Prinz Albrecht Straße. Will Berthold

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Prinz Albrecht Straße - Will Berthold


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      »Ging ja rasch …« Heydrich lächelte, ohne das Gesicht zu verziehen. Er war groß und drahtig. In seinen wasserhellen Augen schwammen Verachtung. Seine Nase sprang aus dem schmalen Gesicht wie eine Waffe. Seine Lippen waren dünn und zynisch. Im Gegensatz zum übrigen Führerkorps, das er in seine Verachtung mit einschloß, besaß er Mut und Verstand. Es ging eine Faszination von ihm aus, vor der jedem graute. »Setzen Sie sich«, sagte er. Er bot mit einer spielerischen Bewegung seinem Vorzugsschüler eine Zigarette an. »Den Wachsabdruck vom Türschloß haben Sie mitgebracht?«

      »Ja.«

      »Und der Sender ist im Hotel?«

      »Genau.«

      »Gut«, erwiderte Heydrich. »Schaffen Sie den Kerl her.«

      »Nach Berlin, Gruppenführer?«

      » Wohin sonst? « versetzte Heydrich gleichgültig. »Ich will ihn lebend haben.«

      »Über die Grenze?«

      »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben … Betäuben Sie ihn, legen Sie ihn in den Wagen … und wenn die Tschechen beim Übertritt Spektakel machen …« Seine Hand imitierte das Schleudern von Handgranaten. »Sie können noch einen Mann mitnehmen«, sagte der Chef des rsha abschließend, »den Sender sprengt ihr in die Luft … Ist das Mädchen in Ordnung?«

      Stahmer nickte benommen.

      »Es muß schnell gehen«, befahl Heydrich, »auf diesen Formis wart’ ich schon lange …«

      Idiotisch, dachte sein Agent … Unmöglich, wie soll man mit einem Entführten über eine schwerbewachte Grenze kommen? Wie kann man einen Sender mitten in einem Land sprengen und es dann unauffällig verlassen?

      Er hob den Kopf.

      Wasserhelle Augen kamen auf ihn zu.

      »Das schaffen Sie doch?«

      »Jawohl, Gruppenführer«, antwortete Stahmer wie immer.

      Sooft er seinem Chef gegenüber saß, lief ihm kalter Schweiß den Nacken hinunter. Er wollte, er mußte nein sagen. Seine Aufträge wurden immer verzweifelter, immer verwegener. Aber aus Angst wurde er tollkühn. Nur weil er zu feige war, Heydrich zu widersprechen, trug Stahmer seine Haut von einem Markt zum anderen. Ging es schief, dann rechnete Heydrich mit ihm ab. Auf seine Art. Er brauchte nur mit dem Finger zu schnippen. Im Reichssicherheitshauptamt kannte jeder diese charakteristische Geste.

      Jetzt reichte ihm der Chef die Hand. »Hals- und Beinbruch«, sagte er.

      Stahmer schlug die Hacken zusammen, obwohl er Zivil trug.

      »Hat doch seine Reize, so ein Kommando …«

      »Jawohl, Gruppenführer«, entgegnete der Agent wie unter einem Zwang.

      Er konnte nicht anders. Erst als er Heydrichs Zimmer verlassen hatte, kam sein Verstand wieder zur Vernunft. In diesem Haus wimmelte es von Stahmers. Sie kamen und gingen. Sie konnten ihren Auftrag überleben; jedoch die Angst vor dem neuen Einsatz blieb immer dieselbe.

      Stahmer verließ das Gebäude so schnell, wie er gekommen war. Inzwischen wurde im Laboratorium mit Hilfe seines Wachsabdrucks ein Schlüssel gefertigt und in der Personalabteilung ein gelernter Mörder gesucht.

      3

      Zu dieser Stunde saß Formis in seinem Zimmer, dem Senderaum.

      Zwanzig Uhr. Er sprach in das Mikrophon. Seine Worte drangen wie ein dünner Ruf in die Nacht. Und auch er würde bald verstummen. Das wußte der Mann.

      Zunächst hatte sich die deutsche Regierung wiederholt über den Sender beschwert. Die Tschechen redeten sich darauf hinaus, daß sie ihn nicht finden könnten. Dabei wußte Rudolf Formis genau, daß er angepeilt wurde, daß er jedesmal, wenn er seinen flammenden Aufruf in den Äther sprach, sich selbst verriet. Und eines Tages würden sie kommen. Heute oder morgen, und die Mittel benutzen, gegen die er auf verlorenem Posten kämpfte.

