Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.gleich so weit!“ Der narbige Jurist nickte dankend. Er wandte sich an den Architekten Vohwinkel neben ihm.
„In kurzem werden wir ja nun sehen, woran wir sind!“ sprach er gedämpft. „Herr Vohwinkel, ich frage auf alle Fälle: Haben Sie vorher noch irgend eine Erklärung abzugeben?“
„Ich habe nichts zu sagen!“ Der schöne Mann streifte sich ruhig ein Stück staubiges Spinnweb vom Ellbogenärmel. „Ich habe ja auch vorhin geschwiegen! Ich kann mein Inneres nicht öffnen, wenn ich die von Hohn und Hass funkelnden Augen meiner Schwägerin auf mich gerichtet sehe! Es erstickt mir die Kehle! Es ist unter meiner Würde!“
„Jetzt ist Fräulein Matteis ja nicht anwesend!“
„. . . ja . . . und deswegen . . . Ich möchte doch noch, wenn Sie erlauben, ein paar Worte zu Ihnen sprechen, Herr Richter!“ Christof Vohwinkel wurde lebhafter. „Ich will mich wahrhaftig nicht besser machen als ich bin! Aber ich stehe ja nach den Worten meiner Schwägerin förmlich da wie ein Verbrecher — nicht ein Verbrecher gegen das Strafgesetzbuch, sondern in moralischem Sinne . . . Gewiss . . . ich habe Schuld . . .“
„Es scheint doch, dass Sie Ihre selige Gattin vernachlässigt haben, Herr Vohnwinkel . . .“
„Ich habe sträflich an meiner armen Frau gehandelt. Aber ich wusste gar nicht, was ich ihr damit antat und wie sie darunter litt — eben aus Liebe zu mir! Ich war in unserer Ehe noch gar nicht zu ihrem Innenleben durchgedrungen! Ich ahnte nicht, dass ihre Liebe zu mir von einer Art war, die zu stolz war, um sich aufzudrängen oder sich überhaupt zu zeigen . . . dass es eine scheue Liebe war, die lieber schwieg und duldete, als sprach! Mir war das sehr bequem! Ich war froh, dass meine Frau mich gewähren liess. Ich lebte so hin . . .“
„. . . aber die Vorfälle, von denen Ihre Schwägerin sprach, mussten Ihnen doch die Augen öffnen!“
„Ahnte ich denn etwas von dieser verzweifelten Stimmung meiner Frau? Es blieb mir ja alles verborgen! Von dem Auftritt zwischen den beiden Schwestern, als die. Elfi angeblich ins Wasser wollte, erfuhr ich gar nichts. Die Geschichte mit dem Gasschlauch wurde vor mir vertuscht. Dass meine Frau im Besitz eines Revolvers war, habe ich jetzt eben zum ersten Mal gehört. Hätte ich damals schon gewusst, wie bald ich meine arme Frau würde hergeben müssen, glauben Sie mir: ich wäre am selben Tag in mich gegangen. Aber ich fühlte mich ja so sicher in ihren Besitz!“
Christof Vohwinkel schaute verstört durch den unwirtlichen Raum auf den Sarg in der Mitte, dann auf die staubigen Bachsteinfliesen zu seinen Füssen. Er schüttelte den Kopf. Er seufzte tief auf. Er fuhr fort: „Dann, eines Tages, Herr Richter, kam sie mir plötzlich mit dem Vorschlag, wir wollten einmal ganz weit weg von allem hier reisen und irgendwo in fremdem Land unter fremden Menschen eine Zeitlang nur noch für einander leben! Ich begriff den Grund ihrer Bite nicht recht. Aber ich gewährte ihr diese Bitte, weil sie sonst nie eine Bitte an mich hatte — höchstens stumme Bitten, die ich nicht verstand. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegen sie. Darum tat ich ihr, ohne mir viel dabei zu denken, den Gefallen!“
„Und so kamen Sie nach Spanien?“
„So kamen wir nach Murcia!“ Der Architekt Vohwinkel sprach leise und beinahe feierlich. Er legte, in einer Anwandlung von Vertrauen, leicht seine Fingerspitzen auf den Unterarm des Richters. „Und dort — unter diesem fremden Sternenhimmel — unter diesen Palmen — in diesem heissen Sonnenland geschah das Wunder: wir waren ganz aufeinander angewiesen. Wir waren ständig beisammen. Und auf einmal erfüllte sich die Hoffnung meiner Frau, dass ich sie eines schönen Tages entdecken würde. Ich sah sie auf einmal in dem ganzen Reichtum ihres Herzens. Die Schuppen fielen mir von den Augen. Ich begriff erst, wie reich ich schon seit Jahren gewesen war, ohne es zu wissen.“
Der Architekt Vohnwinkel lächelte eine Sekunde wehmütig in der Erinnerung. Seine weichen Augen wurden feucht. Er nickte.
