Frauenstation. Marie Louise Fischer

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Frauenstation - Marie Louise Fischer


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hatte es sich nicht so schwer vorgestellt. Dieser Mann im weißen Arztkittel mit dem verschlossenen, angespannten Gesicht – er schien ihr seltsam fremd und fern.

      »Rainer«, wiederholte sie, »ich …« Plötzlich durchzuckte sie jähe Angst. Kam ihr Versöhnungsversuch zu spät? Hatte er sich innerlich schon von ihr abgewandt? Gab es eine andere in seinem Leben?

      Fast unbewußt hob sie die Hände, packte ihn bei den Schultern. »Mein Gott«, sagte sie heftig, »sei doch nicht so unerbittlich! Was habe ich denn getan, daß du mir nicht verzeihen kannst? Ja, ich weiß, ich habe dich beleidigt, aber ich … ich wußte gestern nacht nicht mehr, was ich sagte! Ich war so aufgeregt, ganz durcheinander! Ich habe es doch nicht so gemeint!«

      Er umschloß ihre Handgelenke und drückte ihre Arme mit sanfter Gewalt nach unten: »Doch, Astrid«, sagte er. »Versuche nicht, mir etwas vorzumachen. Dadurch wird es nicht besser. Du warst hysterisch, stimmt. Aber alles, was du mir vorgeworfen hast, kam aus deinem tiefsten Herzen.«

      »Nein, Rainer, nein …« Sie bemühte sich, ihre Hände aus seinem Griff zu befreien. »Bitte, laß mich los, du tust mir weh.«

      »Entschuldige!« Er löste seine Hände von ihren Armen und trat einen Schritt zurück.

      Sie standen einander gegenüber und vermochten nicht einmal mehr, sich anzusehen. Das Gespräch war auf dem toten Punkt. Beinahe hatte Astrid, einem Impuls folgend, sich umgedreht und wäre aus dem Zimmer gelaufen. Aber sie wollte nicht aufgeben, sie durfte es nicht. Sie begriff, daß sie ihn dann für immer verlieren würde.

      »Ich weiß, daß ich viele Fehler habe«, sagte sie. »Ich habe niemals behauptet, ein Engel zu sein. Aber bist du denn ohne Schuld? Du hast doch von Anfang an gewußt, daß ich an deinem Beruf wenig interessiert bin. Ich habe niemals Begeisterung für das Kinderkriegen geheuchelt. Ich habe Angst davor, ja … aber das wußtest du doch, ehe wir uns verlobten. Warum hast du mich dann trotzdem genommen?«

      »Weil ich dich liebte …«

      »Und jetzt … liebst du mich nicht mehr?«

      »Was hat das alles für einen Sinn, Astrid?« Die Zigarette war herabgebrannt. Die Glut berührte seine Fingerspitzen. Er ließ den Stummel auf den abgetretenen Teppich fallen und trat ihn mit dem Absatz aus. »Meine Liebe hat dir ja nie viel bedeutet … Anfangs war ich ganz sicher, du würdest dich ändern. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, bis … nun, du wirst zugeben, daß du neulich in der Nacht sehr deutlich warst. Bitte, komm mir jetzt nicht wieder damit, ich müßte Geduld mit dir haben, Rücksicht auf dich nehmen. Denke doch an die vergangenen Jahre unserer Ehe, an die Tage und Nächte. Denk daran, wie oft ich Rücksicht genommen und verzichtet habe … und was ist dabei herausgekommen?«

      »Verzeih mir«, sagte sie schwach.

      »Ich bin dir nicht böse …«

      Sie versuchte zu lächeln. »Du hast jetzt alles gesagt, was du gegen mich auf dem Herzen hattest. Darf ich dir nun endlich erklären, warum ich gekommen bin?«

      Er nickte.

      »Weil ich dich liebe«, sagte sie. »Weil ich es nicht ertragen könnte, dich zu verlieren. Ich habe eingesehen … ja, ich habe wirklich eingesehen, daß alles falsch war. Daß sich so keine Ehe führen läßt … und ich wollte dich bitten, es noch einmal mit mir zu versuchen, alles zu vergessen.«

      Sie hob mit einer unendlich rührenden Geste die Hände, und er sah die roten Streifen, die sein Griff an ihren Handgelenken hinterlassen hatte. »Rainer, laß uns noch einmal ganz von vorn anfangen. Ich will mich ändern, ich verspreche es dir … ich habe mich schon geändert!«

      Er trat einen Schritt auf sie zu. »Astrid, ist das wirklich wahr?«

      Sie warf sich in seine Arme, »Bitte«, flehte sie, »bitte, glaub es mir. Du mußt nur ein wenig Geduld mit mir haben?«

      Er umschloß sie ganz fest und spürte, wie seine innere Anspannung sich endlich löste, einem alles überflutenden Glücksgefühl wich. »Und wenn wir ein Kind bekämen?«

      »Ich habe Angst, immer noch Angst«, flüsterte sie, »aber ich werde es überwinden … ich werde mich freuen. Um deinetwillen. Um unserer Liebe willen. Ach, Rainer …«

      Sie hob ihr blasses Gesicht zu ihm auf, er küßte ihr die Tränen aus den Augenwinkeln, ihre Lippen fanden sich. Noch nie hatte sie seine Leidenschaft so vorbehaltlos erwidert.

