Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi. Magnhild Bruheim

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Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim


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und ermittelt die Todesumstände, äußert sieb jedoch weder über ein Fremdeinwirken noch über mögliche Verdächtige. Unseren Informationen zufolge sollen kurz vor der Entdeckung der Toten zwei Männer auf dem Weg gesehen worden sein, der am Fluss entlangführt.

      Diese Information stammte von ihr. Und jetzt wusste sie auch, wer einer der Männer war. Die Polizei bittet Passanten, die sich in dem Gebiet aufgehalten haben, sich zu melden. Jeder, der etwas gehört oder gesehen haben könnte, wird aufgefordert, sich mit einer Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen. Die Polizei hat ein größeres Gebiet nach Beweismaterial abgesucht, will vorläufig jedoch weder bekannt geben, welche Spuren sie verfolgt, noch welche Theorien über das Geschehen vorliegen.

      Irene Eikeli hatte ihr geraten, der Polizei von Håkon Arfoss zu erzählen. Tone war sich nicht sicher und kam zu dem Entschluss, damit noch zu warten.

      Sie musste Emma anrufen. Nur um ihre Stimme zu hören. Ihr Handy war ausgeschaltet und der Anrufbeantworter forderte sie auf, eine Nachricht zu hinterlassen. Sie ist sicher in Blindern, dachte Tone und teilte ihr kurz mit, dass sie am nächsten Abend in die Stadt kommen werde. Emma studierte im zweiten Jahr und hatte die kleine Zweizimmerwohnung, die Tone noch immer in Oslo besaß, unter der Bedingung übernommen, dass Tone an den Tagen, an denen sie in der Stadt zu tun hatte, dort wohnen konnte.

      Das örtliche Büro des NRK rief am Vormittag an. Sie wollten Tone für die Aktuelle Stunde um 12 Uhr haben. Sie sagte mit Entschiedenheit Nein. »Du solltest doch schon heute Morgen dabei sein«, sagte die Mitarbeiterin am anderen Ende. Tone bestand darauf, dass sie nichts versprochen hatte, und schaffte es, neue Überredungsversuche abzuwehren.

      Dann beschloss sie, zu arbeiten, und schaltete den PC ein. Zuerst sah sie die E-Mails durch. Fünf neue Mails, eine davon von Håkon Arfoss. Sie verspürte Widerwillen, sie zu öffnen. Schob es hinaus, indem sie erst die anderen Nachrichten las. Ein Chefredakteur erkundigte sich nach dem Beitrag, den sie über eine Schlankheitskur machen sollte. Irene Eikeli fragte, wie es ihr gehe. Karl-Erik, einer ihrer drei Chatfreunde, wollte wissen, ob sie Freitagabend in Oslo sei. Er war bisher der Einzige, bei dem es geknistert und mit dem sie sich auf der gleichen Wellenlänge gefühlt hatte. Leider war er verheiratet, wie sich im weiteren Verlauf des Abends herausgestellt hatte. Und jetzt besaß er die Frechheit, ein neues Treffen vorzuschlagen. Er war sich sicher, dass ein weiterer Kontakt ihnen beiden Vergnügen bereiten werde, schrieb er.

      Eine der Mails kam von einem unbekannten Absender und war um 0.30 Uhr abgeschickt worden, kurz nachdem sie nach Hause gekommen war. Neugierig begann sie zu lesen. Mann, 44, sucht Frau in der Nacht. Und findet dich, Frau, 42, blond und blauäugig. Nicht zu blauäugig, denke ich. Mit unverbrauchtem Lebensmut, aber ohne Mann an deiner Seite. Ich glaube, du bist eine Frau, die die Männer anzieht, wenn du dein wahres Gesicht zeigst. Der Zufall will es, dass du gerade jetzt alleine bist und im Dunkeln nach Kontakten suchst. Wie auch ich ... Der Brief war mit Orion unterzeichnet. Sowohl der Ton wie auch das, was dort stand, sprachen sie an. Er hatte ihr Profil gelesen, erzählte aber nur wenig über sich und seine Lebenssituation. Nächtliche Gedanken. Tone beschloss, zu antworten, nicht viele Worte, doch genug, um Interesse zu signalisieren.

      Håkon Arfoss hatte seine Mitteilung eine halbe Stunde, nachdem sie sich vor dem Hotel verabschiedet hatten, geschrieben: Warum spielst du nicht mit offenen Karten? Um es direkt zu sagen: In der nächsten Woche ist nichts in deinem Terminkalender eingetragen. Ich habe nachgesehen, als du draußen warst und telefoniert hast. Du hast behauptet, du hättest da schon eine Verabredung. Aber irgendwie habe ich gespürt, dass du bluffst. Deshalb habe ich nachgesehen. Du findest das vielleicht unverschämt, aber ich habe meinen Verdacht bestätigt.

       Ich hatte den Eindruck, dass wir uns heute Abend gut verstanden haben, die Unterhaltung kam allmählich in Gang, nachdem du etwas aufgetaut warst, und die Stimmung hat mich glauben lassen, dass sich etwas Spannendes daraus entwickeln könnte. Wenn du deine Kontaktsuche über das Internet ernst meinst ..., dann musst du deine Haltung ändern und den Leuten mit mehr Respekt begegnen. Aber vielleicht verbirgst du ja irgendetwas?

