Frauenstation. Marie Louise Fischer

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Frauenstation - Marie Louise Fischer


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hatte sich inzwischen fast geleert, das Geschrei hallte draußen über die Gänge. Einige Schwestern begannen die Bettchen zu richten und die Fenster zu öffnen.

      Dr. Schumann sah sich um. »Schade«, sagte er, »wir kommen in einem ungünstigen Moment. Wir hätten zur Badezeit kommen sollen, dann ist es natürlich viel lustiger.«

      »Und der kleine Overhoff?« fragte Astrid mit Überwindung. »Wo ist der?«

      »Oben auf der Privatstation. Möchtest du ihn sehen?« Astrid bereute schon ihre Frage. Sie hätte am liebsten gesagt, daß ihr Bedarf an Babys für diesen Tag reichlich gedeckt sei. Nur um ihren Mann nicht zu enttäuschen, nickte sie.

      Erst als sie draußen auf dem Gang waren, sagte sie zaghaft:

      »Aber dann, Rainer, gehen wir doch nach Hause?«

      Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Natürlich, Liebling, ich habe sowieso eigentlich schon dienstfrei.«

      »Wäre es dann nicht besser, wenn wir …«

      Er lächelte sie an. »Es dauert ja nur fünf Minuten, und ich muß sowieso noch übergeben.«

      Während sie im Lift zur Privatstation fuhren, erzählte er ihr von seiner Sorge um ein Neugeborenes mit einer allzu heftigen Gelbsucht und von dem Vorschlag Frau Dr. Holgers, den kleinen Overhoff bei einer anderen jungen Mutter trinken zu lassen. Aber sie hörte kaum, was er sagte, lauschte nur dem warmen Klang seiner Stimme, war dankbar, daß sie ihm so nahe sein durfte – und vergaß keinen Augenblick, daß dieses Glück auf einer Lüge aufgebaut war.

      Auf dem breiten, lichtüberfluteten Gang der Privatstation kam ihnen Schwester Patrizia entgegen. Das Häubchen saß ihr wie immer ein wenig schief auf den blonden Locken, aber der Griff, mit dem sie ein schreiendes Neugeborenes umfaßt hielt, war sehr sicher, fast mütterlich.

      »Hallo, da ist er ja!« rief Dr. Schumann und faßte Astrid beim Arm. »Da kannst du ihn dir gleich ansehen, Liebling!« Der kleine Overhoff schrie mit rotem Kopf, den zahnlosen Mund weit aufgerissen. Er unterschied sich in Astrids Augen durch nichts von all den anderen Babys, die sie bisher schon hatte begutachten müssen, abgesehen davon, daß er vielleicht noch lauter, noch zorniger brüllte.

      »Eine tolle Stimme hat er«, sagte sie gezwungen.

      Schwester Patrizia strahlte. »Nicht wahr? Eine wunderbare Lunge!« Sie war bei der Begegnung mit dem Oberarzt und seiner Frau leicht errötet. »Ich bringe ihn eben nach unten, die Frau Doktor hat angerufen. Frau Elfie Peters hat sich bereit erklärt, ihn zu nähren.«

      »Ausgezeichnet«, sagte Dr. Schumann erfreut. »Eine sehr gute Lösung. Wir müssen nur überlegen, ob es nicht besser wäre, ihn dann überhaupt unten zu lassen …«

      »O nein!« rief Schwester Patrizia impulsiv und zog das Kind noch fester an sich. »Sie dürfen ihn uns nicht wegnehmen, Herr Doktor!«

      Die lebensfrohe, hübsche Schwester bot ein reizendes Bild, wie sie mit erschrockenen Augen das Kind an ihr Herz drückte, als ob sie fürchtete, man könnte es ihr auf der Stelle rauben – ein wirklich zauberhaftes Bild; aber in Astrid stieg der Verdacht auf, daß sich Schwester Patrizia dessen voll bewußt war.

      »Es wird Ihnen zusätzliche Arbeit bringen«, sagte Dr. Schumann.

      »Das macht nichts!« rief Schwester Patrizia. »Hier oben können wir uns viel besser um ihn kümmern!«

      ›Du Schlange!‹ dachte Astrid, und ihre Antipathie gegen die Schwester wuchs.

      Dr. Schumann und Schwester Patrizia wechselten noch ein paar rasche Worte über den kleinen Weyrer und dessen verdächtige Gelbsucht. Astrid fühlte sich während dieses Gesprächs seltsam ausgeschlossen. Sie war froh, als ihr Mann die Schwester verabschiedete und sich wieder ihr zuwandte.

