Prinz Albrecht Straße. Will Berthold

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Prinz Albrecht Straße - Will Berthold


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es nicht gemütlich wird?« erwiderte sie hartnäckig, »zum Beispiel an der Grenze?«

      »Nett von Ihnen, daß Sie anfangen mitzudenken …« Der Agent sah besorgt auf sie hinunter. »Dann werfen wir den Zöllnern Handgranaten vor die Füße …«

      Ira kauerte starr auf ihrem Stuhl. Ihre Finger zupften den Tabak aus dem Papier.

      »Und was soll ich dabei tun?« Sie beugte sich leicht vor.

      »Nichts.« Er trat vor sie hin, hielt ihr Kinn mit der Hand.

      »Angst?«

      Sie wich mit dem Kopf aus. »Weiß nicht«, antwortete sie ruhig.

      »Wäre auch überflüssig«, versetzte Stahmer lakonisch. »Sie haben nichts weiter zu tun, als Formis bei Laune zu halten. Von halb acht bis acht darf er die Wirtsstube nicht verlassen … Sie müssen ihn so lange festhalten … das wäre alles … Damit sind Sie entlassen aus dem Dienst …«, er lächelte mit der Andeutung von Spott, »und aus der Ehe mit mir … Verstanden?«

      Ira nickte.

      »Die Dreckarbeit«, stellte Stahmer abschließend fest, »machen wir allein.«

      Die junge Frau stand langsam auf.

      »So … die Dreckarbeit …« Ihre Stimme schwankte leise. »Ich glaube«, sagte sie mühsam nach einer lähmenden Pause, »mein Teil ist der schmutzigste.«

      »Wieso?«

      Ira wandte sich brüsk um. »Haben Sie schon mal daran gedacht, was mit dem Mann in Deutschland geschieht?«

      »Ja«, erwiderte der Agent. Er trat an ihre Seite, drehte sie mit derbem Griff zu sich um. »Haben Sie schon einmal daran gedacht, was mit uns geschieht, wenn die Sache schiefgeht?«

      Ira schüttelte benommen den Kopf. »Haben Sie kein Mitgefühl?«

      »Doch«, erwiderte er kalt, »aber ich pflege es bei solchen Aufträgen zu Hause zu lassen.«

      Ihre Augen hielten sich gegenseitig fest. Mit einem Griff umschloß Stahmer hart Iras Handgelenk.

      »Denken Sie nicht an ihn«, sagte er mit pfeifender Stimme, »denken Sie lieber an sich … und an mich.«

      Er ließ sie ruckartig los. In diesem Moment klopfte jemand so fest gegen die Eichentür, als hätte er Stahlknöchel.

      »Herein!« rief Stahmer heiser.

      Im Rahmen standen zwei Männer in Ledermänteln. Sie machten Gesichter, als beträten sie einen leeren Raum. Der vordere wandte den Aufschlag seines Mantels um. Eine Marke blinkte matt.

      »Polizei«, sagte der Beamte in schwerem, gutturalem Deutsch. »Wir … müssen Sie sprechen …«

      Ira lehnte blaß an der Wand. Werner Stahmer fühlte ein Stechen zwischen den Rippen. Langsam schob er die Hand in die Hosentasche. Er zwang sich zur Ruhe. So neu er in der Branche war, wußte er, daß der Zufall die unsichtbare Front kommandierte.

      »Bitte«, entgegnete er gefaßt.

      »Zuerst Ihre Gattin«, antwortete der Beamte, »wir rufen Sie später.«

      Ira begriff.

      Sie ging zwischen den Beamten nach unten, als würde sie bereits abgeführt …

      6

      Im ersten Moment wollte Werner Stahmer den Beamten nachsetzen. Dann brachte er seine Nerven unter Kontrolle. Er wartete, bis die Kripo-Leute mit Ira unten verschwunden waren. Lautlos betrat er den Gang. Gegenüber lag ein Badezimmer. Offen. Blick nach vorne. Die Scheibe war beschlagen. Der Agent machte das Fenster auf. Dann sah er den Wagen. Graue Limousine. Prager Nummer. Mit Polizei-Kennzeichen.

      Der Agent ging zurück in sein Zimmer. Was wissen sie, fragte er sich, wer schickt sie? Warum kommt Kriminalpolizei und nicht Abwehr? Vielleicht eine ganz harmlose Sache. Wenn Ira schweigt.