      Er stand auf, räumte sein bescheidenes Gerät zur Seite, sperrte die Tür sorgfältig ab, ging nach unten. Die Gaststube war fast leer. Die plötzliche Kältewelle hatte die meisten Gäste zur Abreise gezwungen.

      Die junge Frau aus Berlin war noch da. Allein. Formis begrüßte sie. Etwas zog ihn zu ihr hin. Vielleicht nur die Sehnsucht nach seiner Muttersprache. Oder die Einsamkeit.

      »Langweilig hier, nicht?«

      »Ja«, erwiderte Ira. »Mein Mann mußte nach Prag.«

      »Das ist sehr ungalant von ihm …«Formis lächelte hilflos. »Sind Sie schon lange verheiratet?« fragte er.

      »Nein … wir sind fast noch in den Flitterwochen«, antwortete Ira lachend.

      Ich lüge schon wie selbstverständlich, überlegte sie. Dabei ist der Mann so freundlich. Das Licht flackerte. Draußen heulte eisiger Schneewind.

      »Ich bin ein schlechter Unterhalter«, sagte Formis zögernd. »Ich weiß nicht, was ich für Sie tun kann …« Sein Blick streifte ein japanisches Tischchen in der Ecke mit einem Schachbrett.

      »Spielen Sie Schach?«

      »Ja«, versetzte Ira.

      »Gut?«

      »Gut … für eine Frau.«

      Der Mann, der in ständiger Gefahr lebte, stand auf, ging auf die Ecke zu. Seine Hand griff nachdenklich nach einem Turm. Er bewegte die Figur. Sie hinterließ einen runden, sauberen Fleck auf dem dunklen Feld. Ira bemerkte, daß das Spiel verstaubt war. Formis drehte sich um.

      »Fernschach …«, erklärte er. »Ich habe einen Partner in Australien. Wir spielen schon seit zwei Jahren an dieser Partie …« Sein Lächeln wirkte müde.

      »Sind Sie schon lange hier?« fragte die junge Frau.

      »Ja.« Der Mann nickte. Um seinen Mund stand auf einmal eine tiefe, bittere Linie. Wie eingemeißelt.

      »Ist es nicht langweilig?« fragte Ira im Konversationston weiter.

      »Langweilig?« antwortete er. Seine grauen Augen musterten sie eine Sekunde mißtrauisch. »Warum?«

      »Ich meine … zwei Jahre in diesem kleinen Ort …«

      »Die Luft ist besser«, versetzte Formis, »besser als in Berlin … viel sauberer.« Sein Mund versuchte zu lächeln, aber seine Augen glänzten hart. »Merken Sie das nicht?«

      »Doch, natürlich …« Die junge Frau war auf einmal verwirrt. »Ich hatte eine kleine Erkältung, als ich ankam«, sprudelte sie heraus, »jetzt ist sie weg.« Es klang nicht echt. Es stimmte auch nicht.

      Formis nickte. »Mir ging es genauso«, stellte er fest. »Kaum war ich hier, konnte ich wieder frei atmen …« Er lachte trokken.

      Ira betrachtete ihn aufmerksam. Auf einmal hatte er rote Flekken auf den Wangen, und sein Blick wirkte fern und verloren. Sie setzte sich ihm gegenüber, ordnete mechanisch die Figuren. Ihr Spiel war zerfahren. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie achtete nicht auf Felder und Züge, sondern ihre Augen fanden sich immer wieder auf dem Gesicht des Partners.

      Er paßte sich ihr an. Er hätte sie ein paarmal schachmatt setzen können. Aber er beging absichtlich Fehler. Daß er unfreiwillig den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er seinem Verfolger hier Quartier verschaffte, ahnte er nicht.

      Wieder fing er einen Blick der jungen Frau auf. »Warum sehen Sie mich denn so an?« fragte er mit gezwungenem Lächeln.

      »Entschuldigen Sie …«, entgegnete Ira schnell, »ich spiele heute wirklich schlecht …«

      »Ich gebe Ihnen meine Dame vor«, bot Formis an.

      Seine Wärme, seine Hilfsbereitschaft trieben wie eine Woge auf sie zu. Ira ahnte, was dieser Mensch mitmachte, wie er litt, wie einsam er war, welche unglaubliche Energie dazu gehörte, sich selbst


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