Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.besorgt draussen eine Autodroschke, und Sie bringen beide den Herrn Vohnwinkel dorthin . . .“
„Nicht in Untersuchungshaft?“ murmelte Male Matteis. Der Rechtsanwalt Burhem neben ihr zuckte die Achseln.
„Der Fall ist doch noch sehr dunkel!“ sagte er. „Kommen Sie, gnädiges Fräulein! Wir wollen draussen darüber weiter sprechen!“
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Dort, jenseits des Kirchhofgitters, war Berlin schon auf den Beinen: jenes Berlin vor Tag,das mit den Hühnern aufstand, wenn die letzten Nachzügler des Berlin bei Nacht in die Federn krochen. Die Bäckerjungen pfiffen. Die Elektrische bimmelte. Die Zettelankleber liefen mit Kleistertopf und Leiter. Die Zeitungsfrauen trabten von Haus zu Haus. Aber immer noch lagen die weiten, grossen Strassen unwahrscheinlich leer und dehnten sich endlos öde im Gähnen der erwachenden Weltstadt. Ein heisser Sommertag blaute herauf. Die Sonnenwärme webte schon in der leise zitternden Luft. Die Sonnenwärme webte schon in der leise zitternden Luft. In ihrem blendenden Licht blinzelte das bartlos-scharfe, ironisch-kluge Antlitz des Rechtsanwalts Burhem doppelt übernächtig durch den goldenen Zwicker in die ausgeschlafene neue Welt. Er schwieg, mit einem matten und verdrossenen Ausdruck. Er schlenderte, mit gesenktem Kopf, zur Linken seiner Begleiterin, über den ausgestorbenen, noch von herabgelassenen Rolläden eingesäumten Bürgersteig. Dann fuhr er nervös, mit einem ungeduldigen Seitenblick, aus seinen Gedanken auf. An seinem Ohr hallte eine helle, laute Mädchenstimme: „Wie kriegen Sie das nur fertig, Herr Doktor, zu tun, als wäre heute morgen weiter gar nichts passiert?“
Male Matteis hatte halt gemacht. Sie stand vor dem Verteidiger, straff wie ein Strich in ihrem weissen Kleid, weiss vom Hutband bis zu den Schuhen. Er lächelte. Er war plötzlich angenehm von dem Bild morgenfrischer, gesunder Jugend vor ihm berührt: ein Bild, leuchtend weiss vor den grünen Sträuchern eines Vorgartens, in dem goldenen Frühschein unter dem blauen Himmel. Er sah ihr mit einer freundlichen Überraschung in das immer noch blasse, aber lebhafte, hübsche, mädchenglatte Gesicht, mit seinen klaren Farben, dem warmen Dunkelblond des Haares, den Helen, jungen, braunen Augen.
„Sie haben eben gegähnt!“ sagte Male Matteis ungläubig, mit schwankender Stimme: „. . . Jawohl! Sie haben durch die Nase gegähnt! Sie haben die Augen halb zu! Sie sprechen kein Wort! Sie trotten so hin und denken sich: wenn doch ein Auto käme und mich mitnähme, damit ich nach Hause fahren kann! Um Gottes willen — was muss denn eigentlich noch passieren, um Sie aus Ihrem . . . ja . . . wie sag’ ich denn?“
„. . . um mich aus meinem Stumpfsinn zu reissen?“ versetzte der Verteidiger resigniert. „Gnädiges Fräulein: leider hab’ ich als Rechtsbeistand Ihrer Aktiengesellschaft ausschliesslich mit Ihrem finanziellen Direktor, dem dicken Hackebeck, zu tun gehabt, als es sich um den Defraudanten da handelte. Ihnen bin ich in dem halben Jahr nur ein- oder zweimal flüchtig begegnet. Das eine Mal sassen Sie mit dem Gesichtsausdruck einer zu allem entschlossenen Rothaut hinter dem Steuer eines Rennwagens, der unter furchtbarem Lärm mit Ihnen durchging. Das andere Mal lagen Sie und der technische Direktor rücklings einträchtig nebeneinander auf dem Boden unter einem Auto und beklopften es mit fieberhaftem Interesse, ohne Sinn für die Aussenwelt, wie eine kranke Kuh! Es waren beides keine ungezwungenen Gelegenheiten für Sie und für mich, einander menschlich näher zu kommen! Eigentlich habe ich Sie heute erst kennerngelernt! Und Sie mich!“
„Aber da auch gerade bei einem so ungeheuerlichen Anlass, dass es ist, als ob man sich schon seit Jahren . . .“