      Tone las es noch einmal. Aber vielleicht verbirgst du ja irgendetwas? Am früheren Abend hatte er etwas Ähnliches gesagt. Was wusste er? Sie musste bald die Polizei informieren.

      Die Unruhe trieb sie vom PC in die Küche und zum Fenster. Die Schuppentür stand noch immer weit offen. Sie wusste, was sie zu tun hatte.

      In der Zeit, seit sie allein hier wohnte, hatte Tone gelernt, der Angst ins Auge zu sehen. Das Übel bei der Wurzel zu packen. Jedes Mal wenn sie ein unheimliches Geräusch im Haus hörte, zwang sie sich, nachzusehen, wo es herkam, und der Sache nachzugehen. Antworten zu finden, um wieder rational denken zu können. Jetzt ging es um eine Tür, die ohne Erklärung aufgegangen war.

      Die Angst sagte ihr, dass jemand im Schuppen sein könnte. Aber die Vernunft half ihr, die zwanzig Meter zu gehen. Sie war auf der Hut, für alle Fälle. Ihr Puls stieg, als sie den Schuppen betrat. Es gab kein Licht und sie musste mit dem spärlichen Tageslicht auskommen. Ein paar Sekunden blieb sie still stehen. Außer einem Traktor in der Ferne war kein Laut zu hören. Hier war niemand, stellte sie fest. Es musste der Wind gewesen sein. Ihr Fuß trat gegen etwas, das auf dem Boden lag. Ein Spaten oder ein Rechen, der umgefallen war. War das auch der Wind? Oder war es ihr irgendwann passiert? Vielleicht war ein Tier hereingekommen, während die Tür offen stand? Als sie sich hinunterbeugte, um das Gerät aufzuheben, entdeckte sie auf dem Boden einen kleinen weißen Zettel. Sie hob ihn auf und steckte ihn in ihre Tasche. Sie mochte nicht länger hier sein. Sie trat hinaus, machte die Tür hinter sich zu. Und dann war es vorbei, für dieses Mal. Ihre Beine drohten, sie im Stich zu lassen, als sie zurück zum Haus ging.

      Die Mappe mit den Unterlagen für die Dokumentarreihe lag auf dem Schreibtisch. Tone blätterte sie durch, bis sie den Zeitungsausschnitt über Atle Kristiansen gefunden hatte. Sie war entschlossen zu tun, was sie konnte, um ein Interview mit der Mutter, Marta Kristiansen, zu bekommen. Morgen Nachmittag würde sie bei ihr schellen und so tun, als hätte sie den Anruf nicht erhalten.

      Der Zeitungsausschnitt beschäftigte sich mit dem Mord und den Ermittlungen im Herbst 1992. Ein paar kleinere Artikel berichteten über das Gerichtsverfahren und das Urteil. Der Mann behauptete, unschuldig zu sein, war jedoch aufgrund des Beweismaterials verurteilt worden. Sein Name wurde in keinem der Artikel erwähnt, ein Bild gab es auch nicht. Er war der Ehemann, der seine Frau etwa vierundzwanzig Stunden, nachdem sie verschwunden war, als vermisst gemeldet hatte. Wer die Familie kannte, hatte keinen Zweifel, um wen es sich handelte. In den Tagen, nachdem die Leiche gefunden worden war, brachten die Zeitungen den Namen der Toten: Lotte Kwam Kristiansen, siebenundzwanzig Jahre alt. Das Bild zeigte eine lächelnde junge Frau mit blondem, lockigem Haar. Gut aussehend. Der verdächtige und später verurteilte Ehemann war Ende dreißig.

      Als Motiv wurde Eifersucht vermutet. Atle Kristiansen verdächtigte seine Frau, einen Geliebten zu haben. Es kam nie heraus, wer der andere Mann war. Stattdessen tauchten starke Zweifel auf, ob es überhaupt einen anderen gegeben hatte. In den ersten Tagen sprach die Polizei von Atle Kristiansen als von einem Zeugen. Am dritten Tag saß er in U-Haft, verdächtigt des Mordes an seiner zehn Jahre jüngeren Frau.

      Was war in diesen Tagen in Marta Kristiansen vorgegangen? Trauerte sie zusammen mit dem Sohn, überzeugt von seiner Unschuld? Oder schlich sich ein kleiner Zweifel ein? Was für ein Junge war Atle gewesen? Tone rief Word auf, um die Fragen, die sie ihr stellen wollte, aufzuschreiben.

      Ihre Augen streiften das Dokument, das sie unter Tone gespeichert hatte. Die Tagebuchnotizen. Vor einigen Wochen hatte sie einen Status-quo-Bericht zu ihrer Lebenssituation erstellt. Jetzt überflog sie das Geschriebene. Es war nicht sonderlich erfreulich, dafür aber wahr: Tone Tarud, 42, Single, genauer gesagt: verlassen worden, mittelmäßige Journalistin oder bestenfalls mit einem Talent ausgestattet, das bisher noch niemand richtig zu würdigen gewusst hat, 1,70 m, gut 67 Kilo, Gehalt ca. 250.000 Kronen pro Jahr, 600.000 Kronen Schulden, eine erwachsene Tochter, die ihre Mutter mehr als Last denn als Freude empfindet.

      An dem Abend, an dem sie das geschrieben hatte, hatte sie beschlossen, etwas an ihrer Situation zu ändern. Nach zwei Gläsern Rotwein hatte sie, sentimental geworden, eine neue Bestandsaufnahme


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