Prinz Albrecht Straße. Will Berthold

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Prinz Albrecht Straße - Will Berthold


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Zügen blutig, wachsgelb, starr. Tot. In dieser Sekunde erkannte sie, welchen Befehl Werner Stahmer aus Berlin mitbringen würde. Das Grauen schüttelte sie. Und ich, überlegte sie, bin der Lockvogel, ich werde mitschuldig sein …

      »Was haben Sie nur?« fragte Formis ruhig.

      »Nichts«, entgegnete Ira verstört.

      Sie stand langsam auf, ging ein paar unsichere Schritte, drehte ihm ihr blasses Gesicht noch einmal zu.

      »Mir ist … sehr übel …«, sagte sie. Die Worte verdämmerten langsam im Raum.

      Formis schüttelte den Kopf. Dann war seine Überlegung bei der Fernpartie.

      Dem Spiel mit Australien – dem Kampf gegen Berlin.

      4

      Stahmer mußte noch einen Tag in der Reichshauptstadt bleiben. Das rsha traf noch Vorbereitungen und suchte Hilfstruppen. Der Agent trieb im Gewühl von Berlin und fürchtete sich vor dem Abflug. Der neblige Abend war von Lichtreklamen durchglüht. Über den schwarz-nassen Asphalt legten die Scheinwerfer endloser Autokolonnen goldene Ketten. Der dunstige Himmel der großen Stadt wölbte sich wie eine Glutglocke über einem Hochofen.

      Der Agent ließ sich von dem tobenden Rummel fortspülen. Der Lärm, das Hupkonzert, das Gekreisch der Straßenbahn, die Ausrufe der Zeitungsverkäufer wirbelten um ihn herum. So war es jedesmal, wenn er von Heydrich kam. An der Stelle des Rückgrats saß der neue Auftrag. Jawohl, Gruppenführer. Stahmer spürte faden Geschmack auf der Zunge, von Kupfer, von Pulver, von Grünspan: Vielleicht auch von Blut. Jawohl, Gruppenführer …

      Schnaps, dachte er. Am besten wäre es, sich zu betrinken. Er begann damit. Dann suchte er in seinem Notizbuch Adressen. Noch besser wäre es, ein Mädchen anzurufen. Eine der viel zu vielen. Der Überflüssigen. Der Zukurzgekommenen oder zu seicht Geratenen. Irgendeine, wie er sie im Dutzend nahm und wieder wegwarf. Wie sie über eine Nacht wie diese hinweghelfen konnten.

      Die Verabredung klappte. Irgendeine. Irgendwo. Irgendwohin. Stahmer spürte schon den Schnaps. Er ging zu Fuß zum Taxistand. Seine Beine irrten wie seine Gedanken. Morgen. Er zwang sich, daran zu denken. Er sah Formis vor sich. Er ging über die Grenze. Er schleuderte Handgranaten. Neben ihm saß Ira. Und dann sah er sich eines Tages, irgendwo. Und er hatte das gleiche wachsgelbe Gesicht wie Formis, den er aufgestöbert hatte. An einem Auftrag mußte er krepieren. An einem Tag. In einem Jahr. Auf den dreckigen Wegen der unsichtbaren Front gibt es keine Lebensversicherung. Und so sehr sie auseinanderstrebten, führten sie doch ins gleiche Ziel. In die Gemeinheit. In den Abgrund.

      In die Hölle … die vorübergehend ihren geographischen Sitz in Berlin genommen hatte.

      5

      Der Wind hauchte seinen eisigen Atem gegen das einsame Hotel über der Moldau. Drinnen hörte es sich an wie fernes Gewinsel, traurig und schaurig. Das Licht kam aus dem Dämmern nicht heraus. Die Wirtsstube lag im Halbdunkel. Im Kachelofen bullerten riesige Buchenscheite. Die Bretterböden der Gänge knisterten unheimlich. Heute fand das Unfaßbare statt. Schauplatz war das zwei Kilometer von Zahorski entfernte Hotel, an einem Tag, an dem man keinen Hund hinausjagte … und keinen Agenten hereinließ.

      Unbemerkt betrat der große Mann mit dem kühnen Gesicht das einsame Haus. Zurück von Berlin mit Umweg über Prag. Mit dem Auftrag in der Tasche.

      Werner Stahmer parkte die schwarze Limousine auf dem kleinen Platz neben dem idyllisch gelegenen Hotel. Er lauschte eine Weile dem Lauf des Motors nach. Zufrieden nickte er vor sich hin. Dann stieg er aus. Die Türen des Wagens schloß er nicht ab. Wenn es soweit war – heute nacht –, wenn er den betäubten Formis zum Wagen schleppen würde, durfte er keine Sekunde verlieren. Eine einzige Sekunde konnte alles entscheiden.

