Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi. Magnhild Bruheim

Читать онлайн книгу.

Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim


Скачать книгу
war nach einem Spaziergang.«

      »Wie haben Sie sie gefunden?«, wollte er wissen.

      Tone versuchte zu erklären, dass sie sich vom Weg entfernt hatte, den Felsen hinaufgeklettert war, um die Aussicht zu genießen und eine Pause zu machen. Plötzlich hatte sie den leblosen Körper entdeckt. Sie erzählte auch von dem roten Limonadenverschluss.

      Der Polizist machte sich ein paar Notizen. »Während Sie hier gesessen und gewartet haben«, sagte er, »haben Sie da jemanden gesehen oder mit jemandem geredet?«

      »Nein«, antwortete sie.

      »Wir würden uns später gerne noch eingehender mit Ihnen unterhalten«, sagte der Lockige und steckte das Notizbuch in die Brusttasche. Er sah auf die Uhr. »Können Sie um, sagen wir, zwei auf die Wache kommen?«

      »In Ordnung«, sagte Tone und rührte sich nicht vom Fleck. »Ist sie ..., ist sie gestürzt?«, fragte sie, während sie ihren kleinen Rucksack auf den Rücken schnallte. Sie fand, dass die beiden ihr eine Erklärung schuldig waren.

      »Es ist noch zu früh, um dazu etwas zu sagen«, antwortete er abweisend. »Sie muss erst genauer untersucht werden«, fügte er hinzu. Als wollte er den abweisenden Ton wieder gutmachen. »Der Krankenwagen ist unterwegs. Aber es ist nicht leicht, hierher zu kommen. Sie müssen mit der Trage durch den Wald.« Er ging zu seinem Kollegen und sagte etwas zu ihm.

      Tone zögerte und blieb noch eine Weile stehen. Sie wusste nicht, worauf sie wartete. Auf nichts, eigentlich. Doch irgendetwas hielt sie fest.

      Ruud kam zu ihr zurück. »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte er. Fürsorglich. »Wollen Sie warten und mit uns zusammen hinuntergehen?« Seine Augen waren braun.

      »Es ist nicht mehr weit«, antwortete sie. »Wenn das also alles ist?«

      »Brauchen Sie jemanden zum Reden?«

      Genau das brauchte sie. »Ich rufe Freunde an«, sagte sie.

      »Melden Sie sich, falls Sie professionelle Hilfe brauchen.«

      Sie bedankte sich höflich und entfernte sich einige Schritte von dem Felsen. Dann folgte sie langsam dem Weg bergab. Kälte und Angst hatten sich im Körper festgesetzt und sie schaffte es nicht, sie abzuschütteln. Ihre Füße begannen wie von selbst zu laufen und blieben erst stehen, als sie unten beim Birkebeiner angekommen war. Hier war sie als Kind einmal in der Jugendherberge gewesen. Der Polizeiwagen stand zusammen mit ein paar anderen Autos auf dem Parkplatz. Ansonsten war weit und breit kein Mensch zu sehen. Ihre Hand griff nach dem Handy in der Tasche. Zeit, jemanden anzurufen. Aber wen? Ihr erster Gedanke galt ihrer Tochter, Emma. Aber die konnte sie nicht anrufen, Emma würde nur Angst bekommen. Besser eine Freundin. Sie hatte Glück und erreichte Mette Hermansen. Mette wohnte in der Stadt und konnte Tone nach der Arbeit treffen. Dann sagte sie das Interview ab, für das sie ohnehin zu spät dran war.

      Der Nebel machte keine Anstalten, sich zu lichten. Eher das Gegenteil war der Fall. Er legte sich dichter um sie. Tone ging in ihrem normalen Tempo weiter. Sie hatte noch Zeit für eine Tasse Kaffee, bevor sie auf der Polizeiwache sein sollte. Plötzlich zuckte sie zusammen. An dem künstlich angelegten Badesee bewegte sich etwas. Durch den grauen Nebelschleier konnte sie nicht viel erkennen. Aber da stand jemand. Sie fühlte sich unbehaglich. Blieb stehen. Hatte die Person vor, hineinzuspringen? Zu dieser Jahreszeit war bestimmt nicht viel Wasser in dem Becken. Trotz der schlechten Sicht hatte sie den Eindruck, dass es sich um einen Mann handelte. Er beugte sich vor. Was tat er da?

      Nein, hier konnte sie nicht stehen bleiben. Ließ das gerade Erlebte alle Menschen verdächtig erscheinen? Sie beschleunigte den Schritt, bis sie sich dem Stadtzentrum näherte. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, das hiesige Büro des Norsk Rikskringkasting anzurufen und ihnen einen Tipp zu geben. Als Mitarbeiterin beim NRK war sie dazu verpflichtet. Außerdem konnten die Nachrichtenredakteure bestimmt schneller als sie in Erfahrung bringen, was passiert war.

      Polizeiwache Lillehammer, Dienstag, 14.15 Uhr

      Tone Tarud war eine wichtige Zeugin. Eine wichtige Informantin. Jetzt saß sie dem Polizisten gegenüber, mit dem sie bereits oben am Fluss gesprochen hatte.

