Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi. Magnhild Bruheim

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Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim


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hatte er sie gegründet. »Im EDV-Bereich gibt es doch laufend Neuentwicklungen.« Bessere Fragen fielen ihr zu dem Thema nicht ein.

      Die Bedienung brachte das Essen, das Gespräch verstummte und ihre Gedanken schweiften erneut ab. Zu dem Radiointerview am nächsten Morgen. Sollte sie zusagen? Es war ihre Geschichte, ihr Erlebnis, deshalb war es nur richtig, dass sie darüber sprach. Solche Augenzeugenberichte kamen gut im Radio. Die Formulierungen bildeten sich mühelos in ihrem Kopf. Sie würde den Limonadenverschluss erwähnen. Die Geschichte dramatisieren. Sagen, dass sie sofort an ein Verbrechen gedacht habe. Oder war das zu weit hergeholt?

      »Ich habe heute eine schöne Waldwanderung gemacht«, sagte Håkon Arfoss, als sie später wieder in der Bar saßen. Er sah Tone gespannt an. »Ich war schon früh in der Stadt und habe am Vormittag etwas für meine Kondition getan.«

      Warum erzählte er ihr das? Konnte Arfoss der Spaziergänger sein, dem sie begegnet war? Der Gedanke kam so plötzlich, dass sie etwas Wein auf dem Tisch verschüttete. Sie bekam kein Wort heraus. Es passte einfach zu gut. Jetzt hatte sie auch das Gefühl, ihn wiederzuerkennen.

      »Apropos Wanderung«, sagte er und sein Blick ließ sie nicht los. Waren seine Augen grau oder blau? »Du hast gesagt, dass du dich für Bergsteigen interessierst. Ich habe mir gedacht, dich am nächsten Wochenende zur ersten Lektion einzuladen.«

      Sie drehte das Glas und starrte in den Wein. »Ach ja?«, sagte sie geistesabwesend. Sie stellte das Glas ab und begann, in ihrer Handtasche zu wühlen.

      »Ich will nach Lom«, antwortete er. »Da gibt es eine gute Kletterwand.«

      »Braucht man dafür keine Ausrüstung«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.

      »Das lässt sich arrangieren.«

      »Können wir später darüber reden? Ich muss zur Toilette«, sagte sie und stand auf.

      Ihr Körper fühlte sich steif und ihr Gang unnatürlich an. Im Spiegel begegnete sie ihren eigenen erschrockenen Augen. Ihr Gesicht musste sie verraten haben! Sie blieb einige Minuten auf der Klobrille sitzen, um sich eine Entschuldigung auszudenken.

      Auf dem Weg zurück in die Bar hatte sie Gelegenheit, ihn einige Sekunden aus der Distanz zu studieren. Sie hätte es sofort sehen müssen. Arfoss glich immer mehr dem Bild, das sie von dem Mann im Wald hatte. Der Beschreibung, die sie der Polizei gegeben hatte.

      »Ein verlockendes Angebot«, sagte sie und versuchte, zu lächeln. »Ich weiß nur nicht, ob ich Zeit habe.« Sie griff nach der Handtasche und holte ihren Terminkalender heraus. Für diese Woche hatte sie nichts eingetragen. »Es sieht leider so aus, als hätte ich schon eine Verabredung«, sagte sie leise. »Aber ich kann versuchen, sie zu verschieben.« Sie klappte den Kalender zu und steckte ihn zurück in die Tasche. »Ich schicke dir eine Mail, wenn ich das geklärt habe.«

      »Was ist mit dem Wochenende danach?«, sagte er eifrig.

      »Wie gesagt, es wäre schön ...«, sagte sie und fragte sich, wie sie aus der Situation herauskommen sollte. Wie konnte sie herausfinden, ob es Arfoss war, den sie gesehen hatte? Sollte sie ihm von ihrer Vermutung erzählen? Aber vielleicht ging es ihm genau darum. Er könnte sie gesehen haben und jetzt testen, ob sie ihn auch bemerkt hatte! »Lass mich erst klären, was mit dem nächsten Wochenende ist, dann sehen wir weiter ...«, fügte sie ungeschickt hinzu.

      Saved by the bell. Das Handy unterbrach ihr Gespräch. »Entschuldigung, ich hätte es ausschalten sollen«, sagte sie erleichtert und erhob sich. »Ich gehe nach draußen.«

      Es war noch einmal die Journalistin vom NRK. Sie war auf dem Sprung nach Hause und hatte das Live-Gespräch am nächsten Morgen vorbereitet. Da sie nichts von Tone gehört hatte, rechnete sie mit ihrem Okay. »Du wirst kurz nach sieben angerufen«, teilte ihr die Journalistin unbekümmert mit.

      »Nein, das ist nicht okay«, protestierte Tone. Sie konnte sich jetzt nicht öffentlich in die Sache reinziehen lassen.

