Das Pfannen-Deckel-Prinzip. Bianca Nias

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Das Pfannen-Deckel-Prinzip - Bianca Nias


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fragt Irina nach.

      Schlagartig steigt Hitze in mir hoch und ich spüre, wie sich Schweißtropfen auf meiner Stirn bilden. Oh Mann, ist das anstrengend, zu lügen. Los, mach schon Tobi, du kannst das!

      »Äh… das ist eine Privatsprechstunde. In der Tierklinik. Schweineteuer, aber man muss nicht so lange warten.« Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Notfälle natürlich auch sonntags dort behandelt werden. Also stimmt das zumindest halbwegs.

      »Nun gut. Echt schade, aber dann verschieben wir das mit dem Kaffee«, gibt meine Agentin endlich nach.

      »Ja, das wäre besser.«

      »Tschüss, Tobias. Ich rufe dich nächste Woche noch mal an«, verabschiedet sie sich.

      »Ja, tschüss.«

      Hastig drücke ich das Gespräch weg, bringe das Mobilteil zurück auf die Ladestation im Flur und atme erleichtert auf. Puh, das ist gerade noch glimpflich ausgegangen. Trotzdem nagt das schlechte Gewissen an mir, weil ich Irina dermaßen plump angelogen habe. Ich mache mir nichts vor, natürlich hat sie das bemerkt.

      Während ich die restlichen Möbel im Wohnzimmer abstaube, lasse ich das Telefongespräch mit meiner Agentin nochmals Revue passieren. Es ist ja nicht das erste Mal gewesen, dass sie mir den Vorschlag unterbreitet hat, ein Bühnenprogramm zu entwerfen und mich dadurch bekannter zu machen. Gegen Letzteres habe ich nichts einzuwenden, im Gegenteil. Es ist faszinierend, nach jeder Podcastfolge die Reaktionen der Zuhörer auf meinem Instagram-Account zu lesen und herauszufinden, welche Gags besonders gut angekommen sind und welche überhaupt nicht verstanden wurden. Daraus ziehe ich immer wieder Ideen, was ich besser machen kann, und bekomme Inspiration für die nächste Folge.

      Aber vor echten, lebenden und atmenden Menschen zu stehen? Die mich dabei auch noch ansehen? Du liebe Güte, das bekomme ich einfach nicht hin.

      Ich bringe das Staubtuch ins Badezimmer, wo es zusammen mit anderen Putzlappen in die Waschmaschine wandert. Die Maschine werde ich jedoch erst dann anstellen, wenn ich vom Einkaufen zurück bin. Nicht auszudenken, wenn sie auslaufen würde, wenn ich nicht zu Hause bin. Aus Gewohnheit überprüfe ich, ob der Wasserzulauf der Waschmaschine zugedreht ist, damit auch wirklich nichts passieren kann, solange ich weg bin.

      Wie spät ist es eigentlich? Das Gespräch mit Irina hat etwa fünfzehn Minuten gedauert, also muss es gegen sechzehn Uhr sein.

      Ich stöhne unterdrückt. Dieses blöde Telefonat bringt meinen ganzen Tagesablauf durcheinander!

      Normalerweise bin ich jetzt schon beim Supermarkt in der Dachsteinstraße angekommen. Für den Einkauf brauche ich zehn Minuten, dann wieder fünfzehn Minuten für den Rückweg. Es sei denn, ich würde den Bus nehmen und mir einen Teil des Fußweges, also etwa zehn Minuten Zeit sparen. Damit wäre ich zwar schneller, aber… nein, auf gar keinen Fall.

      Busfahren bedeutet, auf engstem Raum mit jeder Menge wildfremder Leute zusammengepfercht zu sein, die alle unterschiedlich riechen. Die wenigsten davon duften angenehm. Meine Abneigung gegen öffentliche Verkehrsmittel stammt noch aus meiner Schulzeit, in der mir nichts anderes übrig geblieben war, als den Schulbus zu nehmen. Damals habe ich das schon kaum ertragen und mir ist regelmäßig auf der kurzen Fahrt schlecht geworden. Den absoluten Supergau habe ich immer dann erlebt, wenn die anderen Kinder ihr Frühstück im Bus ausgepackt haben und sich zu ihrem Geruch auch noch der von Schinkenbroten und Bananen gesellt hatte. Seit dieser Zeit hasse ich vor allem Bananen wie die Pest.

      Ich grummele ungehalten und gehe in den Flur, um mir Jacke und Schuhe anzuziehen. Nein, ich laufe lieber. Automatisch tasten meine Hände nacheinander sämtliche Jackentaschen ab und ich vergewissere mich, dass ich alles einstecken habe, bevor ich die Wohnung verlasse.

