Frauenstation. Marie Louise Fischer

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Frauenstation - Marie Louise Fischer


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hemmungslos zu weinen.

      »Glauben Sie mir«, sagte Dr. Schumann beruhigend, »ich verstehe sehr gut, was Sie empfinden; aber die Hauptsache ist jetzt, daß wir sie über den Berg bringen – und daß das Kind gesund zur Welt kommt. Wir müssen es versuchen.«

      »Das Kind«, schluchzte Angelikas Mutter, »aber sie kann ja nicht … sie ist selber noch … sie kann unmöglich …«

      »Doch«, sagte Dr. Schumann, »körperlich ist Angelika schon eine junge Frau. Es ist schwer, ich weiß, für Sie beide … aber Sie müssen ihr jetzt zur Seite stehen, ihr helfen, sie aufrichten …«

      »Wie kann ich das denn? Ich habe ja keine Zeit … nicht einmal Zeit habe ich für meine Tochter! Sonst hätte es ja nie passieren können. Mein geschiedener Mann zahlt mir nichts, ich muß arbeiten, Angelika ist den ganzen Tag sich selbst überlassen … und wie soll es erst werden, wenn das Kind da ist? Angelikas Leben wäre zerstört, noch ehe es richtig begonnen hat …«

      »Das glaube ich nicht«, widersprach Dr. Schumann. »Sie sehen die Dinge viel zu schwarz. Es wird sich bestimmt alles einrenken …«

      »Nein, nein, versuchen Sie mir nichts vorzumachen! Sie wissen genau, was das bedeuten würde … ein fünfzehnjähriges Mädchen mit einem Kind! Und sie ist so gescheit, so gut in der Schule … sie wollte … ihr Abitur machen, und jetzt … und jetzt ist alles aus.«

      »Es tut mir leid«, murmelte Dr. Schumann. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte.

      »Bitte, helfen Sie, Herr Doktor«, flehte Angelikas Mutter, »helfen Sie! Sie können es, wenn Sie nur wollen! Bitte, seien Sie barmherzig!«

      Als Dr. Schumann wenige Minuten später wieder mit Schwester Ruth allein war, fragte er: »Sie haben doch eine Blutabnahme veranlaßt?«

      »Ja, Herr Doktor …«

      »Sagen Sie im Labor Bescheid, daß zwei Blutkonserven bereitgestellt werden.« Als er bemerkte, daß die Schwester zögerte, fragte er: »Sonst noch etwas?«

      »Herr Doktor …« Schwester Ruth stockte. »Wollen Sie wirklich eine Kürettage vornehmen?«

      Dr. Schumann blickte sie überrascht an; er fand diese Frage reichlich respektlos und wollte schon heftig reagieren, besann sich aber dann. Warum sollte er sich beim Personal der Klinik unnötig Feinde machen?

      »Wieso interessiert Sie das?«

      »Es ist nur … eigentlich geht es mich ja nichts an … aber ich finde, daß man so etwas nicht unterstützen sollte!«

      »Was meinen Sie mit … so etwas?«

      »Nun, es ist doch eine Schande, wie leichtsinnig diese jungen Dinger heutzutage sind. Fünfzehn Jahre! In dem Alter hätten wir an Liebe noch nicht einmal gedacht. Und dann, wenn sie ihren Spaß gehabt haben und etwas passiert ist … dann bloß weg mit dem Kind! Nur keine Verantwortung tragen. Finden Sie das etwa richtig?«

      Dr. Schumann mußte sich ein Lächeln verkneifen. Offensichtlich lag hier nichts anderes vor als ein gewisser Geschlechtsneid der ältlichen, verblühten Frau gegenüber der blutjungen Angelika. Er sah jedoch Schwester Ruth ernst in die Augen und antwortete: »Nein, absolut nicht. Ich finde es sogar sehr traurig. Wir Ärzte sind aber schließlich nicht dazu da, gute und schlechte Zensuren für das Betragen unserer Patienten auszuteilen. Unsere Aufgabe ist es einzig und allein, zu helfen.«

      »Ja, aber …«

      »Liebe Schwester Ruth!« unterbrach Dr. Schumann sie ungeduldig und jetzt doch ein wenig erzürnt, »überlassen Sie die Entscheidung bitte mir, was zu geschehen hat. Sie sind für meine Anordnungen nicht verantwortlich und haben auch kein Recht, ein Urteil darüber zu fällen. Im übrigen ist es ja noch gar nicht heraus, ob ich den Eingriff vornehme. Ich wünsche nur, daß alles für den Notfall vorbereitet wird und daß ich benachrichtigt werde, wenn sich der Zustand der Patientin verschlechtert. Haben Sie mich verstanden?«

      »Jawohl, Herr Oberarzt!« antwortete die Schwester pikiert. Sie war ganz blaß geworden. Beleidigt, mit bösem und verbissenem Gesicht, rauschte sie von dannen.

