Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi. Magnhild Bruheim

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Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim


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Tøyen verabredet hatte. Ihr Sohn war wegen Mordes an seiner Ehefrau verurteilt worden. Er hatte sie mit einem Messer erstochen. Das Motiv: Eifersucht. Der Mord war vor gut neun Jahren geschehen. Und der Mann zu dreizehn Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Soweit Tone wusste, konnte er inzwischen wieder draußen sein. Bei dem Gedanken machte ihr Herz einen Satz. Sie drehte eine schnelle Runde durch das Zimmer und zog alle Vorhänge zu. Sie waren dick und versperrten den Blick ins Haus.

      Sie wollte nichts mehr lesen. Für heute war ihr Bedarf an Todesfällen gedeckt. Die Frau im Wald war bestimmt ermordet worden. Håkon Arfoss’ Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf.

      Wen konnte sie so spät noch anrufen? Sie entschied sich für Irene Eikeli, die auch allein lebte.

      Das Telefon schellte lange, bevor eine verschlafene Stimme antwortete. Tone entschuldigte sich vielmals und erklärte, dass sie einfach mit jemandem reden müsse. »Ich habe einen schrecklichen Tag hinter mir«, begann sie. Dann strömten die Worte aus ihr heraus, sie redete mehrere Minuten ohne Unterbrechung. Über den Fund der Leiche, den Mord, die Verabredung. Die Freundin am anderen Ende wurde allmählich wach und bat um Details. Doch als Tone ihren Verdacht äußerte, mit dem Mörder zu Abend gegessen zu haben, schlug Irene ihr vor, sich vielleicht doch erst einmal auszuruhen. Es konnte der Schock sein, der sie die Eindrücke durcheinander bringen ließ, sagte sie. Tone hatte da ihre Zweifel.

      »Bist du sicher, dass es richtig ist, jetzt alleine zu sein?«, fragte Irene.

      »Und mit wem sollte ich zusammen sein?«

      »Du hast doch bestimmt Freunde in Lillehammer.«

      »Aber niemanden, der mitten in der Nacht hierher kommen kann.«

      »Sicher.« Die Freundin kam mit weiteren wohlmeinenden Worten und guten Ratschlägen und war klug genug, ihr nicht vorzuschlagen, das Gespräch zu beenden. Es war Tone, die sich nach einer Stunde hilfreichen Telefonierens verabschiedete. Da hatte sie sich leer geredet und beide gähnten nach jedem zweiten Satz. Die Uhr zeigte halb zwei. In fünfeinhalb Stunden würde das Telefon sie wecken.

      Ganz richtig. Das Telefon weckte sie. Aber nicht um sieben Uhr morgens, sondern um halb drei in der Nacht, wie ihr die roten Zahlen des Radioweckers anzeigten. Tone musste gerade eingeschlafen sein. Das Telefon fiel beinahe auf den Boden, als sie nach dem Hörer tastete und sich mit ihrem Namen meldete. Am anderen Ende war es still. »Wer ist da?«, fragte sie. Sie hörte jemanden atmen, dann wurde aufgelegt. Der Apparat im Schlafzimmer hatte kein Display, sodass sie nicht sehen konnte, von welcher Nummer aus angerufen worden war. Hatte sich jemand verwählt? Dann hätte er sich zumindest entschuldigen können. Sie dachte an die beiden anderen anonymen Anrufe. Konnte das Marta Kristiansen sein, die erneut versuchte, Kontakt zu ihr aufzunehmen? In dem Fall musste sie total verzweifelt sein. Tone dachte an die Männer, die sie im Internet kennen gelernt hatte, aber sie wusste nicht mehr über sie, als sie ihr erzählt hatten. War ein Verrückter unter ihnen? Einer, der ihr Angst einjagen oder sie auf diese Weise terrorisieren wollte? Håkon Arfoss? Was für ein Mann war er?

      An Schlafen war nicht mehr zu denken. Die Nacht draußen war schwarz und aufdringlich. Das Schlafzimmer lag glücklicherweise im Obergeschoss, sodass der Gedanke, dass jemand draußen vor dem Fenster stehen könnte, gar nicht erst aufkam. Ohne das Licht im Schlafzimmer anzumachen, ging sie ins Bad und holte sich ein Glas Wasser.

      Fröstelnd lag sie in ihrem Bett und rührte sich nicht. Der leuchtende rote Digitalanzeiger zeigte das Fortschreiten der Nacht an. Sie versuchte, an Ideen für neue Sendereihen zu denken. Doch die Wirklichkeit drängte sich brutal in ihr Bewusstsein. Der Telefonanruf. Die Leiche im Wald. Der rote Fleck am Hinterkopf. Ein Mörder, der frei herumlief. Arfoss, der im Wald gewesen war.

      Die Dokumentarreihe schob sich wieder in den Vordergrund. Nach dem ersten Interview hatte sie große Erwartungen in sie gesetzt. Lief der Rest ebenso gut, hatte sie Stoff für mehr. Für ein Buch. Sie hatte bereits einen Verlag angeschrieben und die Idee unterbreitet. Aber vielleicht war es doch nicht so einfach. Eine der Quellen, in die sie die größten Hoffnungen gesetzt hatte, machte einen Rückzieher. Warum hatte Marta Kristiansen sich anders entschieden?

