Die letzte Wahl. Rudolf Stratz

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Die letzte Wahl - Rudolf Stratz


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Karte. Darauf kommt’s ja auch nicht an.“

      „... na ... auf was denn?“ fragte der alte Herr verblüfft.

      „Dass man weiss, wovon man morgen sein Diner in der Volksküche zahlt ... Herr Kommerzienrat haben heute wohl schon gefrühstückt?“

      „Adieu!“ sagte Herr Banners ärgerlich. „Aber wissen Sie ... ich hab’s als junger Mensch niemand gesagt, wenn ich kein Geld hatte! Das hilft nämlich zu gar nichts!“

      Damit ging er weiter. „Existenzen sind das ...“ klagte er zu seiner Tochter, die, den Gruss des Journalisten kaum erwidernd, ihm gefolgt war, „... Existenzen! ... Kerle, die in den Dreissigern noch kein Geld haben ... lächerlich ... aber freilich ... das sind die richtigen Weltstadtpflanzen ... ein Mensch, der halb wie ein Schmierenkomödiant aussieht, halb wie ein stellenloser Kammerdiener ... und noch so ’n Schuss Landpfarrer mit langer Mähne dazwischen — und dann erst frech gegen alle Welt und selbstbewusst wie der Hahn auf dem ...“

      Er verstummte plötzlich mit einem Blick auf Mary und schritt auf den Wagen zu, der mitten im Gedränge der anderen Fahrzeuge hielt.

      „Wer war denn dieser sonderbare Heilige, mit dem Papa eben sprach?“ fragte unterdessen im Wagen Herbert seine Frau.

      „Hauslehrer bei uns ...“ erwiderte Ellen. „Für meinen Bruder. Vor acht oder neun Jahren. Ein Kandidat der Theologie! Weil er so frech war, hat ihn Papa weggejagt!“

      „Na ... so sieht er auch aus!“

      „Aber es hatte, glaub’ ich, noch einen andern Grund!“ fuhr Ellen fort ... „... freilich, Mary ist ja so verschlossen. Sie redet ja nie von sich und ihren Sachen ...“

      „Mary?“

      „Ja ... denk dir nur ... aber ganz im Vertrauen ...“ Ellen legte ihre Hand auf die des Gatten ... „... sie war damals ja noch ein halber Backfisch ... ich glaube ... er war der einzige Mann in ihrem ganzen Leben, der jemals wirklich Eindruck auf sie gemacht hat! Denn Oskar ... nun ... darüber brauchen wir ja eigentlich ...“

      „Hör’ mal, Herbert!“ sagte der kleine Kaufherr, noch etwas erhitzt von der Begegnung, an den Wagenschlag tretend. „Du bist ein vernünftiger Mensch und nimmst’s nicht übel ... ich möchte eigentlich gern mal mit meinen Mädels ein paar Worte im Vertrauen reden ...“

      „Ich verstehe schon.“ Herbert stützte sich vorsichtig auf seinen Stock und stieg aus ... „Wo treffe ich dich nachher?“

      „Hol’ mich doch zum Mittagessen ab ... im alten Reichstag ... so nach vier ... da haben wir die letzte Sitzung! Also nichts für ungut! Los, Kutscher!“

      Der Wagen rasselte davon. Herbert schaute ihm nach. Neben dem Graukopf des alten Herrn schimmerte Ellens Goldhaar, die, obwohl die jüngere Schwester, auf dem Rücksitz sass. Gegenüber Mary. Er wunderte sich, in wie weiter Entfernung die festen, kühnen Linien ihres leicht zurückgeneigten Hauptes deutlich erkennbar blieben, und ihm schien es, als blickten aus dem blassen Antlitz ihre grauen Augen unruhig in die seinen.

      Ob das eine Täuschung war, konnte er nicht unterscheiden. Weiter und weiter rollte der Wagen, in dem sie reglos, das Gesicht ihm zugewendet, sass, und verschwand dann um die Ecke der Dorotheenstrasse.

      III.

      „Uff!“ sagte der alte Banners und liess sich erschöpft auf einen Sessel im Wohnzimmer seines Hotels nieder. „... so ’n unnützes Herumstehen und feierliches Gesicht machen ... das macht müder als ein ganzer Vormittag Arbeit ... Ich werd’ alt ... ich merk’s ... alt und müde ...“ wiederholte er nach einer Weile und stützte den verwitterten Graukopf in die Hand ... „... ja ... ja ... Kind ... das ist der Lauf der Welt ...“

      Er war allein mit Mary. Ehe sie noch am Hotel vorfuhren, hatte er Ellen gebeten, ihm für ihre Kinder einige Spielsachen einzukaufen, damit er als Grosspapa des Abends doch nicht mit leeren Händen in ihr Haus käme. Das hatte ihr ohne weiteres eingeleuchtet, und sie war mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, an der Ecke der Charlottenstrasse ausgestiegen.