      Mit festen Schritten ging der Agent über den schneebedeckten Platz. Die Tür des Hotels knarrte in den Angeln, als er sie öffnete. Es hörte sich unheimlich an in der Stille ringsum. Bald würde diese Stille zur Hölle werden.

      Unwillkürlich straffte sich die mächtige Gestalt des Agenten. Zuerst zu Ira, dachte er …

      Werner Stahmer warf einen kurzen Blick auf das Schlüsselbrett im Gang. Der Nagel unter der Nummer neun war leer. Also mußte Ira auf dem Zimmer sein.

      Der Mann aus Berlin nickte und ging weiter. Die Treppenstufen knarrten gedämpft unter dem Läufer. Als der Agent im ersten Stock in den Korridor eintrat, schälte sich eine Gestalt aus dem zwielichtigen Hintergrund.

      »Na, wieder zurück, Herr Stahmer?« sagte Rudolf Formis freundlich.

      Stahmer erschrak, obwohl er sich seit seinem Abflug aus Berlin mit keinem anderen Menschen beschäftigt hatte als mit dem Mann da vor ihm. In jeder Form: bewußtlos, gefesselt, geknebelt, als Bündel im Kofferraum. Nur auf diese Begegnung war er nicht gefaßt. Auf einen Formis, der herumlief wie jeder andere, seinen Kaffee trank und ihn am Treppenabsatz in ein höfliches Gespräch verwickeln wollte.

      »Ich hoffe, daß Ihre Reise Erfolg hatte«, sagte der Mann mit dem Gelehrtenkopf konventionell.

      »Ja …«, erwiderte der Agent. Er schluckte.

      »Ich habe mich inzwischen gut mit Ihrer Gattin unterhalten …«

      »Vielen Dank«, entgegnete Stahmer spröde. Der Teufel soll dich holen, dachte er, wenn nur ich dich nicht holen müßte!

      Eine Sekunde spielte er mit dem wahnwitzigen Gedanken, Formis auf der Stelle anzuspringen, niederzuschlagen. Dann wirkte er wieder ruhig, beherrscht. Nerven behalten, befahl er sich.

      Eine Tür sprang auf. Ira Puch trat auf den Gang.

      »Du?« sagte sie betroffen.

      »Ira … Liebling …«, rief Stahmer hastig. Es klang wie ein Fluch.

      Aber Rudolf Formis war langsam und lächelnd weitergegangen. Der Agent zog Ira hinter sich her.

      Ira lächelte bedrückt. Mit Stahmer trat für sie die Angst ins Zimmer. Die junge Frau mit den blonden Haaren und den vollen Lippen verfolgte jede seiner Bewegungen. Wie er den Mantel über das Bett warf, wie er sie kurz und sachlich musterte.

      »Na, alles in Ordnung?« fragte er leise.

      Sie nickte, als schüttelte sie etwas von sich ab. »Und bei Ihnen?« fragte sie beklommen.

      Der Agent lächelte schief. »Es geht los … in sieben Stunden ist es geschafft, oder …«

      Ganz langsam setzte sich Ira auf den Stuhl. »Was geht los?« fragte sie.

      Werner Stahmer minderte die Stimme. Er sprach halblaut, unterdrückt, rauh, schnell: »Ja«, sagte er, »der Kerl muß weg. Der Sender auch. Sofort … Die Zentrale hat entschieden. Er muß lebend gefaßt werden … Dumme Sache! Wird schon klappen … Heute abend, eine Minute nach acht.«

      Die Augen der jungen Frau sahen an dem Mann vorbei ins Leere. Die Lippen öffneten sich halb.

      »Wen müssen wir lebend fassen?« fragte Ira, als hätte sie ihn nicht verstanden.

      »Formis«, versetzte Stahmer unwillig, »wen denn sonst? …«

      Er hielt ihr ein Päckchen Zigaretten hin. Sie nahm eine, nachdenklich, umständlich. Aber sie ließ sich kein Feuer geben.

      »Aber damit haben Sie nichts zu tun …«, fuhr der Agent ruhig fort, »das machen wir allein.«

      »Wer … wir?« fragte Ira Puch. Sie drehte fahrig die Zigarette zwischen den Fingern.

      »Ein zweiter Mann«, erklärte Stahmer kurz. »Ich schleuse ihn um sieben ins Hotel.«

      »Und was soll er?« fragte Ira. Die Zigarette war schon lappig und rundgedreht.

      »Sicherung.«

      Iras Gesichtszüge erstarrten. Die Zigarette platzte an der Papiernaht. »Gegen wen?«

      »Gegen alle«, erwiderte er.

      »Und dann?«


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