      Tatsächlich befand sich Dr. Schumann in einem quälenden inneren Konflikt. Medizinisch gesehen, war es ein Risiko, einen beginnenden Abort zu behandeln und die Schwangerschaft zu erhalten, ganz abgesehen von dem erforderlichen Aufwand an pflegerischen Maßnahmen. Andererseits widerstrebte es ihm zutiefst, das Leben eines Kindes im Mutterleib zu vernichten, wenn eine auch nur geringe Chance bestand. Eine Chance indessen, die wesentlich vom Verhalten der Mutter abhing. Nur wenn die junge Patientin mitmachte, wenn sie genau den Anweisungen der Ärzte und Schwestern folgte, unendliche Geduld aufbrachte und den festen Willen hatte, das Kind unter allen Umständen zur Welt zu bringen, war an einen möglichen Erfolg zu denken. Gerade dieser Wille aber fehlte bei der Fünfzehnjährigen ohne Zweifel vollkommen. Gab es überhaupt noch einen Weg, ihre negative Anschauung zu überwinden?

      Selbst wenn Angelika, dachte er, längere Zeit hier in der Klinik bliebe, selbst wenn es gelänge, sie unter Kontrolle zu halten und die Fehlgeburt zu verhindern – würde sie nicht, entlassen und zu Hause sich selbst ausgeliefert, die gleiche Wahnsinnstat erneut begehen? Könnte sie nicht sogar ihre Drohung wahr machen und den Freitod wählen? Was konnte er ihr sagen, um sie davon abzuhalten? Ging das nicht über seine Kraft? Und würde nicht das unerwünschte Kind wirklich eine Katastrophe für dieses junge Mädchen bedeuten und sie völlig aus der Bahn werfen? Ja, wenn die Familie intakt wäre; wenn die Mutter ihrer frühreifen und doch noch so kindlichen Tochter ein Halt sein könnte – dann sähe die Sache vielleicht anders aus.

      Dr. Schumann seufzte tief. Er dachte an den Eid des Hippokrates, den er wie jeder Arzt geschworen hatte und der ihn verpflichtete, für das Leben einzutreten, es zu erhalten, niemals zu vernichten. Aber würde er nicht in Angelikas Fall, wenn er zögerte, um das Kind zu retten – würde er dann nicht zwei Menschen auf dem Gewissen haben: das Ungeborene und die blutjunge Mutter?

      Von Unruhe getrieben, ging er schon kurze Zeit später zu dem Zimmer, in dem Angelika lag. Schwester Gisa, noch jung und voller Mitgefühl, kam eben heraus.

      »Das arme Ding!« flüsterte die Schwester, als Dr. Schumann nach dem Befinden der Patientin fragte. »Sie kann nicht schlafen. Immer nur weint und stöhnt sie. Ich habe fast die ganze Zeit an ihrem Bett gesessen. Man muß Angst haben, daß sie aus dem Fenster springt oder sonst etwas Unvernünftiges tut. Sie jammert ständig, daß sie nicht mehr leben will.

      »Haben Sie ihr keine Beruhigungsmittel gegeben?«

      »Doch. Mehr als ich auf meiner Liste hatte. Aber zuviel wagte ich natürlich auch nicht. Oder hätte ich …?«

      »Nein!« Dr. Schumann öffnete die Tür und trat an Angelikas Bett. Die Kleine sah noch bejammernswerter aus als bei ihrer Einlieferung. Ihr rotblondes Haar war schweißverklebt, ihr Gesichtchen wirkte spitz und blaß, tiefe Schatten lagen unter den Augen.

      »Na, Angelika«, sagte er betont munter, »ich hatte doch versprochen, dich zu besuchen …«

      Sie antwortete nicht.

      Dr. Schumann schlug die Bettdecke zurück und stellte fest, daß die Blutung eher stärker geworden war. Nachdenklich blickte er auf das Bündel Elend. Es war, als kämpfe er noch einmal einen schweren Kampf mit sich. Dann raffte er sich zu einem Entschluß auf: »Lassen Sie die Patientin zur Ausräumung fertig machen, Schwester!«

      Angelika rührte sich nicht. Sie war so erschöpft und apathisch, daß sie nicht einmal begriff, was diese Anordnung für sie bedeutete.

      Als Dr. Schumann in den Operationsraum trat, hatte der Anästhesist mit der Narkose begonnen. Die Beine der Patientin waren hochgelagert, ihr Körper mit sterilen Tüchern abgedeckt.

      Der Chirurg wartete auf das Zeichen des Anästhesisten, dann hakte er den Uterus an, zog ihn nach vorn, weitete schnell den Muttermund mit Dehnstiften, um Zugang zu schaffen. Schwester Selma reichte ihm die Kürette. Er begann mit der Ausschabung.

      Plötzlich kollabierte die Patientin. Ein Kreislaufschock!

      »Verdammt!«


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