      »Wir möchten gerne, dass Sie uns genau schildern, was passiert ist«, sagte Ruud. »Sowohl bevor als auch nachdem Sie die Frau gefunden haben. Dinge, die Sie gesehen oder gehört haben ... Sind Sie jemandem begegnet?«

      Sie hatte die Frage erwartet, hatte die letzte halbe Stunde darüber nachgedacht. Ja, sie hatte auf ihrem Spaziergang ein paar Personen gesehen. Zum einen einen Mann, der ihr ziemlich eilig entgegengekommen war, ungefähr eine Viertelstunde bevor sie die Frau gefunden hatte. Sie hatte ihn für einen Wanderer gehalten. Der anderen Person war sie noch früher begegnet. Oder korrekter – sie hatte ihn noch früher gesehen. Ja, auch das war ein Mann gewesen. Tone hatte sich sogar ein wenig erschrocken. Er war vor einer der am Weg liegenden Hütten herumgelaufen. War plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht. Deshalb hatte sie sich erschrocken und war schneller gegangen. Wenn sie genauer nachdachte, meinte sie sich zu erinnern, dass er etwas auf dem Arm gehabt hatte. Tone erzählte, so gut und detailliert sie konnte. Sie erwähnte auch die Person an dem Badesee, um nichts auszulassen.

      »Wie sahen die Männer aus?«

      Das war schon schwieriger. Der erste Mann hatte leichte Wanderkleidung getragen, dunkel, meinte sie. Er hatte blondes, kurzes Haar, schon etwas gelichtet. Nicht besonders groß, nicht besonders klein. Mitte vierzig, schätzte sie. Die Sache war die, dass sie ihn sich nicht so genau angesehen hatte. Wenn sie auf einem Spaziergang jemandem begegnete, tat sie eins von zwei Dingen: Sie sah dem anderen in die Augen und sagte vielleicht noch Hallo. Oder sie blickte zu Boden oder in die andere Richtung, als hätte sie den anderen gar nicht bemerkt. Heute hatte sie sich für die letzte der beiden Varianten entschieden. Um genau zu sein, hatte sie in ihrem Rucksack nach einer Wasserflasche gesucht, als er vorbeigekommen war. Über den Mann vor der Hütte ließ sich noch weniger sagen. Er mochte um die fünfzig gewesen sein, war ebenfalls mittelgroß, glaubte sie. Aber es konnte auch die graue, dicke Jacke sein, die ihn älter und schwerer hatte erscheinen lassen, als er war.

      »Und Sie sind sich sicher, dass Sie die Frau vorher noch nie gesehen haben?«, fragte Ruud. Sein Blick hielt sie einige Sekunden lang fest.

      »Das kann ich nicht sagen«, erklärte Tone. »Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen.«

      Ruud bediente schnell seine PC-Tastatur. »Wir haben ein paar Bilder eingescannt«, sagte er. Er drehte den Monitor leicht, aber sie musste trotzdem neben ihn treten, um etwas sehen zu können.

      Ein Farbbild nahm den Großteil des Monitors ein. Das Gesicht war bleich, gelblich weiß, die Haut glatt, die Augen geschlossen. Der Mund stand halb offen, die Oberlippe war auf einer Seite stark geschwollen. Auf der rechten Stirnseite klaffte eine große offene, blutige Wunde. Das blonde Haar war zerzaust.

      Tone hatte bisher erst einen Toten gesehen, vor zwanzig Jahren, und das war ihr Großvater gewesen, ein Achtzigjähriger, der friedlich in seinem Sarg lag. Das hier war etwas ganz anderes. Gemischte Gefühle stiegen in ihr auf. Die Frau auf dem Bild war von einem dramatischeren Tod eingeholt worden, daran bestand kein Zweifel. Wieder hatte Tone das Gefühl, dass ihr etwas an ihr bekannt vorkam. Das Gefühl war diesmal stärker. Gleichzeitig war sie sich sicher, sie nicht zu kennen. Andernfalls hätte sie gewusst, wer sie war, selbst wenn der Tod das Gesicht verändert hatte. Vielleicht war sie ihr schon einmal begegnet oder hatte sie in der Stadt gesehen.

      Sie setzte sich wieder auf den Stuhl. »Hat sie sich die Wunde bei dem Sturz zugezogen?«, fragte sie und versuchte zu verbergen, dass sie auf Informationen aus war.

      »Das wäre nicht verwunderlich«, antwortete Ruud, bevor er hinzufügte: »Was die Todesursache angeht, die steht noch nicht fest. Deshalb wollen wir auch keine Spekulationen.« Letzteres wurde in einem sehr bestimmten Ton gesagt.

      Tone war nicht bereit, sich so schnell geschlagen zu geben. »Aber die Wunde am Hinterkopf?«, fragte sie.

      »Wie gesagt, wir wissen es noch nicht.«

      »Aber


Скачать книгу