      Handy, Brieftasche, Schlüssel, Tragetasche. Ich habe alles, was ich brauche, dennoch fühlt es sich an, als hätte ich etwas vergessen. Ungehalten runzele ich die Stirn. Seitdem ich anstelle eines handgeschriebenen Zettels eine App nutze, hat sich mein Ritual geändert, das ich sonst immer vorm Einkaufen durchgegangen bin. Die Einkaufsliste aus der Küche zu holen und einzustecken, ist weggefallen. In den ersten beiden Wochen hat mich das dermaßen irritiert, dass ich schon überlegt habe, die App wieder zu deinstallieren und die benötigten Sachen wie zuvor auf ein Blatt Papier zu schreiben. Letztendlich habe ich mich dagegen entschieden, nachdem ich das Pro und Contra gegeneinander abgewogen habe. Ich mag die App. Sie ist an meine liebste Rezepte-Webseite gekoppelt, bei der ich freitags aussuche, was ich die Woche über kochen will, und anschließend die Zutaten bedarfsgerecht einkaufe.

      Handy, Brieftasche, Schlüssel, Tragetasche. Ich gehe erneut die vier benötigten Dinge durch, um mich wieder auf mein eigentliches Vorhaben zu fokussieren, dann verlasse ich schnell die Wohnung. Manchmal lässt sich das ungute Gefühl, etwas vergessen zu haben, einfach übergehen, indem man sich auf den nächsten Schritt konzentriert.

      Der Regen hat zum Glück etwas nachgelassen, obwohl der Himmel noch recht bedrohlich aussieht. Ich beschleunige meine Schritte, bis ich nahezu renne. An der Straßenecke kann ich einen Zusammenstoß mit einer alten, etwas gebückt gehenden Frau und ihrem Hund gerade noch vermeiden, indem ich schnell nach links ausweiche und dabei ein höfliches »Tschuldigung« murmele.

      Es ist Frau Schultz, die unter mir im Erdgeschoss wohnt und ihre asthmatische Bulldogge Bruno ausführt. Der kugelrunde Hund hebt den Kopf und will mich wohl brüskiert anknurren, doch für mich hört sich das eher an, als hätte sich ein Erdferkel verschluckt und müsse sich räuspern.

      Frau Schultz zieht das keuchende Minimonster mit der Leine zu sich und beugt sich zu ihm hinunter. »Brunilein, sei lieb. Das ist doch der Tobias, den kennst du doch!«, ermahnt sie den Hund in einem säuselnden Singsang.

      »Hallo, Frau Schultz!«, stoße ich hastig hervor und mache einen Bogen um die alte Dame.

      »Die jungen Männer haben es heutzutage immer so eilig«, erklärt Frau Schultz ihrem kleinen Liebling und erwidert meinen Gruß nebenbei mit einem hoheitsvollen Nicken.

      Ich belasse es bei einem belustigten Schnauben und gehe einfach weiter. Junger Mann? Ich gehe schnurstracks auf die dreißig zu, ganz so jung bin ich also nicht mehr. Aus der Sicht meiner Nachbarin wird jedoch jeder als junger Mann betitelt, der noch keine siebzig ist.

      Das Zeitgefühl scheint sich mit jedem dazukommenden Lebensjahr zu verändern und nach ganz eigenen Regeln abzulaufen. Wie sonst schaffen es die Rentner mit absolut zuverlässiger Genauigkeit, immer dann einkaufen zu gehen und an der Kasse vor einem zu stehen, wenn man es eilig hat?

      Diese weltbewegende Frage muss ich irgendwann mal in meinen Podcast einfließen lassen.

      Luíz

      Unbehaglich rutsche ich auf dem Stuhl herum, dessen Sitzfläche ziemlich hart, zudem viel zu kurz geraten und damit total unbequem ist. In Gedanken verfluche ich mich dafür, heute Morgen ausgerechnet den blauen Einreiher angezogen zu haben. Der sieht zwar toll aus, aber der Stoff meiner Anzughose ist so glatt, dass ich ständig befürchte, gleich von diesem blöden Sitzmöbel zu flutschen wie ein Stück Butter von einer heißen Pellkartoffel.

      Das Teil aus glänzend rotem Plastik hat eine merkwürdige Form, die mich an ein umgekipptes P erinnert. Ich habe keine Ahnung von solchen Designerstücken, aber es stammt bestimmt nicht aus einem normalen Möbelhaus, sondern eher aus einer Kunstgalerie. Wie alles in diesem Büro. Die Einrichtung ist hypermodern, war garantiert teuer und soll wohl jedem Besucher vermitteln, dass er es hier mit einem finanzstarken Unternehmen zu tun hat, bei dem man froh sein muss, überhaupt als Kunde angenommen zu werden. Irina Rahlbach legt als Leiterin von Irkko, der Agentur für Künstler- und Konzertmanagement, anscheinend mehr Wert auf einen solchen suggestiven Eindruck denn auf Gemütlichkeit.

      Ich sitze erst zum zweiten Mal hier auf diesem Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch, doch ich fühle mich genauso unwohl wie bei meinem Einstellungsgespräch in der letzten Woche. Hoffentlich gewöhne ich mich noch an das Ambiente, schließlich war es mein absoluter Wunschtraum, hier zu arbeiten. Nicht nur das Gehalt ist fantastisch, sondern auch der Ruf, den die Agentur genießt, weil sie jede Menge namhafter Künstler betreut. Gefragte Models und Filmstars, die teilweise den Sprung über


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