„Wenn Sie den zweifelhaften Genuss hätten, mich seit Jahren zu kennen, gnädiges Fräulein,“ der Rechtsanwalt Burhem ging langsam weiter und sah dabei immer wieder das junge Mädchen neben ihm mit melancholischem Wohlgefallen von der Seite an, „dann würden Sie wissen, dass ich, leider Gottes, im Laufe meiner Praxis gegen Sensationen immun geworden bin! Es ist schade darum! Viel Lärm um nichts ist das halbe Leben! Es entgeht einem vieles, wenn man nicht jeden Tag einmal in die Lüfte geht!“
„Herrgott . . . Und auch das jetzt eben hat Sie nicht aus Ihrer Blasiertheit gerissen? . . . Wo alle Anwesenden doch ihre Nerven zittern fühlten! Ganz Berlin ist heute mittag in heller Aufregung, sobald die Zeitungen herauskommen . . .“
„Berlin ist immer in Aufregung! Die einzigen ruhigen Orte in Berlin sind die Kirchhöfe. Da komen wir ja her. In zwanzig Jahren — oder, seien wir opulent: in fünfzig Jahren ist alles egal!“
„Und das sagen Sie, der berühmte Verteidiger, durch dessen Hände die furchtbarsten Menschenschicksale gehen . . .“
„. . . sie kommen und gehen . . . und gehen und kommen . . . Man tut eben seine Pflicht und redet . . .“
„. . . und nun gerade dieser Fall . . .“ Male Matteis schüttelte die geballten Fäuste. Sie warf einen Blick zum Himmel. „Herrgott — wenn ich ein Mann ware . . .“
„Sie sind ja einer!“ sagte der Rechtsanwalt Burhem. Sein hageres Antlitz der reinen Vernunst, voll logischer Linien um den Mund und mathematischer Stirnfurchen, war freundlich übersonnt. Es sah jünger und weicher aus, während er, nicht mit dem sonstigen Ausdruck durchdringenden Verstandes in den dunklen Pupillen, sondern mit einem Lächeln in den Augen das Mädchen in Weiss musterte. „Sie sind ein ganzer Kerl, Fräulein Matteis! Dafür gelten Sie allgemein! Das weiss ich von Ihnen schon lange . . .“
„Gott . . . ich mach’ mich nützlich . . .“
„. . . und Sie sind jung — ungebrochen — da Sie, und da die Welt — ach: wer das noch einmal könnte: des Hasses Kraft — die Macht der Liebe . . . Man ist ein ausgebrannter Krater! . . . Reden Sie mir bloss nicht länger von Sensationsprozessen und grossen Fällen! Ich bin der Fälle müde, Fräulein Matteis! Fälle sind Feuerwerk, mit Knallfröschen und bengalischem Licht in den Zeitungen! Ich fürchte mich vor neuen Fällen. Der gute Dohmke ist darin anders. Der wird sich mit Feuereifer in den Fall Vohwinkel knien! Das kann ich Ihnen jetzt schon versprechen!“
„Dohmke? . . . Wer ist Dohmke?“
„Mein Gott: mein langjähriger Sozius, der Justizrat Dohmke! Kein Springinsfeld mehr, sondern abgeklärt! Ein weiser, alter Rabe, dem die Menschheit nichts mehr vormacht . . .“
„Und dem wollen Sie den Fall Vohwinkel überlassen . . .?“
„Sie sind doch eine Herrschernatur in Taschenformat, Fräulein Matteis! Der Dohmke ist ein bequemer Grosspapa! Mit dem werden Sie leichter fertig als mit so ’nem nervösen, rechthaberischen Eigenbrötler wie mir!“
„Wo Sie doch schon für unsere Firma die Prozesse geführt haben . . .“
„. . . und dazwischen hat sich Ihre Frau Mutter vor einem Vierteljahr, als bei Ihnen eingebrochen worden war, nicht an mich, sondern an einen Hellseher gewendet . . .“
„. . . und auf die Weise das gestohlene Silberzeug auch wirklich wieder gekriegt!“
„Na, sehen Sie, der Mann kann mehr als ich!“
„Und das, was wir eben erlebten, ist für einen so grossen Mann wie Sie zu unbedeutend?“ Male Matteis lachte zornig auf. Sie beschleunigte mit einem spöttischen Achselzucken ihre Schritte und schaute jetzt selbst, ob nicht ein Frühtaxi des Weges käme. „Ein Fall, der Ihren Namen noch berühmter machen würde als er schon ist! Sie selber interessiert der Fall meiner Schwester garnicht?“
„Der ist nicht so sehr interessant!“
„Ein Geheimnis, das in kurzem ganz Berlin beschäftigt?“
„Ich glaube garnicht, dass es ein so grosses Geheimnis ist!“
Das junge Mädchen blieb stehen un starrte ihren Begleiter wortlos, mit offenem Mund an. Der Rechtsanwalt Burhem sah auf die Uhr, steckte sie wieder ein und versetzte: „Ihre Schwester lebt nämlich!“
„Die Elfi ist tot!“
„Ihre Schwester lebt!“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Sie lebt im Ausland. Oder in Deutschland. Vielleicht in Berlin. Wahrscheinlich ganz in unserer Nähe. Am Ende gerade hier