Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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machte eine müde und verstörte Bewegung mit der Hand über die feuchte Stirn. Sein Gesicht war verfallen. ,,Herein!“ Er drehte sich nicht um. „Was ist denn los?“ frug er mechanisch.

      ,,Herr Geiger ist gekommen!“ meldete Katja und verliess, mit grossen, ratlosen Augen, halb auf den Fussspitzen wie in einem Krankenzimmer, den Raum, in dem der rotbärtige Reichsdeutsche sich seinem Chef näherte:

      „Der Brief aus Wien, von Tschereuth und C., lag bei der Auslandspost! Hier ist er!“

      „Geben Sie her!“

      „Haben Herr Gebauer noch Befehle?“

      „Nein! Sie können nach Odessa zurückfahren!“

      Der Buchhalter war gegangen. Otto Gebauer hielt das Schreiben aus Österreich in der Hand. Es war ein Privatbrief, mit dem Vordruck des Absenders: ,Leopold Edler von Tschereuth, K. K. Kommerzienrat‘ vorn auf dem Umschlag, hinten sorgfältig dreimal mit dem Wappen des schon vor mehr als zwei Menschenaltern, unter dem guten Kaiser Franz, geadelten Wiener Patriziergeschlechts gesiegelt — dem schreitenden Lämmlein mit dem Passionskreuz auf dem Rücken.

      Der alte Herr holte Atem. Setzte den Zwicker auf. Öffnete und las:

      „Mein lieber Vetter Otto!

      „Nein! Ich kann nicht. Ich muss es, im Verfolg meines Letzten vom 20. April 1873, mit der vollkommenen Offenheit wiederholen, wie die derzeitigen betrübten Zustände unseres Wiener Geldmarkts sie mir einem Verwandten und Geschäftsfreund gegenüber zur unabweislichen Pflicht machen.

      „Als die Schlacht von Sedan vor drei Jahren Deine auf einen Sieg der Franzosen basierten finanziellen Dispositionen störte, zögerte ich nicht einen Augenblick, Dir in diesen plötzlichen geschäftlichen Schwierigkeiten mit namhaften Kapitalien beizuspringen. So ging diese Krisis ohne Erschütterung Deines Credits vorbei. Deine Firma ist heute so gut wie jemals!

      „Aber hier in Wien haben wir dafür jetzt an der Börse einen grossen Krach. An ein Bankhaus wie das meine reicht er nicht heran. Ich habe mich von vornherein von diesem wahnsinnigen Haussetreiben ferngehalten und seit Monaten die Creditgewährung auf das Knappste eingeschränkt. So kann ich ruhiger schlafen als andere. Aber ihre letzten Kapital-Reserven aufbieten muss jetzt jede Firma — sei es auch nur, um wankende, befreundete Häuser zu stützen.

      „Du, mein lieber Otto, hast in den drei Jahren Zeit gehabt, Dich zu erholen, und nach allem, was ich höre, geht der Seidenhandel augenblicklich flott. Unter diesen Umständen muss ich, in dieser erschreckenden hiesigen Krisis, unbedingt und unumstösslich darauf bestehen, mein geliehenes und ordnungsgemäss gekündigtes Kapital bis ultimo hujus durch Prima-Aufgabe auf Paris oder London — nicht auf den zurzeit notleidenden Wiener oder Berliner Platz — zurückgezahlt zu erhalten. Sollte diese Vergütung in den nächsten Wochen nicht erfolgen, so würdest Du mich in die unangenehme Notwendigkeit versetzen, persönlich nach Odessa zu kommen und weitere Aufklärung zu verlangen. Grüsse Deine Damen, auch von den Meinigen. Dein getreuer, alter, bald siebzigjähriger Vetter

      Leopold.“

      Draussen, an der Vorfahrt zum Choutor, klapperten in kurzen Abständen Hufschläge auf dem Kies. Das Rollen der Wagen hörte man nicht. Die Gummiräder federten lautlos. Die Gäste kamen aus dem fernen Odessa, aus den nahen Datschen, zum Frühstück. Manche Nachbarn hatten es nur über die Strasse. Aber zu Fuss ging kein echter Odessaer. Otto Gebauer kümmerte sich nicht um seine Hausherrnpflichten. Er zerpflückte den Wiener Brief in winzige Schnitzel und streute sie in den Papierkorb und schreckte scheu, wie auf einem Verbrechen ertappt, zusammen, als die Türe aufflog und seine Frau mit dem wilden, rosaroten Farbenglanz einer schwunghaft gerafften, gefältelten, bebänderten, mit Spitzen überladenen Robe den Rahmen füllte.

      Die geborene Malbasá irrlichterte von Diamantengefunkel. Sie war ausser Atem und heftig geschnürt. Im Hintergrund ihrer umfangreichen Irdischkeit prahlte als krönender Auswuchs der Cul de Paris. Schnurrbartschatten gaben unter der dicken weissen Puderschicht ihren leeren Zügen mit den Spuren einstiger Schönheit etwas Ungewöhnliches und Östliches. Trotzdem wirkte sie hier in Halb-Asien unter Tataren, Popen, Kaftan-Juden und Levantevolk mehr als Dame, europäischer als draussen im Ausland. Sie wedelte sich heftig mit dem parfümierten Taschentuch Kühlung. Der Raum füllte sich sofort mit allen Wohlgerüchen Arabiens.

