Frauenstation. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Kind sind doch eine Einheit. So sollte es wenigstens sein.«
»Und wenn es nicht so ist? Wenn die Mutter das Kind nicht haben will?«
»So muß man sie dahin bringen, es zu wollen.«
»Sehr einfach. Aber ich sage dir, Rainer, unsere Arbeit muß viel früher einsetzen. Wir mussen mehr Gewicht darauf legen, die jungen Mädchen aufzuklären und auch die verheirateten Frauen. Wir müssen erreichen, daß nur noch heißerwünschte Kinder zur Welt kommen. Wir müssen die Frauen von ihrer Angst, ihrer verzweifelten Sorge befreien, wir müssen sie von ihrem biologischen Schicksal erlösen!« Dr. Gerber hatte sich in Fahrt geredet. »Und wir sollten auch nicht zu viele Bedenken haben, eine unerwünschte Schwangerschaft zu unterbrechen, wenn nur der entfernteste Anlaß zu einer medizinischen Indikation gegeben ist!«
»Wenn du wirklich so denkst«, sagte Dr. Schumann hart, »würde ich dir raten, die Klinik zu verlassen und eine Privatpraxis zu eröffnen … als Abtreibearzt!« Er bereute dieses Wort im gleichen Moment, da es ausgesprochen war – aber es war zu spät.
»Das war sehr deutlich«, bemerkte Dr. Gerber eisig.
»Ich glaube, die Fronten sind jetzt geklärt!«
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Dr. Rainer Schumann lief, wie immer, den kurzen Weg aus dem Klinikviertel bis zu dem kleinen Haus, das er gemietet hatte, zu Fuß. Die frische Abendluft tat ihm wohl und kühlte seine brennenden Schläfen.
Er war sehr unzufrieden mit sich. Diese Auseinandersetzung mit Gerber erschien ihm jetzt gänzlich unnötig. Zwischen ihm und Gerber bestand seit frühesten gemeinsamen Studienjahren eine gute Kameradschaft, die sich schon mehr als einmal bewährt hatte. Es war unverzeihlich, daß er diese Männerfreundschaft durch einen einzigen unüberlegten Satz zerstört hatte.
Und dann Astrid! Er versuchte, sich auf das Heimkommen zu freuen, aber er brachte es beim besten Willen nicht fertig. Bestimmt war sie wieder tief gekränkt und enttäuscht, weil sie stundenlang auf ihn hatte warten müssen. Es war nicht seine Schuld, gewiß nicht, aber was nutzte das – es schien aussichtslos, ihr die Zusammenhänge zu erklären. Er fand es zermürbend, immer wieder um die Liebe und das Verständnis seiner eigenen Frau kämpfen zu müssen, sogar in Situationen, in denen er selber Trost oder wenigstens einen Zuspruch sehr nötig gehabt hätte. Sicher würde er auch jetzt wieder eine Szene über sich ergehen lassen müssen.
Er seufzte, ohne sich dessen bewußt zu werden, tief auf, als er die Haustür aufschloß, und machte sich innerlich auf das Schlimmste gefaßt.
Aber Astrid empfing ihn ganz anders, als er erwartet hatte. Sie lag in einem weißseidenen, spitzenbesetzten Hausmantel auf der Couch im Wohnzimmer, erhob sich jedoch sofort, als er eintrat, und kam ihm lächelnd entgegen.
»Rainer«, rief sie, »endlich!« Die Ärmel des Hausmantels glitten zurück, als sie ihre Arme um seinen Nacken schlang.
Ihm war, als sei er mit einem Schritt aus dem grauen Alltag in ein Zauberreich getreten. Er küßte ihren Mund, ihren Hals, ihren zarten weißen Nacken. »Es ist doch wieder spät geworden«, sagte er.
