Die letzte Wahl. Rudolf Stratz

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Die letzte Wahl - Rudolf Stratz


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alte Banners erwiderte nichts, sondern lächelte bloss. Und es war Herbert, der ihn verstohlen beobachtete, als verblasse vor diesem nachdenklichen, fuchsklugen Lächeln des Kommerzienrats all die Gold- und Silberpracht umher, als verwandele sich das Farbenspiel in Alltagsgrau, als verhalle die triumphierende Musik in weiter Ferne. Und durch die verwehenden bunten Schleier ragte ernst die wirkliche Welt, das Reich der Tatsachen, der Zahlen und der Arbeit, in dem Hermann Banners seit zwei Menschenaltern lebte.

      „Du bist ja nun eine Gräfin, Mary,“ sagte der alte Banners endlich, „und ich bin ein reicher Mann und Reichstagsabgeordneter und Kommerzienrat und Ehrenbürger und was weiss ich. Das alles ändert aber an der Tatsache nichts, dass ich mit zwanzig Jahren hinterm Ladentisch gestanden und die Nächte durch Englisch und doppelte Buchführung gelernt und mich als Kommis in der Welt herumgestossen und teures Lehrgeld bezahlt hab’, bis es dann endlich, einschlug und der Erfolg kam. In derselben Zeit, mein Kind, sind die Leute hier um uns herum allerhand geworden ... nicht nur Offiziere ... die mein’ ich nicht ... denn das sind redliche, tüchtige Arbeiter wie wir anderen Bürger, die die Steuern dafür zahlen ... aber Erbküchenmeister sind solche Leute geworden, Baillis des Johanniterordens, Mitglieder der Mecklenburger Ritterschaft, Kammerherren, Majoratserben, Hofmarschälle, Vertreter des alten und befestigten Grundbesitzes und manches andere. So leben sie hin, und wenn durch unsere Mühe und Arbeit etwas fertig geworden ist, dann kommen sie und weihen es ein! So auch heute den Reichstag. Schön. Ich gönne ihnen das Vergnügen für heute. Arbeiten will ich von morgen ab drin. Punktum. Sela.“

      „Aber es ist doch so etwas Schönes ... so eine Feier ...“

      „Kind ...“ sagte der alte Herr ... „... mir hat die Natur jeden Sinn für Feierlichkeit versagt. Es kommt mir komisch vor, wenn die Menschen plötzlich besondere goldgestickte Röcke anziehen und geheimnisvolle Gesichter machen und sich von grossen Trompeten das Trommelfell sprengen lassen. Es steckt nichts dahinter, glaub’ mir, und hat keinen Sinn. Ich bin ein Mann des matter of fact. Während der ganzen Zeremonie vorhin hab’ ich immer an meine anatolischen Bahnen denken müssen und die Emission unserer Anleihe in Venezuela. Da ist Geld drin. Auf die Rede von so einer Exzellenz bekommt man nicht ’nen Groschen.“

      Er nahm mit einer raschen Bewegung den Zylinder ab. Ringsum entblössten sich trotz des kalten Windes die Köpfe, die Offiziere fuhren mit raschem Ruck zusammen und legten, mit der Linken die Säbelscheide suchend, die Rechte an den Helmrand, die Damen sanken in tiefem Hofknicks zusammen, während das Kaiserpaar in schnellem Trab von der Rampe des Reichstags zur Siegesallee dahinfuhr. Ein paar Züge von Panzerreitern mit donnernden Hufen vor und hinter der Karosse, der flammendrot gekleidete Stallmeister neben ihr — dann unter dem kahlen Geäst des Tiergartens das dumpfe Brausen der Hoch rufenden Massen, geschwungene Hüte und flatternde Taschentücher über langen, dunklen Menschenmauern — damit war das letzte Augenblicksbild der Feier vorbei, die Reichstagseinweihung zu Ende.

      Der Rest des Militärs marschierte, die Absperrung lösend, davon und hinter ihm strömte in Schwärmen das Volk über den bis dahin halb verödeten, nur von den spärlichen Gruppen der Festgäste belebten Platz vor dem Reichstag. Das wimmelnde Getriebe des täglichen Lebens erfüllte ihn, der Strassenverkehr begann und an Stelle der Posaunenfanfaren klang das Knarren der Mörtelfuhrwerke, das Geklingel der Pferdebahn, das Gekläff der Ziehhunde vor den Milchkarren in die Ohren der von der Zeremonie Kommenden, die, in dunkeln Mänteln ihren Kleiderprunk vor der Kälte und den neugierigen Blicken der Menge schützend, so rasch wie möglich ihre Wagen zu gewinnen suchten.

      Herbert und seine Frau waren vorausgegangen, um eine viersitzige Droschke aufzutreiben. Der alte Herr blieb indessen mit Mary wartend auf der Bordschwelle stehen.

      „Kommt dein Mann nachher ins Hotel?“ fragte er.

