte Ira. »So weit fahren Sie weg?«

      »Schlafen Sie«, sagte er. »Und erzählen Sie Formis morgen, daß ich dringend nach Prag mußte. Prag … nicht Berlin … kapiert?«

      Das Licht war aus. Der Mann neben Ira schien fest zu schlafen. Er meisterte die Situation.

      Als Ira am nächsten Morgen erwachte, war der Platz an ihrer Seite leer.

      2

      Die Maschine landete glatt in Tempelhof. Berlin empfing Stahmer trüb und kühl. Am Parkplatz wartete ein Wagen auf ihn. Mit Zivilnummer. Er brachte den Agenten in die Prinz-Albrecht-Straße. Zum Gebäude des Reichssicherheitshauptamtes. Aus einem alten Palais war die Hochburg des Verbrechens geworden. Im Zentrum von Berlin lag der Wilde Westen des Dritten Reiches. Der Gehirntrust der Bewegung.

      Ein Mann, den Freund und Feind haßten, beherrschte das Reich: Reinhard Heydrich. Ein brauner Despot. Ein Teufel in Menschengestalt. Sein Handwerk war der Mord, sein Motor die Macht. Darauf allein kam es ihm an. Dafür hätte er jedem gedieht: den Roten wie den Schwarzen, den Freimaurern wie den Heiden, den Nazis wie den Juden. Dafür erpreßte, folterte, mordete, liquidierte, verbrannte und vergaste er. Sechstausend oder sechs Millionen. Mit der nämlichen Distanz. Mit demselben Haß, mit dem gleichen Erfolg … kalt bis in die manikürten Fingerspitzen.

      Er empfing seinen Agenten im Stehen. Er


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