      „Ottinka! Beliebe! Man wartet!“

      „Auf mich?“ Der Kaufherr stand müde auf.

      „Wie denn? Auf Murussi! . . . Hast du mit Katja gesprochen? Ja? Nun — und? . .“ Madame Gebauer fächelte sich gespannt und erregt. „Hat sie endlich ihre Maske fallen lassen? Was sagst du? Sie war schonungslos ehrlich wie immer? . . . Ottinka . . . du alter Träumer . . .“

      „Ich wollte, ich träumte . .“, sagte Otto Gebauer in Gedanken und liess den letzten Papierfetzen in den Korb fallen.

      „Selbst Gottes Allmacht“, sprach asthmatisch seine beleibte Gattin Melanie, „kann kein so verrücktes Mädchen schaffen, dass es nicht innerlich tanzt und springt, bei der Aussicht, Madame Murussi zu werden! Dies, mein Freund, geht gegen die Natur! Ah — unsere Katja ist nicht dumm! Sie weiss, was sie will! Verneigen wir uns vor ihrem natürlichen Instinkt! Sie stellt sich spröde — das Kätzchen — weil alle Anderen mit beiden Händen zugreifen würden, und sie wohl weiss, dass es gerade der Gegensatz ist, der auf blasierte Männer wirkt! Bitte! . . Bitte!“ Sie spreizte gereizt die reichberingten Finger. „Mit Männern weiss ich Bescheid . .“

      „Gewiss, meine Liebe.“ Der alte Herr nickte gottergeben.

      „Die Männer machen mir nichts vor! Euch kenne ich!“

      „Niemand, Melanie, im Zimmer widerspricht!“

      ,,Euer Gnaden!“ Der deutsche Diener, ein Bauer aus einem der schwäbischen Kolonistendörfer draussen in der Steppe, meldete es herbeieilend mit dem rauhen tiefen. Stimmenklang eines Deutsch-Russen der niederen Stände. „Herr Murussi kommt!“

      Die weisse Staubwolke auf der Strasse näherte sich viel geschwinder als die anderen Wagen bisher. Sie schoss dahin. Zwei galoppierende Gäule, rechts und links, rissen mit auswärts gestellten Köpfen das leichte Gefährt über Steine und Löcher. Zwischen ihnen schnellte ein Orloff-Rappe die Vorderbeine in unwahrscheinlich flinkem, scheinbar mühelosem Trab. Sein langer, seidener Schweif flog. Der graue Wotansbart des Kutschers, wehte. Der Kranz von Pfauenfedern auf feiner Mütze flatterte. Breithüftig, unförmlich auswattiert lenkte der alte Russe, auf dem Bock vorgebeugt, mit abgespreizten Ellbogen, die sausende Troika haarscharf um die Krümmung der Vorfahrt und brachte sie mit einem unsichtbaren Ruck zum Stehen. Der finstere riesige Leib-Tscherkesse in kaukasischer Tracht, der neben dem Kuticher sass, sprang vom Bock. Die Dienerschaft stürzte heraus. Je vornehmer der Gast, desto wilder, nach russischem Brauch, die Beflissenheit. Aristide Murussi fühlte den langen, weissleinenen Staubmantel und die weisse Schirmkappe weggerissen. Zwei Stubenmädchen knieten rechts und links und wedelten mit dem Flederwisch die bestaubten Lackschuhe blank. Ein Greis hockte und bürstete den Staub von den glockenförmig weiten Beinkleidern, die ebenso wie der lange, scharf in die Taille geschnittene Glockenrock ein eigentümliches, sterbendes Violett zeigten. Ein Tatar haschte nach den Handschuhen. Der schwäbisch-russische Diener öffnete feierlich die Türe und liess den ungekrönten Steppenkönig eintreten.

      Murussi lächelte dabei schüchtern und unsicher. Er war immer etwas verlegen. Er blieb so bescheiden an der Schwelle stehen, als sei er der Hauslehrer. Er legte mit einer leichten, fast frauenhaften Anmut, den Kopf ein wenig auf die Seite, während er sich, befangen wie ein junges Mädchen unter fremden Blicken, gegen die Anwesenden verneigte. Er hatte eine schmächtige, zierliche Gestalt. Auffallend kleine Hände und Füsse. Sein Gesicht besass die gelbliche blutleere Farbe, die klassische, tote Regelmässigkeit, die schönen grossen dunklen Glasaugen der Wachsköpfe in den Schaufenstern der Haarkräusler. Er trug einen kleinen aufgedrehten schwarzen Schnurrbart über dem weichen kleinen Mund, und das glänzend schwarze, fest anliegende Haar nach Lämmchenart in der Mitte gescheitelt.

      Er näherte sich schweigend und ehrerbietig Madame Gebauer und führte ihre Rechte an seine Lippen. Er begrüsste ebenso stumm und respektvoll die anderen


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