Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens. Utta Keppler

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Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens - Utta Keppler


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Töchter tuschelten untereinander. Sie fürchteten und hofften allerlei – wenigstens eine Abwechslung in ihrem wohlgeregelten Tageslauf. Sie errieten auch ungefähr das Richtige, denn was konnte ihr Putz und die festliche Aufregung im Hause sonst bedeuten? Endlich gab die Mutter eine halbe Erklärung: Ein wichtiger Gast werde erwartet, ein Mann von Stand und Ruf, und man müsse es sich zur Ehre anrechnen, daß er sich herbemühe.

      Es war gegen elf Uhr am Vormittag. Über den mißfarbenen Himmel zogen vereinzelt grelle Sonnenstreifen. Das junge Laub im Garten glänzte schweflig wie vor einem Unwetter. Bernerdin war heimgekommen und zog sich, als der Knecht das Pferd versorgt hatte, hastig in sein Kabinett zurück. Da kam der Mann gelaufen, den er als Posten im Straßengebüsch aufgestellt hatte: die hochherrschaftliche Kutsche sei im Anrollen.

      Frau von Bernerdin ließ die Mägde anrichten. Mit dem Auftragen sollte jedoch gewartet werden; man rufe dann …

      Bernerdin erschien im grünen Samtrock, gepudert und frisiert, ein vergilbtes Spitzenjabot unter dem bläulichen Kinn. Die vier Töchter saßen unbehaglich und bedrückt herum und flüsterten miteinander. Frau von Bernerdin hatte ausnahmsweise verboten, daß sie irgend etwas halfen. Weber war nirgends zu sehen.

      Der Hund schlug an – man hatte ihn vorsorglich festgebunden. Das Prachtgefährt rollte langsam ins Tor. Ein Lakai mit weißen Handschuhen sprang ab und öffnete den Wagenschlag im gleichen Augenblick, als die Bernerdins aus der Haustür traten. Oben am Fenster drängten sich die Mädchen hinter den Gardinen.

      Sie sahen nicht viel: Bernerdins hohe Gestalt verdeckte den Aussteigenden, die Freifrau versank mit gespreizten Röcken in einen Hofknicks und nahm ihnen die Sicht. Der Lakai hielt den Dreispitz des Besuchers, auch der Kutscher war vom Bock geklettert und stellte sich dienstbereit neben seinen Herrn. Dann verschwanden alle im Haus.

      Es dauerte nicht lange, bis Louise und Franziska gerufen wurden. Sie folgten neugierig. Im kleinen Salon saßen Eltern und Gast auf den Brokatstühlen mit den geschwungenen Beinen. Errötend schoben sich die Mädchen hintereinander in den Raum, beide verlegen, geschmeichelt und scheu zugleich. Die Vorhänge waren zugezogen, eine braungraue Dämmerung hielt das stumpfe Tageslicht ab. Stühle wurden gerückt. Die Herren standen auf.

      Als Franziska, die neben Louise trat, über die rundlichen Schultern ihrer Mutter spähen konnte, entdeckte sie etwas Grünes, gurkengrüne Seide, Spitzengeriesel, Goldknöpfe über den Frackflügeln und, fast versteckt in dem aufgebauschten Rüschenwerk, eine hochtoupierte Frisur, weiße Tollen und Locken – noch kein Gesicht. Jetzt drehte sich der Kopf: Gelbliche Wangen unter eingesunkenen Augen, ein breiter Mund, kein Kinn, kein Hals, ein gebuckelter Rücken. Unter hängenden Lidern funkelte es die Schwestern an; die Pupillen glitzerten schwarz.

      Die Mädchen hielten sich an der Hand. Zitternd sanken sie – fast so tief wie vorher die Mutter – in ihren weiten Röcken zusammen. Sie beugten die Köpfe und erhoben sich langsam. Dann rief der Freiherr sie zu sich und stellte sie vor: „Louise, besonnen und häuslich, einundzwanzig Jahre alt, und Franziska“ – seine Stimme schwankte – „siebzehn und noch unerfahren im Hauswesen, noch recht jung …“

      Sie reichten dem Gast nacheinander die Hand zum Kuß. Leutrum lachte. Seine gepreßte Stimme klang wie die eines alten Menschen, als er sagte: „Louise und Franziska, Louise und – Franziska!“

      Er ließ aus halbverdeckten Augen einen Blick über die beiden gehen, legte die Hand auf das Ordensband an seiner Hüfte und drehte sich zu den Eltern um, die gespannt zugesehen hatten.

      „Ihr habt zwei schüchterne Töchter, Herr von Bernerdin“, meinte der Grüne spaßend, „und eine so hübsch wie die andere …“ Er wandte sich an die Mutter, als mache er einen Witz.

      Die Mädchen waren blaß geworden; ihre Mienen verschlossen sich. Franziska wandte hilfesuchend das Gesicht zu ihrer Mutter. Nur Louise lächelte gefaßt. Leutrum wiegte ein paarmal den Kopf.