„Wir fanden uns jetzt erst wirklich! Wir waren so glücklich. Eine neue Zukunft tat sich vor uns auf. Wir waren nun schon drei Wochen in Fuensanta gewesen. Wir dachten an die Weiterreise — wir lachten, wir nannten es unsere zweite Hochzeitsreise — nach Biarritz oder San Sebastian oder sonst, wo es nicht so heiss war wie hier im Süden des Landes. Und da — ich erinnere mich wie an gestern — nachmittags bei der Schokolade wurde meine Frau, mitten in der Sonnenglut, von einem Frostschauer befallen . . .“
„Nachmittags?“
„Ja. Gegen fünf Uhr. Ich life in das Dorf. Ich holte den Arzt. Er kam . . . Und dann . . .“
Christof Vohwinkel lehnte sich gegeb die Mauer. Er sah vor sich ins Leere hinaus. Er atmete schwer.
„Und dann . . . war über Nacht beinahe . . . alles aus! . . . Ich hatte mir zu spät erworben, was ich durch Jahre schon besessen hatte. Es war mir mit derselben Hand gegeben und genommen! Aber ganz genommen nicht! Es gibt Dinge, die kann man nie mehr völlig verlieren! Es ist ein rätselhaftes Wort, Herr Richter, aber es ist wahr: erst seit meine Frau nicht mehr ist, ist sie wirklich meine Frau. Jetzt erfüllt sie erst, inder Erinnerung, mein ganzes Leben. Ich sehe keine andere Frau mehr an. Ich denke nur an sie. Seit sie fern ist, ist sie bei mir. Sie ist jetzt ein Geist. Abe rein gutter Geist, dessen Nähe ich standing um mich fühle.“
Christof Vohwinkel blickte nach den Arbeitern hinüber.
„Die irdischen Überreste, die Sie dort aus dem Erdreich heben werden,“ versetzte er gefasst und halblaut, „haben mit diesem Schutzgeist, mit dem ich für den Rest meines Lebens verbunden bin, nichts zu tun! Ich sage das, Herr Richter, damit Sie die Ruhe, mit der ich der Eröffnung des Sarges entgegensehe, nicht fälschlich als Herzenskälte auslegen!“
„Und Sie selbst haben, vor einem Jahr, diese sterblichen Überreste dem Sarg dort anvertraut?“
„Ich persönlich!“ Der Architekt musste laut sprechen, um das bange Kreischen der verrosteten Metallschrauben zu übertönen, die sich langsam unter den Zangen der Handwerker lockerten.
„Und Sie erkenner den Sarg als den damaligen wieder?“
„Hier, auf dem Innern des Deckels, steht ja noch die Firma des Tischlers: ,Fernandez Silvestra, Carpintero, Orihuela!’“
Christof Vohwinkel rief es, auf den Boden deutend, durch die Hammerschläge, die dröhnend an den Wänden widerhallten. Die Handwerker hatten die äussere Zinkhülle geöffnet. Sie arbeiteten jetzt an dem inneren, schwarzlackierten Holzsarg. Die Planken stöhnten und knirschten. Der Medizinalrat beugte sich neugierig vor und dampfte heftiger. Der junge Gerichtsschreiber wurde noch bleicher. Der Rechtsanwalt Burhem gähnte. Der Richter nickte ernst dem Architekten Vohwinkel zu.
„Seien Sie überzeugt, dass ich das Vertrauen zu würdigen weiss, mit dem Si emir einen Einblick in Ihr Seelenleben geben!“ sagte er. „Ich begreife vollkommen, dass diese Stunde, die Sie ja selbst gewünscht haben, für Sie eine schwere ist . . .“
„Ich durfte mich ihr nicht entziehen, Herr Richter, um meine Ehre und meinen guten Ruf gegen die Verleumdungen meiner Schwägerin . . .“
Mit einem dumpfen Krach flog der Sargdeckel auf. Der kleine, dicke Gerichtsarzt guckte sachlich hinein und flog im nächsten Augenblick zwei Schritte zurück.
„Kinder . . . Ist das bei mir ’ne Alterserscheinung . . .?“ jappte er, krampfhaft die abgenommene Brille reibend. Die Zigarre fiel ihm aus der Hand. Der alte Kirchhofs-inspektor stand feierlich, wie eine versteinerte Schildwache, daneben.
„Siebenunddreissig Jahre bin ich be idem Jeschäft!“ sagte er langsam. „Aber das habe ich doch noch nicht erlebt . . .“
„Nee — so wat . . .!“ raunte, scheu zurücktretend und sich ungläubig mit der Hand über die Augen fahrend, einer der Arbeiter.
Der Rechtsanwalt Buthem war schon aus dem düsteren Raum heraus. Er rannte, im hellen Morgensonnenschein, die Gräberreihe entlang, nach dem Wärterhäuschen. Die weissgekleidete Mädchengestalt, die davor auf einer Bank saaa, hatte ihn schon von weitem gesehen und war aufgesprungen. Sie stürmte ihm entgegen. Die beiden prallten aufeinander. Ein atemloses: „Was ist, Herr Doktor?“
Und