      Budal, Mittwoch, 17. Oktober, 9.10 Uhr

      Tone erwachte schlagartig. Irgendein lautes Geräusch war von draußen hereingedrungen, ein dumpfer Knall. Sie sah auf die Uhr. Zehn nach neun. Das Zimmer lag im Halbdunkel. Die dicken Gardinen hielten den Tag außen vor.

      Langsam kam sie zu sich. Sie hatte den größten Teil der Nacht wachgelegen, bis sie gegen Morgen in einen schweren Schlaf gefallen war. Die Ereignisse des gestrigen Tages begannen in ihrem Kopf Karussell zu fahren. Zuletzt dieser anonyme Anruf in der Nacht.

      Wollte der NRK sie nicht heute früh angerufen haben? Darüber musste sie sich keine Gedanken mehr machen. Nach dem nächtlichen Anruf hatte sie den Stecker im Schlafzimmer herausgezogen, erinnerte sie sich. Und das Handy lag unten im Arbeitszimmer.

      Um dem neuen Tag ins Auge sehen zu können, würde sie erst einen Kaffee im Bett trinken. Der Gedanke, gleich wieder unter die Decke kriechen zu können, gab ihr die Kraft aufzustehen. In Pantoffeln und Morgenmantel tapste sie die Treppe hinunter in die Küche. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, warf sie einen müden Blick auf den Tag dort draußen. Er war genauso grau wie der vorherige. Der Traubenkirschbaum gegenüber dem Schuppen hatte nur noch wenig Laub. Das meiste lag um den Baumstamm verstreut.

      Plötzlich zuckte sie zusammen. Die Schuppentür stand weit offen! Tone war seit Tagen nicht mehr in dem Schuppen gewesen und sicher, dass die Tür verschlossen war. Vielleicht war das die Erklärung für den Knall, den sie gerade gehört hatte: die Schuppentür, die gegen die Wand schlug.

      Ein Klicken ließ sie zusammenfahren. Es war nur der Wasserkocher, der sich ausgeschaltet hatte. Sie schien langsam schreckhaft zu werden. Sie holte eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffeepulver. Die Hände versagten ihr den Dienst und ein Teil des Pulvers landete auf der Küchenbank. Sie rief sich zur Ordnung. Für die offene Schuppentür gab es bestimmt eine Erklärung, sie wollte nicht weiter darüber nachdenken.

      Sie überlegte, den PC einzuschalten und zu sehen, ob neue E-Mails eingegangen waren. Sie widerstand der Versuchung, ging aber trotzdem ins Arbeitszimmer, um das Display des Telefons zu überprüfen. Es verriet ihr jedoch auch nicht, wer sie in der Nacht angerufen hatte. Unbekannter Teilnehmer, war alles, was dort stand. Sie steckte das Handy in die Tasche des Morgenmantels, nahm die Kaffeetasse und ging wieder nach oben.

      Der heiße Kaffee brannte auf ihren Lippen. Das Handy zeigte zwei Anrufe an. Die Mailboxstimme informierte sie, dass der erste um 7.30 Uhr eingegangen war. Beide Anrufe kamen vom NRK. Sie hatten mehrmals versucht, sie anzurufen, sowohl über das Festnetz als auch auf ihrem Handy. Ein milde ausgedrückt irritierter Moderator wunderte sich, wo sie bliebe.

      Die Lokalnachrichten um zehn begannen mit einer Meldung über die tote Frau. »Eine Frau wurde gestern in der Nähe des Mesnaelva in Lillehammer tot aufgefunden. Die Polizei ermittelt, kann über die genaueren Umstände zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nichts bekannt geben. Die etwa dreißig- bis vierzigjährige Frau wurde gestern gegen halb eins von einer Spaziergängerin entdeckt. Die Polizei bittet um Hinweise ...« Das Erlebnis kam wieder näher, die Radiostimme zog sie in das Geschehen hinein. Eine zufällige Spaziergängerin. Das bin doch ich, dachte Tone. Die Tote hatte vorläufig noch keinen Namen und keinen Heimatort. Das konnte nur bedeuten, dass die Polizei ihre Identität noch nicht kannte.

      Vielleicht hatte die Lokalzeitung mehr. Sie schloss die Tür auf, trat in den Herbsttag hinaus und ging langsam den kurzen Weg zum Briefkasten. Auf dem Rückweg zwang sie sich, zu der dunklen Türöffnung des Schuppens hinüberzusehen. Wahrscheinlich hatte sie die Tür nicht richtig verriegelt. Während sie geschlafen hatte, musste ein Windstoß an der Tür gerüttelt haben, sodass das Schloss aufgesprungen war. Was sollte es sonst gewesen sein?

      Drinnen stürzte sie sich auf die Zeitung. Der Fund der toten Frau war der Aufmacher. Er nahm fast die ganze Titelseite und noch eine weitere Seite ein. Auch hier nichts über ihre Identität. Es war nicht sicher, ob sie aus der Gegend war, stand in dem Leitartikel. Auch die Spaziergängerin wurde


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