Frauenstation. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.schwieg. Dann, nach einer langen Pause, sagte sie bedrückt: »Ich verstehe dich nicht, Hugo.«
Er fuhr auf. »Was ist denn dabei schon zu verstehen? Du bildest dir doch nicht ein, ich würde mich vor einer solchen Untersuchung drücken? Warum sollte ich denn? Aus männlicher Eitelkeit etwa? Kennst du mich so schlecht?«
Sie beugte sich vor. Sie strich über seine Hand, die auf dem Couchtisch lag. »Bitte … tu’s … zu meiner Beruhigung … mir zuliebe!« sagte sie. »Tu’s bitte!« wiederholte sie noch einmal.
»Es liegt nicht an mir!« antwortete er. »Um das zu wissen, brauche ich mich nicht erst untersuchen zu lassen.«
»Du kannst es nicht wissen!«
»Doch«, sagte er sehr bestimmt, »ich weiß es ganz genau!«
Er stand auf, ging zur Tür. Sie wollte ihm noch etwas nachrufen, aber er war schon aus dem Zimmer gegangen. Er hatte nicht einmal seine erste Tasse Kaffee ausgetrunken.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe Kirsten die Tragweite seiner Worte wirklich erfaßte.
Kurz nach neun Uhr abends hielt ein Taxi vor der Frauenklinik. Eine Frau stützte ein junges, leichenblasses Mädchen, das sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Der Pförtner schickte beide in das Untersuchungszimmer. Dr. Schumann wurde verständigt.
Er kam sofort.
Das Mädchen kauerte in einem Sessel, eine zerbrechliche, noch fast kindliche kleine Gestalt mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen.
Die Frau konnte vor Aufregung kaum reden. »Meine Tochter«, sagte sie, »ich weiß gar nicht, was mit ihr los ist! Ich bin eben erst von der Arbeit nach Hause gekommen … wir machen augenblicklich Inventur, da wird es so spät, ich arbeite nämlich in einem Modehaus …«
Dr. Schumann wandte sich an Schwester Ruth, eine hagere ältliche Person mit verschlossenem Gesicht, die ihm offenbar nicht sehr gewogen war. »Bitte, messen Sie die Temperatur, Schwester!«
»Jawohl, Herr Oberarzt …«
Er hatte das unbestimmte Gefühl, als sei die Antwort der Schwester fast widerwillig gekommen – aber er konnte sich auch täuschen; jedenfalls hatte er jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, und sah wieder die Mutter des Mädchens an. »So … und was war nun weiter?«
»Angelika war so sonderbar, ganz verzweifelt. Sie stöhnte und weinte immerzu, sagte, daß sie sterben müsse. Ich konnte gar nicht herausbekommen, was eigentlich mit ihr los ist, nur daß sie schreckliche Schmerzen im Unterleib hat …«
»Seit wann?« fragte Dr. Schumann das Mädchen, das am ganzen Körper zitterte.
»Seit heute nachmittag …« Sie sprach so leise, daß es kaum zu verstehen war.
»Angelika lag schon im Bett«, erklärte ihre Mutter. »Ich war so entsetzt und wußte mir nicht zu helfen. Da habe ich gedacht, das beste ist, du bringst sie gleich zum Arzt!«
»Das Vernünftigste, was Sie tun konnten.«
»Es ist doch nichts Ernstes, Herr Doktor, nicht wahr? Sie bildet sich doch nur ein, daß sie …!?« Die Stimme der Mutter versagte.
»Auf alle Fälle sind Sie ja rechtzeitig gekommen. Ich untersuche Ihre Tochter jetzt, und dann werden wir gleich mehr wissen.«
Schwester Ruth nahm dem Mädchen das Thermometer ab.
»37,2«, meldete sie.
