Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi. Magnhild Bruheim

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Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim


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wenig nervös. »Wie lange hat er noch?«, fragte sie.

      Marta Kristiansen zögerte kurz und sah sie unsicher an. »Er ist entlassen worden. Vor einem Monat.«

      Tone hatte die ganze Zeit geahnt, dass Kristiansen wieder draußen war. Hatte die Situation sich deshalb geändert? Hatte er der Mutter verboten, über den Fall zu reden?

      »Das wusste ich nicht«, sagte Tone. Sie runzelte die Stirn und machte ein Gesicht, als wollte sie sagen, dass sie es hätte wissen müssen. »Und was macht er jetzt?«

      »Er hat in der Haft eine zusätzliche Ausbildung gemacht. Und jetzt ... Er sucht Arbeit. Sie haben ihm geholfen, eine Wohnung zu finden ...«

      »Dann beginnt er ein neues Leben?«, Tone konnte den Gedanken, dass das ungerecht war, nicht unterdrücken. Die junge Frau würde nie eine solche Chance bekommen.

      »Wenn man das so nennen will«, antwortete Marta und sah traurig aus. Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Tone tat es ihr gleich.

      »Aber als Mutter ...« Tone schaffte es nicht, gleich auf den Punkt zu kommen. »Wie ist das für Sie, dass er jetzt ein freier Mann ist?«

      »Das Wichtigste ist, alles hinter sich zu lassen, das ist die einzige Möglichkeit, weiterzukommen.«

      »Und deshalb wollen Sie bei der Sendung nicht mitmachen?«, sagte Tone. Sie klang ärgerlicher, als sie beabsichtigte. »Er möchte auch nicht, dass Sie mitmachen?«

      »Darum geht es nicht. Ich glaube einfach, dass es so besser ist.«

      Tone begann, sich ernsthafte Sorgen zu machen, dass sie Marta nicht würde überreden können. Zu der Sendung, die die beste werden sollte, die sie je gemacht hatte. Aber das ging nicht ohne die Hilfe von Leuten wie Marta. Sie griff nach einem der Strohhalme, die sich bewährt hatten: Lob. »Am meisten hat mir an Ihrem Brief imponiert, dass er so reflektiert ist«, sagte sie. »Sie schaffen es, Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, mit denen bestimmt viele ... in ihrer Situation ... zu kämpfen haben.«

      Die braunen Augen sahen Tone an, aber Marta reagierte nicht auf das Lob.

      »Sie haben so viele Kraftreserven«, fügte Tone hinzu. Und das meinte sie wirklich. So wirkte Marta Kristiansen auf sie. Die zierliche Frau gehörte nicht zu den Wohlhabenden dieser Gesellschaft. Die kleine Wohnung verstärkte diesen Eindruck noch. Viel Luxus gab es hier nicht. Aber die Frau besaß Würde und hatte ihr Teil dazu beigetragen, ihrer Familie ein würdevolles Leben zu schaffen. Bevor sie dieser unverdiente Schlag traf: Eines ihrer Kinder stand hinter dem schlimmsten Verbrechen, das ein Mensch begehen konnte, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Für diese Frau musste das die Niederlage ihres Lebens und der Grund zu lebenslanger Trauer gewesen sein.

      »Wie kann ein Mensch mit so einer Niederlage leben?« Die Frage entschlüpfte ihren rotierenden Gedanken.

      »Sie meinen meine Niederlage als Mutter? Oder seine Niederlage? Für ihn war es schließlich am schlimmsten.«

      »Ich frage mich, wie Sie das als Mutter empfunden haben«, sagte Tone und vermied es, dass Wort Niederlage noch einmal in den Mund zu nehmen. »Er ist ja von allen verurteilt worden«, fuhr sie fort. »Während Sie selbst so viel mehr über ihn wussten ..., all das Gute, das Liebe.«

      »Meine einzige Hoffnung ist, dass es ihm gelingt, sich ein lebenswertes Leben aufzubauen«, antwortete Marta kurz.

      »Haben Sie sich nach seiner Entlassung oft gesehen?«, fuhr Tone fort.

      »Wir haben uns häufiger getroffen. Er ist ein paarmal hier gewesen und ich habe ihn in seiner neuen Wohnung besucht.«

      Marta Kristiansen war zu höflich, um Tone zu bitten zu gehen. Sie hatte klar zu verstehen gegeben, dass sie bei der Radiosendung nicht mitmachen wollte. Jetzt räumte sie weiter auf, ohne noch etwas zu sagen.

