Die letzte Wahl. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.stützend, langsam zu ihnen herantrat.
„... dass er ’n bisschen lahmt? ... natürlich ... deswegen trägt er ja Urlaubszivil! Bin selber auch drei-, viermal unterm Gaul gelegen. Kommt mal vor. ’n paar Wochen Wiesbaden, und ’s ist wieder gut.“
„Oder auch nicht.“ Herbert hatte die letzten Worte gehört und prüfte, während er sprach, scheinbar zerstreut mit fachmännischem Blick das in der Kälte dicht vor ihnen bockende und sich bäumende Pferd eines Gardeducorps-Leutnants ... „... ich habe mehr Pech gehabt. Mein Knie war entzwei, und wie’s wieder ganz war, blieb’s steif für immer!“
„Nanu!“ der alte Junker war ganz erschrocken ... „... wie können Sie denn dann reiten?“
„Gar nicht mehr!“
„Ja ... aber wie dienen Sie denn dann?“
„Auch nicht mehr. Seit zwei Jahren bin ich offizieller Reichskrüppel mit zwanzig Taler Schmerzensgeld im Monat. Nun kann sich ein anderer für mich schinden!“
Der dicke, kleine Krautjunker pfiff leise durch die Zähne. „Na ... das sind ja nette Chosen ...“ sagte er stockend, mit unsicherer Stimme ... „... also wirklich invalide?“
„Ja.“
„Und was tun Sie denn jetzt?“
„Nichts.“
„Aber Sie müssen doch als ... als Zivilist eine Beschäftigung haben!“
„Das Zivil wirft sich, nach Ihrer treffenden Beobachtung, bei festlichen Anlässen in einen Frack. Das hab’ ich, wie Sie sehen, getan und damit mein Tagewerk erschöpft.“
„Ja ... und morgen ...“
„Morgen sehe ich irgendwo anders zu! Es muss doch auch Publikum auf der Welt geben.“
„Na ... hören Sie mal ... Sie lächeln dabei so sonderbar ... so spöttisch ... gerade als wollten Sie sich über mich lustig machen ...“
„Eher über mich selbst!“ Herbert prüfte immer noch das unruhig tänzelnde Tier des Gardeducorps. „... sehen Sie mal ... der Bengel da kann noch nicht ordentlich reiten ... und bleibt doch ganz hübsch oben im Sattel. Ich kann reiten ... sehr gut sogar ... und würde doch mit meinem lahmen Beine beim ersten Galoppsprung vom Pferde gleiten. Das ist, was man eine tragikomische Existenz nennt. Na ... und wenn was komisch ist ... dann lacht man eben drüber.“
„Ich, weiss Gott, nicht.“ Der alte von Dalchow fingerte unsicher suchend in der Luft herum, in Ungewissheit, wie sein Gegenüber einen Händedruck des Mitleids aufnehmen würde ... „... Sie tun mir höllisch leid. Das ist ja ein furchtbarer Schlag für einen Mann wie Sie!“
„Da kommt mein Schwiegervater ...“ sagte Herbert gelassen. „Auf Wiedersehen, Herr von Dalchow, aber, wenn möglich, ohne Beileid. Das hab’ ich nämlich noch von niemand verlangt. Guten Morgen!“
Auf seinen Stock gestützt folgte er den beiden Damen. Der andere schaute zweifelnd der hochgewachsenen Gestalt nach, die mit den strengen, hartgeschnittenen Zügen des von Wind und Wetter gebräunten Gesichts, in ihrer straffen Magerkeit und aufrechten Haltung ein Urbild zäher preussischer Soldatenkraft war. „Schade, schade!“ murmelte er und trat zu ein paar pommerschen Reichstagsabgeordneten, die, als Dragoner und Husaren gekleidet, in der Nähe standen. „... Mahlzeit, Ihr Herren! ... na ... nu sagen Sie mal ... kennen Sie Haldern? ... Das ist ja schrecklich ... der Mann lahmt ... kann einfach nicht mehr gehen ...“
„Na ... bis durch die Türe da langt’s noch vielleicht!“ lachte einer der Granden, der in seiner hageren Länge und dem weissblonden Schnurrbart deutlich seinen schwedischen Ursprung aufwies und deutete auf das Portal des Reichstags hinter ihnen.
„Aber das ist ja der Eingang für die Abgeordneten,“ sagte der alte Herr erstaunt.