      „Jedenfalls,“ sagte Mary. „... Wenn Oskar gefrühstückt hat und mit seinen Börsengeschichten fertig ist ... mit ’nem Pferd wollt’ er, glaub’ ich, heute auch jemand hineinlegen ... Das alles kann noch ein paar Stunden dauern ...“

      „Um so besser!“ Der Kommerzienrat schaute sie von der Seite an ... „... ich möchte euch Mädels mal ein bisschen für mich haben. Dich besonders, Mary.“

      Die junge Frau erwiderte darauf nichts und ihre Gesichtszüge blieben gelassen wie zuvor.

      Der alte Banners räusperte sich: „Hör’ mal ...“ sagte er nach einer Weile scheinbar gleichgültig ... „... Das war Oskar also recht, dass du mit Herberts in den Reichstag gegangen bist?“

      „Nein. Ich war allein. Wir hatten ja nur die eine Karte, und Oskar sagte, er mache sich nichts daraus. Ich solle gehen. Und wie ich auf der Tribüne war, sah ich Ellen, und sie winkte mir zu. Das bemerkte der Herr neben ihr, und aus Höflichkeit bot er mir an, die Plätze zu tauschen. Abschlagen konnt’ ich das doch nicht gut. Es sassen zu viel Bekannte herum. Denen wäre das aufgefallen.“

      „Also war es nur Zufall, dass ihr euch getroffen habt?“

      „Natürlich,“ sagte Mary. „Wir verkehren ja fast gar nicht miteinander. Es ist gewiss ein halbes Jahr, dass wir zuletzt irgendwo zusammen waren.“

      „Du meinst ... mit den Männern?“

      „Ja. Ellen und ich ... wir treffen uns oft ausserhalb!“

      „Aber Herbert und dein Mann können sich nun einmal nicht zueinander stellen?“

      „Nein,“ sagte die junge Frau knapp. „Wenn’s dir recht ist, Papa, gehen wir dem Wagen entgegen. Er kommt so schwer durch in dem Gedränge ...“

      „Schön!“ Der alte Herr war im Begriff, sich leicht auf den Arm seiner Tochter stützend, die Bordschwelle zu überschreiten, als er wieder stehenblieb, die Stirne runzelte und die goldene Brille zurechtschob.

      „Wahrhaftig ... der Mensch lebt noch ...“ sagte er dann halblaut.

      Dicht vor ihnen stand ein langer, hagerer Mann in den Dreissigern. Sein Äusseres verriet einen jener Daseinskämpfer von Berlin, von denen man nicht weiss, wie sie sich eigentlich vom Morgen bis zum Abend vor dem Verhungern schützen, die man nicht vermisst, wenn sie eines Tages spurlos verschwunden sind, und über die man sich nicht wundert, wenn sie plötzlich Millionäre werden — Menschen, die man zu allem für fähig hält, ohne ihnen auch nur die geringste Übertretung des Strafgesetzes nachweisen zu können, — denen viele das Zuchthaus prophezeien und doch den Handschlag auf der Strasse nicht verweigern — Gläubiger der Zukunft, die in der Volksküche über Riesenspekulationen brüten und aus denen alles werden kann, nach oben und unten, im Guten und Bösen, wie eben die Wirbel der Weltstadt mit ihnen spielen.

      Schon die Kleidung — dieser tadellos elegant geschnittene, aber ganz abgeschabte und vom Regen verwaschene Winterpaletot, wie man ihn als „von Kavalieren nur vier Wochen getragen“ in den Trödelläden kauft, der nicht unmoderne, aber zerbeulte und stachelhaarige Zylinder, die modisch spitzen, zerrissenen Stiefel und die leicht ausgefransten, aber noch mit einer Bügelfalte gezierten Beinkleider — wies auf einen Mann hin, der seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden hat, und ebenso zweifelhaft blieb sein Gesicht. Vollkommen bartlos, von langen Haarsträhnen umwallt und mit einem mephistophelischen Zug um den Mund, konnte es einem brutalen Abenteurer gehören. Aber die Augen blickten darüber stark und fest in die Weite, und die breite Stirn zeugte von ernster Gedankenarbeit.

      „Sind Sie’s wirklich, Herr Queetz?“ fragte der Kommerzienrat etwas unsicher, „na, wie geht’s Ihnen denn?“

      „Danke! Soso!“ — der Mephisto lüftete nachlässig lächelnd den Hut — „und Ihnen? ... na, ’nen Kommerzienrat braucht man nicht erst zu fragen!“

      Herr Banners runzelte die Stirn, als wolle er sagen: „Immer noch die alte Frechheit! ...“ aber er bezwang sich und forschte wohlwollend weiter: „Sind Sie immer noch Hauslehrer?“

      „Ich bin Journalist!“ sagte Dietrich Queetz ... „... schon seit damals ... ’s schützt einen wenigstens vor dem Verhungern.“

      „Da berichten Sie wohl jetzt über die Einweihung des Reichstags?“

      „Ja. An ein paar


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