      Wenn …

      In diesem Moment verfluchte er seinen Chef und dessen Idee, ihm als Attrappe eine »Ehefrau« mitzugeben. Jetzt hätte er den Mut, Heydrich gegenüberzutreten, ihn anzubrüllen, ihm zu sagen: »Besorg deine Drecksgeschäfte alleine!«

      An alles hatte die Zentrale gedacht. Der Plan war mit der Stoppuhr errechnet. Der Komplize gestellt. Der Treffpunkt vereinbart. Die Parole bekannt. Die Höllenmaschine im Koffer. Die Handgranaten auch. Nur an diese lächerlichen Polizisten aus Prag hatte keiner gedacht.

      Der Agent zündete sich eine Zigarette an. Nur Ruhe, sagte er sich. Er sah auf die Uhr. Es sind ja erst fünf Minuten vergangen. Selbst eine reine Routine-Vernehmung kann noch nicht zu Ende sein. Ob ich einfach nach unten gehen soll? Nein, überlegte er, abwarten. Der Speichel schmeckte wie geronnene Milch in seinem Mund. In diesem Augenblick wußte Stahmer einmal mehr, daß er auf den Straßen der Hölle marschierte. Er schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht. Aber sein Lächeln wurde zur Grimasse.

      Ira, eine Frau, dachte er, so eine Dummheit! Sie muß ja reden! Wenn sie nur nichts wüßte! Wenn nur diese verfluchten Dorftrottel zehn Minuten früher gekommen wären!

      Er zwang sich zur Ruhe. Die Tür seines Zimmers stand offen. Er lauschte. Nichts zu hören. Er sah wieder auf seine Armbanduhr. Zwölf Minuten schon. Wenn Ira jetzt nicht gleich zurückkam, dann war etwas schief gegangen. Dann war es aus für alle Zeiten mit dem Job des Geheimagenten Stahmer. Vielleicht gut so, überlegte der Mann flüchtig. Der Drang, sich auszuzeichnen, die Lust, Abenteuer zu erleben, die Unfähigkeit, auf einem Bürostuhl zu sitzen, hatten ihn auf die abschüssige Bahn geführt. Er fragte sich nicht, wem er diente. Aber wohin es zwangsläufig führen mußte, erkannte er vielleicht heute zum erstenmal richtig.

      Unten kreischte eine Tür. Schritte im Gang. Sie kamen näher. Kurzer Wortwechsel in Tschechisch. Stahmer schloß lautlos seine Tür, ging ans Fenster, suchte den besten Schußwinkel. Für alle Fälle. Rücken zur Wand. Seine Hand faßte in die Tasche. Der Griff der Pistole war nicht mehr kalt, sondern feucht. Stahmer hob den Lauf so, daß er durch den Stoff ungefähr auf das Herz des Eintretenden zielte.

      Es waren die beiden Beamten.

      »Wir wollen nur noch Ihren Paß sehen«, sagte einer von ihnen.

      Stahmer nahm sich zusammen, um sich weder Erleichterung noch Mißtrauen anmerken zu lassen. Zögernd schob sich die Hand aus der Hosentasche. Dann übergab er den Paß.

      Der erste Beamte überprüfte ihn gewissenhaft, nickte. »Alles in Ordnung«, sagte er, »entschuldigen Sie die Belästigung.«

      »Bitte«, erwiderte der Agent kalt.

      Er bemerkte, wie die beiden Ira Platz machten, die das Zimmer betrat. Sie verbeugten sich linkisch und gingen.

      »Was wollten sie wissen?« fragte Stahmer die junge Frau hastig.

      »Wie wir heißen, wo wir geboren sind, wann wir geheiratet haben …«

      »Diese Schweine«, murmelte der Agent, »und deswegen die ganze Aufregung …«

      Er überlegte, wer sie geschickt haben könnte. Vielleicht der Wirt? Oder Formis? Oder eine Routinesache der Fremdenpolizei? Wer weiß? Auch gleichgültig. In ein paar Stunden ist alles vorbei …

      »Hören Sie zu«, sagte er zu Ira, »ich gehe jetzt weg … Sie verlassen den Raum nicht, bis ich zurückkomme … klar.«

      Stahmer wartete die Reaktion der jungen Frau nicht ab.

      7

      Der Agent raste mit seinem Wagen über die vereiste Straße. Jeder Bremsversuch wurde zum Wagnis, jede Kurve zur Lebensgefahr. Aber etwas saß ihm im Genick … Heydrichs kaltes, bleiches Gesicht. Die Angst vor ihm war größer als die Furcht vor dem Unfall. Die Meldung: »Es hat nicht geklappt, Gruppenführer … ich habe den zweiten Mann verpaßt«, war tödlicher als das Glatteis. Diese Vorstellung trieb ihm den Schweiß aus den Poren und den Fuß auf das Gaspedal.

      Zehn Minuten über der Zeit.


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