Sie stemmte lächelnd ihre Hände gegen seine Brust und sah zu ihm auf: »Als ob ich nicht wüßte, daß du nur deine Pflicht getan hast!« Sie wandte sich ab, trat zum Kamin, in dem Feuer knisterte. »Ist es gut ausgegangen?« fragte sie. »Hast du das Kindchen retten können?«
»Ja«, sagte er, »Gott sei Dank!«
»Und die Mutter? War sie sehr glücklich?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie hat nichts davon gewußt. Ich wollte sie nicht beunruhigen.«
Plötzlich wurde ihr erst die ganze Tragweite des Geschehens bewußt. »Aber dann«, sagte sie erschrocken, »wenn …«
»Denk nicht darüber nach! Es ist ja gut gegangen.«
Er sah sie an, ihre schlanke Gestalt, die unter dem weißseidenen Mantel nur zu ahnen war, den stolzen kleinen Kopf mit dem kastanienbraunen Haar, in das vom Kaminfeuer rötliche Reflexe gezaubert wurden. »Nur unser schöner Abend ist uns verdorben!«
Sie lächelte ihm zu. »Er fängt jetzt an!« Sie trat zum Tisch, zog eine Flasche Sekt aus einem eisgefüllten Kübel. »Du wolltest doch heute Champagner trinken … habe ich es richtig gemacht?«
Er nahm ihr die Flasche aus der Hand, löste geschickt den Korken und schenkte ein.
»Auf uns!« sagte sie und hob ihm ihr Glas entgegen.
Er leerte es mit einem Zug. »Weißt du, wie schön du bist?« Eine zarte Röte überflutete ihr schmales Gesicht. Sie hob den Kopf, wollte etwas sagen. Aber er hatte sie schon in die Arme genommen und verschloß ihren Mund mit seinen Küssen. Noch nie hatte sie sich so an ihn geschmiegt, noch nie seine Leidenschaft mit solcher Glut erwidert.
»Astrid«, flüsterte er atemlos, »du hast keine Angst mehr davor …?«
»Nie mehr!«
Er hob sie auf die Arme und trug sie zur Couch. Knisternd loderte das Feuer.
4
Professor Overhoff nahm seine Sprechstunde einen Tag nach der Beerdigung seiner Frau wieder auf. Äußerlich wirkte er völlig gefaßt, wenn auch alle, die ihn näher kannten, spürten, daß eine große Veränderung mit ihm vorgegangen war. Bei allem, was er tat und sagte, schien er innerlich völlig unbeteiligt zu sein. Es war, als sei der Kern seines Wesens vor Schmerz versteinert.
Kirsten Winterfeld merkte nichts davon. Sie war viel zu aufgeregt, zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, um etwas anderes in Professor Overhoff sehen zu können als den berühmten Professor, den Vertrauenswürdigen Arzt.
Sie hatte eine erste Untersuchung über sich ergehen lassen und ihm ihre Sorgen geschildert. Dreiundzwanzig Jahre war sie jetzt alt, seit vier Jahren verheiratet – aber immer wieder hatte sie vergeblich auf Anzeichen einer Mutterschaft gewartet.
Hektische, scharf abgezirkelte rote Flecken erschienen auf ihren Wangen, während sie erzählte. »Ich habe meinen Zyklus beobachtet«, berichtete sie, »ich habe genau darauf geachtet, besonders natürlich im letzten Jahr. Übrigens habe ich auch einen Regelkalender geführt, allerdings nur in meinem Notizbuch …« Sie begann in ihrer Handtasche zu kramen. »Vielleicht ist das ein bißchen primitiv, aber er stimmt ganz genau!« Sie fand ihr ledernes Notizbuch, schlug die vorderen Seiten auf und reichte es Professor Overhoff über den Schreibtisch.
Er blätterte darin. »Hm«, sagte er, »gar nicht schlecht …«
Dann legte er das Notizbuch aus der Hand. »Welche Krankheiten haben Sie gehabt?«
»Nur die üblichen Kinderkrankheiten … Masern, Keuchhusten, ein paarmal Angina. Aber die Mandeln wurden mir schon mit zwölf Jahren herausgenommen.«
»Sonst keine Operation?«
»Nein.«
»Geschlechtskrankheiten?«
Die roten Flecken auf Kirstens Wangen verschärften sich.
»Nein.«
»Vielleicht einmal eine Unterleibserkältung?«
Kirsten dachte nach. »Nicht daß ich wüßte … nein, ich glaube wirklich nicht …«
Professor Overhoff legte nachdenklich die Fingerspitzen gegeneinander. »Nun, ich denke, wir sollten trotzdem die Durchgängigkeit des Eileiters prüfen. Aber vorher möchte ich doch mit Ihrem Gatten sprechen.«
»Ist es … so gefährlich?«
»Nein. Aber ich könnte mir vorstellen … wie alt ist Ihr Gatte?«
»42 Jahre …«
»Hm. Und ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß Ihre Kinderlosigkeit an ihm liegen könnte?«
Kirstens helle Augen wurden groß. »An meinem Mann?«
Professor