„Na ... und Haldern will in den Reichstag ... kommt auch ’rein ... über kurz oder lang! ... jeden Tag war er ja drüben bei uns im Foyer ... und sah, wie die Chancen stehen ... glauben Sie denn, dass ein Mensch wie er das Stilliegen aushält?“
Der kleine Uckermärker zog die Augenbrauen hoch. „... So? ... so? ...“ sagte er ... „... na ja ... wenn ein Mensch zu was anderem nicht mehr zu brauchen ist ...“ Er brach ab. Denn es fiel ihm ein, dass die beiden Offiziere vor ihm auch Mitglieder des Reichstags waren und er selbst auch schon als Zählkandidat fungiert hatte. „... Na ... adieu!“ meinte er ohne besondere Verlegenheit ... „... ich höre da die wohlbekannten Klänge des Parademarsches. Das muss man sehen!“
Auf der grossen westlichen Freitreppe des Reichstagsbaus stand der Kaiser und liess die Ehrenkompagnien seiner Garderegimenter an sich längs des Palastes vorbeidefilieren, der in Zukunft den Männern der Reden und Majoritätsbeschlüsse gehören sollte. Die Pauke donnerte, die Pfeifen schrillten, in das Gellen der Hörner und den Trommelwirbel klingelte silbern der glöckchenreiche, mit Rossschweifen gezierte Schellenbaum, und in dröhnendem Gleichschritt, von den auf und nieder schwankenden Helmbüschen und den glitzernden Linien der Gewehrläufe überragt, marschierten die Sektionen vorbei, dass die Wände des Reichshauses von dem Stampfen der gleichmässig herausgeworfenen Beinreihen widerhallten und der Schall bis zu der Siegessäule hinwanderte, auf der, ein goldener unförmlicher Klumpen, die Viktoria in einsamer Höhe zu ihrer Schwester auf dem Brandenburger Tor hinüberblickte.
„Du schaust ja gar nicht hin, Papa?“ fragte Ellen und hob sich auf die Fussspitzen, um nichts von dem militärischen Schauspiel zu verlieren.
Der unscheinbare alte Herr lächelte. Ein kluges, mildes Lächeln, das leise über die Fältchen und Runzeln seines Gesichtes lief und sich still in dem weissgrauen, wenig gepflegten Vollbart verlor. Aber er tat seiner schönen Tochter doch den Gefallen, rückte die goldene Brille zurecht und warf einen scharfen prüfenden Kaufmannsblick auf die Truppen, als wolle er deren Preis und Marktwert abschätzen. In seinen Augen war noch helles Leben. Über das Antlitz aber legte das Greisenalter schon jenen Zug von gleichmütigem Frieden, in dem ein langes, arbeitsreiches Leben ausklingt, ein Leben, von dessen Sorgen und Kämpfen, in Zweifeln durchwachten Nächten und schlau berechneten Siegen die Hunderte von feingestrichelten, im Laufe der Jahre eingemeisselten Linien um Stirn und Augen sprachen. Auch seine Gestalt war schon gebeugt, wie gedrückt von dem kostbaren Biberpelz, der um sie schlotterte, und seine Bewegungen schienen wenigstens hier inmitten dieser straffen, bunt uniformierten Riesen langsam und beinahe unbeholfen.
„Ich kann nichts sehen, Kinder!“ sagte der Kommerzienrat Banners nach kurzer Weile. „... Für die Wachtparade bin ich nun einmal zu klein geraten. Ich erkenne gerade noch die Rossschweife der Grenadiere ...“
„Das sind doch keine Grenadiere, Papa!“ Ellen war ganz erschrocken ... „... sie haben doch schwarze Haarbüsche ...“
„Ach so ... und die Grenadiere sind die roten da nebenan?“
„Das ist ja die Musik!“ Die gewesene Offiziersfrau warf einen ganz erschrockenen Blick zur Seite, ob niemand ihr Gespräch belausche. Der alte Herr aber schüttelte freundlich den Kopf. „Das werde ich wohl nicht mehr lernen,“ sagte er. „Ich bin zu alt dazu.“
Die beiden Schwestern sahen sich an. Sie begriffen nicht, dass all dieser Prunk und Pracht auf den Vater gar keinen Eindruck zu machen schien.
„... Wenn ihr euch nur amüsiert habt, Mädels!“ fuhr der kleine Kaufherr fort und machte einem baumlangen Adjutanten Platz, der sich mit flüchtiger Entschuldigung an ihm vorbeidrängte ... „... ich hab’ eure strahlenden Gesichter oben auf der Tribüne gesehen!“
„Aber wir dich nicht, Papa! Und wir haben so ausgeschaut!“
„Ich hab’ mich so ein wenig abseits gehalten. Ein alter Mann im einfachen Frack ohne alle Orden ... man kommt sich da immer ein bisschen überflüssig vor bei so glänzenden Gelegenheiten ... Erinnerst du dich, wie unser Papagei einmal fortflog und ein Schwarm Raben ihn gleich tothackte? Umgekehrt hab’ ich mich vorhin gefühlt, wie ein schwarzer Rabe in einem Haufen von bunten Papageien. Da gehör’ ich nicht hinein.“
„Ja