      »Warum nicht?«

      »Weil ..., ich mag nicht darüber reden. Es war ein schreckliches Erlebnis.«

      »Es geht dir vielleicht besser, wenn du erst einmal darüber geschlafen hast. Kannst du mit deiner Entscheidung nicht bis morgen früh warten?«

      Tone schaffte es nicht, ihr zu widersprechen. Sie kannte die Überredungskünste der Journalisten. Deshalb ließ sie sich widerstrebend darauf ein und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie auch am nächsten Morgen niemand dazu zwingen könnte.

      Als sie zurück in die Bar kam, meinte Håkon Arfoss, dass es vielleicht an der Zeit sei, den Abend zu beenden. Tone war erleichtert, gleichzeitig aber auch überrascht. Sie hatte den Eindruck gehabt, als hätte er sich auf einen langen Abend eingestellt. Er war kurz angebunden und reserviert, als er sagte: »Morgen ist auch noch ein Tag.« Dann trank er aus. »Und du hast es weiter nach Hause als ich«, sagte er. Er wollte im Hotel übernachten, da er sechzig Kilometer entfernt wohnte.

      Vor der Tür gaben sie sich die Hand und bedankten sich für den Abend. Tone wahrte den Schein und sagte, dass es nett gewesen sei und dass sie sich wegen des Wochenendes melden werde.

      Es regnete, als sie durch die herbstlich dunklen Straßen zum Bahnhof bummelte, um sich ein Taxi zu nehmen. Er hatte nicht versucht, sie auf sein Zimmer einzuladen. Ein gutes Zeichen. Aber es erstaunte sie auch ein wenig. Auf dem ganzen Nachhauseweg nagte die Frage an ihr, ob sich Håkon Arfoss den ganzen Abend darüber im Klaren gewesen war, dass sie sich im Wald begegnet waren. Aber warum hatte er dann nichts gesagt?

      Budal Mesnali, Dienstag, 23.55 Uhr

      Der Kiesweg war von gelbem, nassem Laub bedeckt. Tone bat den Fahrer, sie bis vor die Tür zu fahren, und bezahlte teuer für die lange Fahrt. Bis er wieder auf der Hauptstraße war, hatte sie aufgeschlossen und war im Haus.

      Das grüne Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte nervös im Halbdunkel. Sie warf ihre Tasche auf den Boden und hängte ihre Jacke über einen Küchenstuhl. Nachdem sie zwanzig Minuten auf ein Taxi gewartet hatte, war sie völlig durchgeweicht. Dann ging sie zum Anrufbeantworter und drückte die Wiedergabetaste.

      Die Stimme, die aus dem Anrufbeantworter kam, klang hektisch: »Marta Kristiansen hier ... Ich möchte die Verabredung absagen. Es passt mir doch nicht so gut. Es ist mir einfach zu heikel.« Es folgte eine Pause. Dann beendete sie das Gespräch mit: »Ja, das wollte ich Ihnen nur sagen ... Tschüss.«

      Tone wartete auf die nächste Mitteilung. Es kam nichts, der Anrufer hatte einfach aufgelegt. Dann folgte ein weiterer anonymer Anruf. Und das war alles. Das Band spulte zurück. Hatte Marta Kristiansen noch einmal versucht, sie zu erreichen? Tone sah auf das Display des ISDN-Telefons im Arbeitszimmer. Der letzte Anruf war von einem unbekannten Teilnehmer. Genau wie die beiden Anrufe davor. Vielleicht hatte Marta sie ursprünglich anrufen wollen, um zu reden. Tone spielte die Mitteilung noch einmal ab. Täuschte sie sich oder hörte sich die Frau wirklich ein wenig ängstlich an? Auf jeden Fall war es zu spät, um zurückzurufen.

      Marta Kristiansen. Sie war eine der Frauen, mit denen sie sich im Rahmen einer neuen Dokumentarreihe verabredet hatte. Sie wollte die Eltern oder andere Angehörige von Mördern interviewen. Der vorläufige Titel der Sendereihe war inspiriert von der einzigen Person, mit der sie bisher gesprochen hatte: ›Ist es meine Schuld?‹, fragt sich die Mutter eines Mörders. Tone hatte ungefähr zwanzig Personen angeschrieben. Zwölf hatten geantwortet und sieben sich zu einem Interview bereit erklärt. Menschen, die bereit waren, darüber zu sprechen, wie sie es erlebten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter zum Mörder oder zur Mörderin geworden war. Wie sie den Gedanken aushielten, einem Menschen das Leben geschenkt zu haben, der einen anderen umgebracht hatte.

      Jetzt wollte eine der Mütter einen Rückzieher machen. Das konnte sie nicht zulassen. Ich muss sie morgen früh anrufen und überreden, dachte Tone. Sie hatte ja schon zugesagt, deshalb dürfte es nicht so schwierig sein. Oder Tone könnte so tun, als hätte sie die Nachricht gar nicht bekommen, und Frau Kristiansen zum vereinbarten Termin aufsuchen.

      Die Notizen zu der Reihe lagen in


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