      Tone verstand den Hinweis, sie konnte sie nicht länger bedrängen. Sie konnte sich nur noch für die Störung entschuldigen. Bevor sie ging, griff sie trotzdem nach dem letzten Strohhalm: »Wenn es so weit ist ..., ist es in Ordnung, wenn ich Ihren Brief in der Sendung vorlese? Ganz anonym, natürlich.«

      Marta Kristiansen zögerte und Tone fügte schnell hinzu: »Sie brauchen mir nicht gleich zu antworten. Ich kann Sie anrufen, wenn es so weit ist.« Ein cleverer Schachzug, dachte sie. Er bot ihr eine neue Chance. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung.

      Die Tür war hinter ihr ins Schloss gefallen, und Tone war auf dem Weg die Treppe hinunter, als eine Etage tiefer eine Tür aufging. Die rundliche Frau, die ihr vor dem Haus begegnet war. Sie ging ein paar Schritte vor Tone her nach unten. In der Hand hielt sie einen Schlüssel, mit dem sie einen leeren Briefkasten öffnete.

      »Es soll kälter werden«, sagte sie und drehte sich zu Tone um. »Das haben sie im Radio gesagt.« Sie zog die Jacke fester um sich, um deutlich zu machen, wovon sie sprach.

      Tone verdächtigte sie, sie abgepasst zu haben. Aber sie war neugierig, was die Frau von ihr wollte, und blieb stehen. »Ja, der Winter steht vor der Tür«, sagte sie.

      »Sie haben Marta besucht. Wie geht es ihr?«

      »Gut, soweit ich weiß.«

      »Ja, ja«, sagte die Frau finster. »Jetzt ist er wieder draußen.«

      »Sie meinen den Sohn?«

      »Ich habe ihn in der letzten Zeit ein paarmal gesehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Was für eine hässliche Geschichte. Es hat mich total schockiert, dass er das getan hat. Und dann auch noch seine Frau. Sie wissen schon, da muss etwas klick gemacht haben.«

      »Sie kannten ihn?«

      »Atle hat als Junge schließlich hier gewohnt. Er war im gleichen Alter wie einer von meinen.«

      »Mochten Sie ihn?«

      »Ich hatte nichts an ihm auszusetzen. Aber man weiß eben nie, wie es in den Leuten aussieht, in ihrem tiefsten Inneren. Es war wohl die Eifersucht ...« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, um zu zeigen, dass ihr langsam kalt wurde. »Wenn wir reden wollen, gehen wir besser hinein«, sagte sie und sah Tone abwartend an.

      Tone hatte keinen Grund, mit ihr zu gehen. Sie tat es trotzdem. Diese Frau konnte ihr bei der Sendung nicht helfen, aber vielleicht hatte sie etwas zu erzählen.

      Sobald sie zur Tür herein waren, wusste Tone, dass es ein Fehler gewesen war. Die Frau überfiel sie mit ihrer Redseligkeit. »Sie müssen die Unordnung entschuldigen, wenn ich gewusst hätte, dass ich Besuch bekomme ... Das passiert nicht oft, ja, ja, so ist das nun einmal ...« Langsam ging sie von der Diele ins Wohnzimmer. Die Wohnung war etwa so groß wie Martas. Aus der Küche kam ein strenger Geruch nach Kochfisch. Die Frau redete weiter: »Seit ich alleine bin ..., seit gut zwölf Jahren jetzt. Und von den Kindern bekomme ich auch nicht viel zu Gesicht. Meistens bleibt es beim Telefonieren. Ich habe zwei Jungen. Der eine ist ein hohes Tier beim Militär, der andere macht irgendwas mit Computern. So ist das heute. Ja, ja, ich bin froh, dass ich so alt bin, dass ich mich mit so etwas nicht mehr beschäftigen muss. Er lebt im Ausland. Ich habe Lasse erzählt, dass Atle wieder auf freiem Fuß ist. Die beiden haben viel zusammen herumgehangen ...«

      Endlich kam sie auf ein interessantes Thema zu sprechen und Tone packte die Gelegenheit beim Schopf: »Hatten die beiden auch als Erwachsene noch Kontakt zueinander?«

      »Ein paarmal haben sie sich wohl noch gesehen, nachdem sie hier ausgezogen sind. Bis das mit Lotte passiert ist. Seit dem Prozess haben sie nicht mehr miteinander gesprochen.«

      »Seit dem Prozess?«, fragte Tone neugierig. »Was ist denn da passiert?«

      »Lasse musste gegen ihn aussagen.«

      »Warum denn das?« Tone stand am Fenster, sodass sie auf die Straße hinuntersehen konnte. Jetzt drehte sie sich um und sah ihre Gastgeberin, deren Namen sie nicht kannte, an.

      »Er wusste etwas«, sagte sie unsicher. »Und man hat doch die Pflicht ...«

      »Und das hat böses Blut gegeben?«, fragte Tone.

      »Das


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