»Nur mäßig erhöht«, stellte Dr. Schumann fest. Er lächelte der Mutter beruhigend zu. »So schlimm kann es mit Ihrer Tochter also nicht sein. Bitte, gehen Sie jetzt mit der Schwester, und geben Sie Ihre Personalien an.«
»Ja. Ja, natürlich …« Die Frau ging zur Tür, kam aber sofort wieder zurück. »Mach’s gut, Engelchen«, rief sie ihrer Tochter zu, »du brauchst keine Angst zu haben, wirklich nicht! Der Herr Doktor wird dir schon helfen.«
Das Mädchen reagierte nicht. Ihre vom Weinen verschwollenen Augen schienen die Mutter nicht einmal zu sehen. Als die Frau gegangen war, half Dr. Schumann Angelika auf den Untersuchungsstuhl. »Wie alt bist du?« fragte er. »Na, nun rede schon! Ich weiß, daß du mich genau verstehst.«
»Fünfzehn.«
»Und wo arbeitest du?«
»Ich gehe noch zur Schule.«
»Wie lange hast du deine Tage nicht mehr gehabt?«
Das Mädchen preßte die bebenden Lippen zusammen.
»Du kannst es mir ruhig sagen«, drängte der Arzt, »ich bekomme es auch so heraus, du kannst dich darauf verlassen.«
»Seit … drei … Monaten.«
Dr. Schumann hatte sich die Gummihandschuhe angezogen und stellte den Spiegel auf den äußeren Muttermund ein. Der Muttermund war knapp fingerdick durchgängig, aus dem Uterus kam eine leichte Blutung.
Dr. Schumann richtete sich auf. »Und wie hast du es gemacht?«
»Mit einer Stricknadel«, gestand das Mädchen kaum hörbar.
Dr. Schumann holte tief Luft. Es gab einiges, was er gern gesagt hätte. Er unterdrückte es mühsam. Es war jetzt nicht der richtige Augenblick, dieses verzweifelte Menschenkind zur Vernunft zu bringen.
Schwester Ruth kam ins Untersuchungszimmer.
»Schreiben Sie«, sagte Dr. Schumann. »Leichte Blutung, ex utero.« Er untersuchte bimanuell, einen Finger innen, die Hand außen, diktierte: »Muttermund leicht vergrößert und etwas aufgelockert. Beginnender Abort.«
Angelika begann hemmungslos zu schluchzen.
»Nimm dich zusammen«, fuhr Dr. Schumann sie an, »du machst dich noch kränker, als du schon bist, wenn du dich in eine solche Aufregung hineinsteigerst! Du wirst nicht sterben, das schwöre ich dir, und dein Kind wirst du vielleicht auch behalten.«
»Nein!« Angelika schrie es heraus.
»Geben Sie ihr ein Beruhigungsmittel«, wandte sich Dr. Schumann an Schwester Ruth.
»Ich will das Kind nicht haben!« rief Angelika. »Ich kann nicht … jetzt schon. Ich gehe doch noch zur Schule und … wenn Sie das tun, bringe ich mich um!«
»Das wäre schön dumm von dir.«
»Bitte«, flehte Angelika, »bitte, helfen Sie mir … ich könnte es nicht ertragen, ich würde es nicht überleben …«
»Die Schwester gibt dir etwas zur Beruhigung und bringt dich auf die Station. Jetzt wirst du erst mal schlafen, und nachher sieht alles wieder viel besser aus. Ich komme dann zu dir, und wir besprechen die Sache in aller Ruhe, ja?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, trat er in den Vorraum, wo Angelikas Mutter wartete.
Sie hatte auf der Bank gesessen, nun sprang sie auf. »Was ist, Herr Doktor? Mein Kind …«
Er unterbrach sie. »Sie müssen jetzt sehr vernünftig sein. Angelika braucht Sie. Heute mehr als je zuvor in ihrem Leben.«
»Aber …was ist es? Was ist denn los mit meiner Tochter, Herr Doktor?«
»Wir müssen leider mit einer Fehlgeburt rechnen …«
»Nein«, schluchzte die Frau, »nein! Das ist nicht möglich … das kann nicht sein!«
»Leider ist es doch so.«
»Aber sie ist doch noch ein Kind, Herr Doktor, ein Kind!«
Die Mutter verkrampfte die Hände über ihrer kleinen Handtasche, ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft. Sie mochte sonst eine gutaussehende, sehr gepflegte Frau Ende Dreißig sein; der Schock machte sie um Jahre älter.
»Das ist eben das Unglück«, erklärte Dr. Schumann, »ein Kind, das nicht wußte, worauf es sich eingelassen hat.«
»Und ich habe nichts gemerkt! Wie