      Da machte Frau von Bernerdin der Szene ein Ende und bat zu Tisch. Der Hausherr ließ dem Freier den Vortritt. Franziska hielt sich hinter dem Vater. Erstaunt starrte sie auf Leutrums lange baumelnde Arme, die mageren Hände unter den Spitzenmanschetten, die fast in Kniehöhe hingen – geäderte Hände von beinahe transparenter Zartheit, leidende Hände. Sie nahm sich vor, während der Mahlzeit nur seine Hände anzusehen, nicht die Augen.

      Man setzte sich. Bernerdin trank dem Bewerber zu „auf eine innige Verbindung der beiden alten Geschlechter“; Leutrum hob sein Glas. An seinem Zeigefinger blitzte ein großer Solitär, ein Diamant von reinstem Feuer. Louise hielt den Kopf gesenkt, sie merkte blad, daß Leutrums Blicke immer wieder zu Franziska zurückkehrten. Mitleid regte sich in ihr. Sie war derber und nüchterner als die zarte Schwester und hätte eher standgehalten in der Ehe mit dem Verwachsenen.

      Leutrum griff nach seinem Kelch und grüßte zu Franziska hinüber, die funkelnden Augen auf sie gerichtet. Franziska wurde rot und schloß krampfhaft die Hand um ihr Glas, das ihre Mutter mit gewässertem Wein gefüllt hatte. Es war sonderbar still an der Tafel.

      Bernerdin versuchte mühsam, ein Gespräch in Gang zu bringen. Vom Hof war die Rede, von den Jagden, von den Klagen der Bauern. Ach, sie murrten wohl über die Sauhatz, die ihre Felder verwüste? sagte der Gast, und über die Wildmast auf ihren Äckern? Aber für so ein Fest wie das am Bärensee letzten Herbst brauche man an die dreihundert gut gefütterte Hirsche und Rehböcke und für ein Sautreiben an die zwanzig Eber, denn die Geladenen hätten fast alle selber Waldbesitz und seien verwöhnte Kenner.

      „Es ist aber doch bitter für die Landleute“, meinte Bernerdin, „wenn sie ihren Zins an Feldfrüchten und Korn abliefern sollen und so klägliche Ernten haben! Was bleibt ihnen dann übrig? Ich teile den Meinen immer das Mögliche zu, damit sie leben können.“

      Für die Herrschaft dürfe es ja ein wenig mehr sein, da sie eben die Herrschaft sei, warf Frau von Bernerdin schnell ein, als sie Leutrums spöttisches Lächeln sah.

      Leutrum fuhr mit der Hand durch die Luft.

      Bernerdin solle sich doch vorstellen, was so eine prachtvolle Frau wie die Maitresse en titre an Schmuck brauche, von den übrigen Tänzerinnen und Sängerinnen zu schweigen … und ob Carl Eugen vielleicht den endlich erreichten Ruhm fahrenlassen solle, den glanzvollsten Hof Europas zu haben?

      „Das hat der Casanova gesagt“, bemerkte Bernerdin ärgerlich, „ein Abenteurer und Scharlatan, überall gefüttert und gefürchtet an den Höfen, und ein Frauenjäger trotz seiner vierzig Jahre, wie ihn nur Venedig hervorbringen kann!“

      Frau von Bernerdin blickte bedrückt nach den Mädchen hinüber, die unbehaglich auf den Rändern ihrer Stühle hockten.

      „Casanova?“ Leutrum lachte. „Ein amüsanter Mann und sehr gebildet, in der hohen Mathematik wie in der Magie der Kabbala bewandert, dem jedermann schön tut, damit er gut von ihm redet, denn er ist ja überall zu Hause! Haben Sie nicht das Histörchen gehört, wie er der Rosette Dugazon, weiland Favoritin Serenissimi, aus der Verlegenheit half? Die große Mimin hat bekanntermaßen eine taube Zunge – das R fällt ihr schwer … Da hat der Teufelskerl es fertiggebracht, in einer Nacht ihre Rolle so umzuschreiben, daß kein einziges Wort mit R mehr drinstand – um den Preis eines Kusses, sagt er …“ Der Freiherr schaute auf seinen Teller.

      „Ich kenne Ihre strengen Sitten und gut protestantischen Prinzipien, Bernerdin“, Leutrum zog einen Mundwinkel hoch. „Wir sind übrigens gleichfalls Protestanten, wenn auch nicht gerade Glaubensflüchtlinge wie Ihr Ahn Andreas aus Tirol.“

      Er trank. „Die Zeiten sind anders jetzt: Wer keinen Sinn hat für das Schöne, wie man’s am Hof versteht, der wird übersehen. Und Serenissimus ist doch das Maß aller Dinge …“

      Er drehte sein Gesicht wieder den Mädchen zu. Auch die Jüngsten waren jetzt hereingebracht worden; in steifen langen Kleidchen standen sie an der Wand und machten große Augen. Leutrum warf ihnen eine Handvoll Konfekt zu, als beschenke er gaffendes Straßenvolk. Frau von Bernerdin befahl ärgerlich, Hocker zu bringen, und schob die Kinder zwischen sich und den Vater.

      Leutrum beobachtete jetzt Franziska, die mit gebeugtem Nacken


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