      Endlich löste er sich von ihr, atemlos und fast schwindelig.

      »Und nun, Astrid, werde ich dir meine Kinder zeigen!«

      Er nahm sie bei der Hand und führte sie aus dem Zimmer.

      Es war kurz vor der vierten Trinkzeit des Tages. Die Schwestern eilten im großen Säuglingssaal geschäftig hin und her, nahmen die Neugeborenen aus ihren Bettchen und packten sie auf flache Wagen. Ohrenbetäubendes Geschrei erfüllte die Luft.

      Astrid Schumann hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, aber sie beherrschte sich, um ihren Mann nicht zu kränken. Sie fühlte sich unbehaglich in dem viel zu weiten Kittel, den er ihr geliehen hatte, und kam sich fehl am Platz vor. Sie glaubte aus den neugierigen Seitenblicken der Schwestern Mißtrauen und Ablehnung zu lesen.

      Dr. Schumann spürte nichts von der Beklemmung seiner Frau. »Na, nun sag selber«, forderte er sie auf, so stolz und zufrieden, als ob er persönlich der Schöpfer all dieses brüllenden, strampelnden Lebens wäre, »ist das nicht etwas Wunderbares?«

      Astrid zwang sich zu einem Lächeln. »Schreien sie immer so?« fragte sie.

      Er lachte. »Nein. Nur jetzt, weil sie Hunger haben. Die Energischen fordern ihre Nahrung, und die anderen brüllen zur Gesellschaft mit … wenn sie ins Bettchen zurückgebracht werden, sind sie wieder ganz friedlich.« Er wandte sich an eine der Schwestern, die in ihrer Nähe wieder einen Wagen vollgepackt hatte.

      »Nicht wahr, Schwester Rosa?«

      »Die meisten«, erwiderte die Schwester. »Nur Mäxchen kann nie genug haben, und auch die kleine Großfuß müssen wir nachfüttern. Ihre Mutter hat kaum etwas.« Sie sagte es in einem Ton, der ihre Bewunderung für das immer hungrige Mäxchen und ihr Mitleid für die unglückliche Frau Großfuß, die ihr Kind nicht ausreichend nähren konnte, deutlich machte.

      Astrid schauderte leicht. »Können Sie alle die Babys so ohne weiteres auseinanderhalten?« fragte sie. »Sie sehen doch alle gleich aus!«

      Schwester Rosa gab Astrid mit einem einzigen Blick zu verstehen, was sie von einer solchen Laienfrage hielt, und Dr. Schumann antwortete rasch an ihrer Stelle: »Erstens sehen sie nicht gleich aus, Astrid, das kommt dir nur so vor, und außerdem ist jedes Kind eine kleine Persönlichkeit … Unsere Schwestern schwören darauf, daß schon bei den Neugeborenen die Grundzüge des Charakters deutlich werden. Es gibt lebhafte Neugeborene und auffallend stille; quengelige und geduldige; zornige und heitere. Eine unserer Nachtschwestern behauptet zum Beispiel, daß sie allein am Ton des Geschreis erkennen kann, wer aufgewacht ist, noch bevor sie nach dem Rechten gesehen hat …«

      »Wirklich?« fragte Astrid ungläubig. »Aber …«

      Dr. Schuhmann zog sie mit sich tiefer in den Saal hinein.

      »Du hast natürlich ganz recht. Wir verlassen uns nicht auf unsere Babykenntnisse. Das wäre ja auch unmöglich, weil wir zeitweilig über hundert Neugeborene hier haben und es täglich Ab- und Zugänge gibt. Siehst du diese Schleifchen an den Bettchen?«

      »Ja«, sagte Astrid, »sie sind sehr hübsch.«

      »Sie dienen nicht der Verschönerung, sondern der Unterscheidung. Jedes Bett, in dem ein Junge liegt, hat ein blaues, jedes Mädchenbett ein rosa Schleifchen.« Er blieb stehen, nahm einer Schwester ein Neugeborenes aus dem Arm und streifte den linken Ärmel ein wenig hoch. »Und sieh mal hier! Ein blaues Bändchen mit der Nummer 47 … weißt du, was das bedeutet? Diese Nummer schließt jede Verwechslung aus. Mutter und Kind bekommen sofort nach der Geburt solch ein Bändchen mit einer gleichlautenden Nummer ums Handgelenk.«

      Er


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