      »Was hast du, Liebling?« fragte er. »Du bist ja ganz blaß? Irgend etwas nicht in Ordnung?«

      »O doch, nur …« Sie lächelte schwach. »Vielleicht habe ich mich einfach überfreut.«

      »Ich weiß, was dich wieder auf die Beine bringen wird«, sagte er und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Eine Flasche Champagner … wie wäre es damit? Ich habe eine Idee. Wir gehen jetzt nach Hause, ziehen uns um …« Er berichtigte sich sogleich: »Unsinn, das brauchst du nicht. Ich kann so bleiben, wie ich bin, und du bist immer schön. Wir fahren ins ›Chalet‹, essen ganz delikat zu Abend, trinken eine Flasche Sekt dazu, und nachher gehen wir noch ein bißchen tanzen! Na, wie wär’s?«

      »Wunderbar«, sagte sie ehrlich.

      »Na also … dann komm!«

      Sie faßten sich bei den Händen und gingen dahin wie Kinder, die unerwartet schulfrei bekommen haben. Aber sie hatten kaum den Lift erreicht, als jemand hinter ihnen herlief. Sie drehten sich um und sahen Oberschwester Helga.

      »Herr Doktor«, rief sie atemlos, »wie gut, daß ich Sie noch erreicht habe …« Sie unterbrach sich. »Guten Abend, gnädige Frau!«

      »Was gibt’s?« fragte Dr. Schumann kurz angebunden.

      »Der Labortest ist eben durchgegeben worden. Es handelt sich um den kleinen Weyrer: Erythroblastose!«

      »Verdammt!« entfuhr es Dr. Schumann. Er warf einen raschen Blick auf seine Frau. »Entschuldige bitte, Astrid!«

      »Frau Dr. Holger hat schon alles zum Blutaustausch vorbereiten lassen …«

      »Schön! Dann benachrichtigen Sie sofort Dr. Gerber. Sie wissen ja, ich bin eigentlich nicht mehr im Dienst.«

      »Dr. Gerber ist bei einer Operation.«

      »Und Professor Overhoff?«

      Die Oberschwester zuckte stumm die Achseln.

      »Pech«, sagte Dr. Schumann. Er wandte sich an seine Frau.

      »Ich kann dir nicht sagen, wie leid mir das tut. Aber eigentlich immer noch besser, als wenn sie mich mitten aus unserem festlichen Dinner abberufen hätten, wie?«

      Astrid schluckte. »Bestimmt«, flüsterte sie tapfer.

      »Also: Du gehst jetzt nach Hause, Astrid, und wartest auf mich. Du hast keinen Grund, traurig zu sein. Versprochen ist versprochen … wir gehen heute abend noch aus.« Er küßte seine Frau flüchtig und eilte mit Oberschwester Helga davon. Astrid stand mit hängenden Armen und sah ihm nach. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder gefaßt hatte. Dann streifte sie langsam den Arztkittel ihres Mannes ab, betrachtete ihn gedankenverloren.

      Sie legte den Kittel achtlos auf die Fensterbank, drehte sich um und ging mit müden Schritten die Treppe hinab.

      Das Neugeborene war in das Untersuchungszimmer von Frau Dr. Holger gebracht worden. Es lag auf dem Tisch und gab keinen Laut von sich, während die Ärztin behutsam den Bauch abtastete.

      Sie blickte kurz zur Tür, als Dr. Schumann eintrat.

      »Milz und Leber sind erheblich vergrößert«, sagte sie. Dr. Schumann trat näher, sah mit besorgten Blicken auf das nackte kleine Wesen, dessen gelb-bräunliche Verfärbung inzwischen noch stärker geworden war.

      »Der Coombs-Test ist positiv?«

      »Ja, Bilirubin im Blut, 20 Milligrammprozent.«

      »Ist die Blutgruppe bestimmt worden?«

      »Im Labor wird bereits die Kreuzprobe gemacht.«

      »Ausgezeichnet«, sagte Dr. Schumann. »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als zu warten.« Es war eine Erfahrungstatsache, daß eine Kreuzprobe, bei der die Verträglichkeit des Spenderblutes mit dem Blut des Empfängers getestet wurde, nicht unter dreißig Minuten durchzuführen war.

      Er untersuchte das Kind noch einmal. »An der Diagnose besteht kein Zweifel.« Dr. Schumann sah die Schwester an, die neben dem Untersuchungstisch stand. »Bitte, den Nabelverband, Schwester, und ziehen Sie das Kind wieder an. Sie können es inzwischen in den kleinen OP bringen. Sorgen Sie für Wärmflaschen!«

      »Jawohl,


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