      Mary freilich ahnte, dass die Bitte ihres Vaters nur ein Vorwand war. Sie sass ihm stumm gegenüber, ihren gewohnten gleichgültigen Ausdruck auf dem blassen, leidenschaftlichen Gesicht. Sein Blick ruhte zuweilen auf ihr — das fühlte sie, ohne es zu sehen — ein treuer, sorgender Vaterblick, den sie von früher her wohl kannte. Es schien, als warte er, dass sie zu sprechen anfangen solle. Allein sie schwieg. Sie atmete leicht, ihr Auge war klar und kühl, ihre Hand ruhig wie immer, während sie ihrem Vater, der seine Zigarrentasche hervorgeholt hatte, ein Streichholz entzündete.

      „Danke!“ sagte der Alte, seiner Henry Clay die ersten duftigen Ringeln entlockend, und wieder trat Stille ein.

      Plötzlich stand Mary auf und begann im Zimmer auf und nieder zu gehen. Scheinbar gelangweilt und doch von einer inneren Unruhe getrieben, jenem leisen, unbestimmbaren Zittern der Nerven, mit dem das Temperament über die Willenskraft siegt und sich verrät.

      Der alte Herr schob sich die Brille zurecht und folgte mit den Augen der schlanken, hohen Gestalt, um die sich in schillernden, leise zischelnden Falten der Wurf des perlgrauen Kleides schmiegte. Darunter blinkten die langen, schmalen Lackschuhe und durchmassen, lautlos und elastisch wie der Tritt einer Katze, den dicken Smyrnateppich. Etwas Katzenhaftes, eine seltsame Mischung von gleichgültiger Ruhe und verhaltener Schnellkraft lag in all ihren Bewegungen und glomm in dem grünlichen Glanz, der zuweilen tief innen in ihren grauen Augen aufleuchtete. Kein Zweifel — sie war nicht so schön wie ihre goldblonde, rosige Schwester. Sie war mehr. Eines der Gesichter, die man nicht vergisst, die mit ihrer stummen Leidenschaftlichkeit wie ein quälendes Rätsel in der Erinnerung stehenbleiben.

      Der kleine Kommerzienrat sah auf die Uhr. „Hast du ’ne Ahnung, Mary,“ fragte er ... „... wie lange Ellen braucht, um das Spielzeug für die Kleinen zu finden?“

      „Woher soll ich das wissen?“ Mary war am Fenster stehengeblieben und schaute hinaus. „... Wir haben ja keine Kinder!“

      „Na ja ...“ der alte Herr schüttelte ärgerlich den Kopf ... „... ’s ist ja auch zu dumm! Vorderhand musst du dich eben mit über Ellens Kinderstube freuen.“

      „Das kann ich nicht!“ sagte Mary. „Im Gegenteil ... das erste Mal ... wie ich davon hörte ... da hab’ ich die ganze Nacht geweint.“

      „Aber ... Mary ...“

      „Ja, das verstehst du nicht, Papa! Man kommt sich so unnütz vor ... So ohne Ziel und Zweck ... Wenn man so morgens aufsteht und sich erst überlegen muss: wie schlage ich heute nun den ganzen lieben langen Tag tot ...?“

      „Du hast doch deinen Mann!“

      „Unter Tag seh’ ich ihn selten. Da hat er seine Geschäfte ...“

      „Ja ... was treibt er denn nun so eigentlich?“

      „Er frühstückt irgendwo ... mit ein paar Menschen! Manchmal sind’s anständige Leute ... manchmal ganz unglaubliche Gestalten. Mit denen schliesst er dann irgendwas ab ... kauft ein Haus oder eine Zeitung und verkauft eine Schiffsladung Weizen oder einen Posten afrikanische Shares ... was weiss ich ... ich versteh’ nichts davon ... und dann fährt er wohl noch auf die Börse und zum Notar. Kommt er dann gegen fünf zum Mittag, ist er meistens in der besten Stimmung. ‚Das deutsche Volk arbeitet ganz tüchtig für mich,‘ sagt er dann, wenn er sich die Serviette umlegt ... ‚Heute habe ich tausend Mark Plus gemacht und für morgen liegt schon ein neues Schaf auf der Bank ...‘ Und wenn ihm der Diener seinen Mumm extra dry eingiesst, behauptet er jedesmal: ‚Die Wolle der Schafe ist mein sittliches Eigentum! Man muss den kleinen Mann zur Emsigkeit erziehen. Wo bleibt sonst meine Dividende?“

      „Nette Grundsätze,“ sagte der alte Herr kopfschüttelnd ... „... aber es glückt ihm ja, wie’s scheint!“

      „Ja. Neulich zeigte er mir seine Bücher. In den drei Jahren, die wir verheiratet sind, hat er, wie er behauptet, meine Mitgift mehr als verdoppelt!“

      „So, so? Aber ihr habt’s doch


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